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Aus: Ausgabe vom 27.09.2024, Seite 14 / Medien
Messengerdienst Telegram

Keine sichere Leitung

Messengerdienst Telegram lockert den Schutz der Privatsphäre für Nutzer. Hürden für Datenweitergabe an Behörden wurden gesenkt
Von Sebastian Edinger
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»Anpassung der Nutzungsbedingungen«: Telegram-App auf I-Phone

Der Druck des französischen Staates zeigt Wirkung: Am Montag hat der Betreiber des Kurznachrichtendienstes Telegram Änderungen seiner Datenschutzrichtlinie bekanntgegeben, die den staatlichen Sicherheitsapparaten gefallen dürften. So sollen künftig auf Anfrage Telefonnummern und IP-Adressen von Nutzern an die Behörden weitergegeben werden können, sofern ein Verdacht besteht, dass die betroffene Person in »kriminelle Handlungen« verwickelt ist. Damit wird es den Ermittlern ermöglicht, die Betroffenen zu orten und Bewegungsprofile anzufertigen. Mit den verkündeten Änderungen senkt Telegram die Hürden zur Weitergabe von Nutzerdaten an staatliche Stellen deutlich ab. Bisher war die Datenübermittlung nur möglich, wenn ein Terrorverdacht besteht.

Wie durch den Betreiber des Messengers weiter bekanntgegeben wurde, soll vor jeder Datenweitergabe eine rechtliche Bewertung der Anfrage vorgenommen werden. Außerdem sollen die Fälle nachvollziehbar dokumentiert werden. »Wenn Daten weitergegeben werden, werden wir solche Vorkommnisse in einen vierteljährlichen Transparenzbericht aufnehmen«, heißt es in dem überarbeiteten Regelwerk. Der Bericht werde im Internet veröffentlicht. Nutzer bekommen zudem die Möglichkeit, sich von einem Chatbot über die Anzahl beantworteter Behördenanfragen informieren zu lassen.

Bislang war Telegram wegen des hohen Anspruchs beim Schutz der Privatsphäre und seiner Widerstandsfähigkeit gegenüber staatlichen Datenkraken bei politisch aktiven Menschen besonders beliebt. Der Messenger bot gute Möglichkeiten, vertraulich kommunizieren zu können, ohne dass der Staat mitliest. Auch in Kriegsgebieten wie der Ukraine und Palästina spielt Telegram in der Kommunikationsstruktur eine wichtige Rolle – etwa für Journalisten, die aus dem Gazastreifen berichten. Hier liegt offenkundig ein wichtiger Grund für den drastischen Druck, den die französische Regierung auf das Unternehmen und seinen Gründer, Pawel Durow, ausübt. Israel war höchst unzufrieden damit, bei Telegram – anders als bei Facebook oder Tik Tok – mit Anträgen auf Löschung propalästinensischer Posts meist erfolglos gewesen zu sein.

Hinzu kommt: Am Tag vor Durows Festnahme in Paris wurden in mehreren EU-Staaten, darunter Deutschland, zahlreiche propalästinische Telegram-Kanäle gesperrt. Nachdem Durow einige Tage in Haft verbracht hatte, bevor er gegen eine üppige Kaution in Höhe von fünf Millionen Euro und unter strikten Auflagen auf freien Fuß kam, war der Druck wohl hoch genug, ihm die gewünschten Änderungen der Datenschutzregeln abzuringen. Die Drohkulisse war maximal: Laut französischer Staatsanwaltschaft habe er faktisch bei sämtlichen kriminellen Machenschaften Beihilfe geleistet, über die die Täter in dem sozialen Netzwerk kommuniziert haben. Die Vorwürfe reichen von Geldwäsche über Kinderpornographie und Drogenhandel bis hin zu Betrug.

Auch wenn Durow erst mal aus der Haft entlassen wurde, darf er Frankreich nicht verlassen, und die Ermittlungen laufen weiter. Die Behörden können ihn also jederzeit wieder einkassieren. Die verkündeten Lockerungen der Privatsphäreregelungen dürften das allerdings unwahrscheinlicher machen. In einem eigenen Telegram-Post teilte der Gründer nun kleinlaut mit, die Anpassung der Nutzungsbedingungen solle einen Missbrauch der Suchfunktion des Onlinedienstes verhindern, die einige Nutzer »für den Verkauf illegaler Artikel« genutzt hätten.

Repression zeigt sich einmal mehr als Mittel der Wahl, wenn es darum geht, Meinungsfreiheit zu begrenzen und Vernetzungen in Opposition zur politischen Linie der Herrschenden zu erschweren. Die besonderen Kompetenzen des französischen Staates in dieser Hinsicht sind unbestritten. Früheren Abschaltdrohungen, etwa von Bundesinnenministerin Nancy Faeser (SPD), hatte Telegram noch widerstanden. Die israelische Regierung wird sich freuen, dass ihre Interessen im Informationskrieg gegen Palästina nun auch in der EU mit mehr Nachdruck verfolgt werden.

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