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Aus: Ausgabe vom 28.09.2024, Seite 3 / Schwerpunkt
Auf die Straße gegen Krieg

»Nur Verhandlungen können dieses Grauen beenden«

Aufruf zur Friedensdemo am 3. Oktober in Berlin. Ein Gespräch mit Jutta Kausch-Henken
Von Marc Bebenroth
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Kleinster gemeinsamer Nenner: Demonstration gegen den Kriegskurs der Regierung in Berlin (25.11.2023)

Ihre Initiative »Nie wieder Krieg – Die Waffen nieder« will am 3. Oktober in Berlin so viele Menschen wie möglich unter dem Banner der Friedensbewegung zum Protest gegen Aufrüstung und den drohenden Großkrieg auf die Straße bringen. Weshalb haben Sie damit bis zum »Tag der deutschen Einheit« gewartet?

Wir haben im Frühjahr beschlossen, dass es dringend notwendig ist. Da war die Debatte um den Bundeshaushalt 2025 ein Anstoß für uns, unbedingt im Herbst eine große Demonstration machen zu müssen. Da war noch nicht klar, dass Bundeskanzler Scholz nach Washington fährt und die Stationierung von US-Mittelstreckenraketen in Deutschland mal eben verkündet. Hinzu kam später noch die Eskalation im Gazakrieg und mittlerweile auch im Libanon. Und weil man eine große Demonstration nicht in einer Woche vorbereitet bekommt, haben wir uns auf den 3. Oktober verständigt. Das ist ein guter Termin, nicht nur, weil auf ihn ein Brückentag folgt und es noch nicht so kalt ist, sondern weil dieser »Tag der deutschen Einheit« anders begangen werden sollte.

Sie zielen mit der Entscheidung für den kommenden Donnerstag somit auch auf die Kriegseinsätze der Bundeswehr nach 1989/90?

Das war nicht die primäre Absicht, aber ja.

Insgesamt zehn Menschen bilden Ihre Initiative. Wieso haben Sie den Kreis eher klein gehalten?

Wir sind eine kleine Gruppe und dachten uns, man muss es in die Hand nehmen und machen. Die Initiative besteht seit einigen Jahren, und wir kommen alle aus verschiedenen Bereichen der Friedensbewegung. Wir hatten uns anfangs getroffen und angefangen, Diskussionsrunden zu machen sowie mehrere Webinare. 2023 verständigten wir uns in einer Aktionskonferenz in einem größeren Kreis darauf, dass wir unbedingt eine Demonstration machen müssen. Wir haben also gesagt: »Wir machen das jetzt!« Für den 25. November planten wir die Demonstration, die zunächst medial totgeschwiegen wurde, dann aber, als Sahra Wagenknecht ihre Teilnahme zusagte, zu ihrer Demonstration hochgeschrieben worden war. Tatsächlich war jene Demo von einem breiten Bündnis vorbereitet worden, mit Diskussionen über den Aufruf und so weiter.

Befürworter eines Sieges der Ukraine als einzigen Weg zum Frieden sowie Anhänger einer bedingungslosen Unterstützung Israels und den »Verteidigungsangriffen« auf Gaza und den Libanon werfen Ihrer Initiative vor, nicht die üblichen Verurteilungen zu leisten. Weshalb verzichtet Ihr Aufruf darauf, und wie gehen Sie mit dieser Kritik um?

Wir haben für den 3. Oktober einen Aufruf vorgelegt, von dem wir annehmen, dass da möglichst viele Menschen mitgehen können. Unser Ziel ist, dass ganz viele Gruppen mit ihren eigenen Aufrufen mitmachen. Was Sie ansprechen, sind tatsächlich formelhafte Erklärungen, die wir deshalb in unserem Aufruf nicht abgeben. Wir stellen nicht das Existenzrecht Israels in Frage. Viele von uns betrachten den Ukraine-Krieg als völkerrechtswidrigen Krieg Russlands gegen die Ukraine. Aber der hat eine Vorgeschichte und Völkerrechtsbrüche von den USA, der NATO und der deutschen Regierung fanden auch schon vorher statt. Um nur zwei deutsche zu nennen: Jugoslawien-Krieg und Minsk II. Anstatt Formeln herunterzubeten, konzentrieren wir uns auf die Forderung: Die Kriege müssen beendet werden. Deutschland muss sich dafür stark machen, Verhandlungen zu führen. Das ist der einzige Weg, wie dieses Grauen in der Ukraine, in Gaza, im Libanon beendet werden kann.

Aus dem prowestlichen Lager werden immer wieder Stimmen laut, die sagen, Russland verweigere sich jeglichen Verhandlungen und müsse bloß sämtliche Truppen abziehen, um Frieden in der Ukraine zu schaffen. Was entgegnen Sie dem?

Will die Ukraine verhandeln? Ist mir nicht bekannt. Putin erklärt zumindest immer mal wieder, er verweigere keine Verhandlungen. Erst am 5. September bei einem Wirtschaftsforum in Wladiwostok. Vor dem Hintergrund kann ich den Vorwurf nicht mehr hören, wir würden Putin-Sprech an den Tag legen. Wir möchten, dass unsere Regierung aufhört, diesen Krieg und die anderen zu befeuern. Dabei setzen wir uns für ernstgemeinte Verhandlungen ein. Das, was zuletzt in der Schweiz auf dem Tisch lag, sehen wir – ebenso wie die russische Seite – nicht als ernstgemeinten Friedensplan an.

Wieso nicht?

Zum einen war Russland gar nicht angesprochen. Zum anderen wurde verlangt, was Sie bereits erwähnten: dass Russland zuerst mal aus der Ukraine abziehen muss. Das zu fordern, ist unrealistisch. Verhandlungen müssen auf einer Basis stattfinden, auf der man Kompromisse finden kann. Aber dass Russland von der Krim und von allem wieder abzieht, ist illusorisch.

Nach drei Landtagswahlen zeichnen sich in Thüringen, Sachsen und Brandenburg parlamentarische Kräfteverhältnisse ab, bei denen – mit Ausnahme durch Linkspartei und Bündnis Sahra Wagenknecht – zur Aufrüstung der Bundeswehr keine Widerworte zu erwarten sind. Wie blickt Ihre Initiative auf diese Wahlergebnisse?

Abgesehen von der sozialen hat die Friedensfrage auch in Brandenburg spürbar eine Rolle gespielt. Sie dürfte bei den Menschen, die jetzt gewählt haben, aber nicht für Grüne und SPD stimmten, stark im Vordergrund gestanden haben. Beim BSW muss man jetzt sehen, ob es irgendwo mitregieren wird und inwiefern es tatsächlich umsetzt, was vor der Wahl angekündigt wurde. Denn auch Landesregierungen haben einen gewissen Einfluss auf den Bund.

Sie sprechen sich im Aufruf zur Demo vehement gegen die geplante Stationierung von Mittelstreckenraketen der USA in der BRD aus. Weshalb greift für Sie nicht das Argument, dies sei notwendig, da Russland in der Exklave Kaliningrad ebenfalls Raketen stationiert hat?

Die Kapazitäten im Westen sind verglichen mit den Raketen in Kaliningrad und überhaupt der russischen Aufrüstung schon jetzt so extrem viel höher. Man braucht diese neuen Mittelstreckenraketen nicht in der BRD, um die Raketen aus Kaliningrad aufzuwiegen. Das ist ein vorgeschobenes Argument.

Aus Ihrer Sicht wird damit also kein Kräftegleichgewicht wiederhergestellt?

Nein. Das Kräfteübergewicht liegt ganz klar bei der NATO, dem Westen. Das sagt nicht RT (vom russischen Parlament finanzierter Auslandssender, jW), sondern das kann man in westlichen Militärzeitschriften lesen. Und diese Aufrüstungspläne sind ja auch nicht neu. Es heißt wiederholt, die Russen seien so aggressiv. Nachdem sie die Ukraine überrollt hätten, würden sie weitere Länder angreifen. Diese Stationierungspläne sind aber viel älter als der Einmarsch in die Ukraine am 24. Februar 2022. Es ist einfach verlogen, zu sagen, die Stationierung von Raketen sei eine Reaktion auf die brutale Kriegführung Russlands in der Ukraine.

Gilt das für Sie auch zum Beispiel mit Blick auf das »Sondervermögen« von 100 Milliarden Euro für Bundeswehr und Rüstungsindustrie?

Es fehlt überall Geld, aber für die Rüstung ist immer welches da. Da werden Sondervermögen eingerichtet. Da gibt es offensichtlich diese Probleme der Finanzierung nicht. Aufrüstung bedeutet immer Niedergang des Sozialen. Wenn das mit dem Zweiprozentziel der NATO und den Rüstungsausgaben so weiterläuft, wird es in ein paar Jahren heißen: Der Sozialhaushalt muss um die Hälfte gekürzt werden.

Vor allem die Gewerkschaftsspitzen fallen dadurch auf, dass sie für den Erhalt von Arbeitsplätzen auch in der Rüstungsindustrie kämpfen, an Abrüstung oder gar Konversion aber offenbar wenig Interesse haben.

Die Chance für ein Umdenken auch auf dieser Ebene der Gewerkschaften muss man immer sehen. Es gibt im Moment eine Bewegung von unten, auch bei der IG Metall, die diese Konversionsfrage aufwirft. So gibt es gewerkschaftliche Gruppen, die auch zu unserer Demo am 3. Oktober aufrufen und den Zusammenhang zwischen den Bemühungen der Regierung, Deutschland »kriegstüchtig« zu machen, und dem stattfindenden Sozialabbau ganz klar sehen. Die Konversion von Rüstungsproduktion war bereits vor zehn Jahren auf dem Bundesausschuss Friedensratschlag Thema. Man kann genauso gut Arbeitsplätze schaffen, wenn man eine Konversion macht, wahrscheinlich sogar mehr Stellen. Das ist das Einfache, was schwer zu machen ist. Aber in erster Linie müssen das die Gewerkschaften und die Gewerkschaftskollegen selber machen.

Jutta Kausch-Henken ist Mitglied der Initiative »Nie wieder Krieg – Die Waffen nieder«

Hintergrund: Gegenwind für Friedensdemo

Die Initiative »Nie wieder Krieg – Die Waffen nieder« zielt mit ihrem Aufruf zur Friedensdemo am 3. Oktober in Berlin nach eigenen Angaben auf einen möglichst breiten Konsens zur Forderung nach Friedensverhandlungen im Ukraine-Krieg sowie zur Beendigung der Gewalt in Gaza und im Libanon. In den vergangenen Wochen bekamen die Initiatoren Gegenwind aus dem proukrainischen Lager. So ruft der ukrainische Verein Vitsche mit Sitz in Berlin für den 3. Oktober zu einer Versammlung an der Siegessäule auf.

Diese ist explizit als Gegendemo mit dem Motto »Euer Frieden ist unser Todesurteil« angelegt. Die Initiatoren von »Nie wieder Krieg« werden als »Pseudopazifisten« bezeichnet, die Russland als »Aggressor in die Hände spielen«. Diese Gegendemo wird entsprechend von Bellizisten wie dem Sozialdemokraten Michael Roth öffentlich unterstützt. Der Bundestagsabgeordnete warf den Veranstaltern der Friedensdemo auf X vor, »das Geschäft von Imperialisten, Kriegstreibern und Terroristen« zu betreiben.

Als Beitrag zur Spaltung der Friedensbewegung kann auch der Aufruf des Landesverbands Berlin-Brandenburg der DFG–VK betrachtet werden. Dieser kündigt für den 3. Oktober eine Protestaktion vor der Vertretung der Russischen Föderation in Berlin an. Mit »Leichensäcken, Todkostümen und Graffiti« soll »gegen eine angebliche Friedensdemo« protestiert werden. »Das ist kein Pazifismus; das ist Putin-Propaganda!« wird Toni Schmitz, Sprecherin der DFG-VK Berlin-Brandenburg, zitiert.

Um 12.30 Uhr sollen die Auftaktkundgebungen der Friedensdemo beginnen. Redebeiträge soll es am Breitscheidplatz an der Gedächtniskirche, in Alt-Moabit in der Rathenower Straße und am Gleisdreieck/Schöneberger Ufer geben. Die Abschlusskundgebung soll um 14.30 Uhr am Großen Stern beginnen. Welche Positionen am Donnerstag tatsächlich eine Bühne erhalten, wird sich dann zeigen. (mb)

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