Absprünge ins Ungewisse
Von Marc BebenrothPlötzlich wollen noch mehr junge Kader erkannt haben, dass ihre Hoffnungen in Bündnis 90/Die Grünen auf breiter Linie enttäuscht wurden. In Hamburg hat die Bürgerschaftsabgeordnete Ivy May Müller auf der Plattform Instagram ihren Austritt erklärt. In Bayern und Niedersachsen hatten kurz zuvor die Vorstände der jeweiligen Landesverbände der Grünen Jugend ihren Austritt angekündigt.
Müller begründete ihren Schritt damit, dass die Grünen nicht wie von ihr erhofft »gegen Inflation, Rechtsruck und Klimakrise« Politik machen. Die 27jährige wirft der derzeit an drei Landesregierungen und der Koalition im Bund beteiligten Partei vor, »immer wieder Kompromisse mit den Reichen und den Konzernen« eingegangen zu sein. Die beiden bisherigen Kolandesvorsitzenden der Grünen Jugend Niedersachsen, Rukia Soubbotina und David Christner, kritisierten gegenüber dem NDR, dass die Partei zu sehr davon getrieben sei, mitzuregieren, wie der Sender am Freitag berichtete. »Wir haben oft versucht, Einfluss auf die Partei zu nehmen. Wir haben aber auch gemerkt, dass die Grünen diesen Weg nicht einschlagen wollen«, wird Soubbotina zitiert.
Tatsächlich hatte der Bundesparteitag der Grünen im November 2023 einmal mehr verdeutlicht, dass dem Jugendverband die Rolle des Feigenblatts zukommt. Nach außen äußern die »Altvorderen« aktuell Bedauern über die Austrittserklärungen. Greta Garlichs, Kovorsitzende des Landesverbandes in Niedersachsen, erklärte gegenüber dem NDR, den Grünen würden wichtige Nachwuchskräfte verlorengehen.
Der »Entfremdungsprozess« zwischen Partei und Parteijugend habe sich in Bayern über »die letzten Monate und Jahre« erstreckt, teilte der bisherige Landesvorstand dort mit. »Viele Entscheidungen, die Grüne in der Regierungsbeteiligung getroffen haben« sowie den aktuellen »programmatischen, inhaltlichen und strategischen Kurs« könne und wolle die aus acht Mitgliedern bestehende Spitze der Grünen Jugend Bayern »nicht länger mittragen«. Diese sei und bleibe »unser kritischer und meinungsstarker Jugendverband«, sagte die bayerische Grünen-Chefin Eva Lettenbauer auf Anfrage gegenüber dpa am Freitag. »Es stehen schon viele junge Menschen bereit, die Lust haben, weiter in der Grünen Jugend aktiv zu sein«.
Wie das Regionalmagazin »Buten un binnen« von Radio Bremen am Donnerstag berichtete, will die dortige Spitze der Grünen Jugend im Amt bleiben. »Es wird keine Austritte aus der Partei oder dem Jugendverband geben«, hatte der Landesvorstand zuvor mitgeteilt. Die Entscheidung des Bundesvorstands, geschlossen die Partei zu verlassen und einen neuen »linken Jugendverband« gründen zu wollen, war am Mittwoch abend bekanntgeworden. In Bremen respektiere man den Schritt »auf einer persönlichen Ebene voll und ganz«.
Die Begründungen, ob aus Hamburg, Niedersachsen, Bayern oder von der Bundesspitze der Grünen Jugend, verweisen allesamt auf den von Bündnis 90/Die Grünen mitgetragenen Aufrüstungskurs (»Sondervermögen Bundeswehr«), die als Verrat an der Klimaschutzbewegung betrachtete Räumung des von Kohlegegnern besetzten Dorfes Lützerath in NRW – es wurde dem Energiekonzern RWE von der Landesregierung zum Fraß vorgeworfen – sowie auf das Mitmachen der Grünen-Spitze beim Rechtsruck in der Migrationspolitik. Die Austrittswelle folgte terminlich auf die Rücktrittserklärung der Grünen-Bundesvorsitzenden Ricarda Lang und Omid Nouripour vom Mittwoch.
Wohin es die nun zurückgetretenen Verbandsspitzen zieht, gibt einen Hinweis darauf, dass die Absprünge bereits einige Zeit lang vorbereitet worden sein dürften.
So teilten die Hamburger Abgeordnete und die niedersächsischen Grüne-Jugend-Vorsitzenden mit, sich dem Projekt »Zeit für was Neues 2024« anzuschließen. Dieses will einen linke(re n Jugendverband gründen.
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