Was Herzl wohl denken würde?
Von Helga Baumgarten, JerusalemDas Thema zieht in der vergangenen Woche viele Interessierte an. Dabei hatte man sich in den üblichen Veranstaltungsorten der Stadt herausgeredet: Man sei an diesem Tag schon belegt. Aber am Rande von Basel und doch leicht erreichbar aus der Innenstadt, erklärte sich ein aufgeschlossener Pastor bereit, den Saal seiner Gemeinde bereitzustellen. Der Saal wird voll. Und er wird voll, trotz der Rolle, die Basel für die Entstehung des Zionismus gespielt hat.
1897, also 127 Jahre vor meinem Vortrag zum Völkermord, findet im Stadtcasino Basel der erste zionistische Kongress statt, auf dem der Zionismus als Bewegung gegründet wird. Theodor Herzl, der ein Jahr zuvor seine programmatische Schrift »Der Judenstaat« publiziert hatte, übernachtete im (bis heute) besten Hotel der Stadt, dem Hotel »Drei Könige«. Auf dem Balkon des Hotels wurde das historische Bild Herzls vor dem Rhein und der Rheinbrücke aufgenommen, mit seinem visionären Blick in die Zukunft.
Aber die Zeiten ändern sich. Herzl hätte die Nase voll vom heutigen Israel, wie wir aus B. Michaels Artikel »Was Theodor Herzl über das heutige Israel sagen würde« in der israelischen Tageszeitung Haaretz (12. August 2024) erfahren. Der Autor besuchte zum 75. Jahrestag von dessen Umbettung das Grab des Autors auf dem Herzlberg in Jerusalem und entspinnt eine fiktive Begegnung: Herzl steht, voll gekleidet in seinem bekannten Gehrock und neben ihm sein Zylinder, am Grab. Auf die völlig schockierte Frage von Michael, wie er denn aus dem Grab gekommen sei, antwortet Herzl: »Natürlich grub ich einen Tunnel, wie das heute jeder macht!« Nach der Ermordung des israelischen Premierministers Jitzchak Rabin im November 1995 habe er damit begonnen. Denn sie habe alle seine Visionen für einen jüdischen Staat zerstört. »Schließlich«, so meint er, »habe er nicht nur die programmatische Schrift ›Der Judenstaat‹ geschrieben, sondern vor allem das Buch ›Altneuland‹«.
Seine Vision für den Judenstaat sei »ein aufgeklärter Staat gewesen, Gleichheit unabhängig von Nationalität, Religion oder Geschlecht. Ein Staat, in dem die Generäle in den Kasernen und die Priester in den Synagogen bleiben müssen. Ein Staat, der sich der Gefahren, die von Nationalismus, extremistischer Religion und Rassismus ausgehen, bewusst ist.« Doch was daraus geworden sei: »Genau das Gegenteil. Ein Mülleimer von Rassismus, Nationalismus, Militarismus, Hass, religiösem Eifer, Diskriminierung von Frauen, Grausamkeit, Tyrannei, Korruption. Rabbiner in den Kasernen und Generäle in den Synagogen. Und ich soll dafür verantwortlich sein! Nein!« Damit wendet er sich an Michael: »Wie komme ich von hier zum Ben-Gurion-Flughafen?« »Es gibt keine Flüge«, so die Antwort von Michael. »Scheiße«, murmelt der Vordenker des Staates Israel, »man hat mich wieder verarscht«.
Zurück in die Realität: In Basel gibt es eine sehr aktive Palästina-Bewegung. Sie entstand 1997 als Gegenbewegung zum 100jährigen Jubiläum des Zionismuskongresses. Darin sind neben Schweizer Bürgern auch arabische und jüdische Oppositionelle (mit oder ohne Schweizer Pass) organisiert. 2004 wurde das Palästina-Komitee gegründet, heute bekannt unter dem Namen »Palästina-Solidarität Basel«. Sie gibt eine eigene Zeitschrift heraus: Palästina-Info. Außerdem gibt es eine eigene Webseite, auf der ihre regelmäßigen Veranstaltungen angekündigt werden.
Wichtig für sie ist die uneingeschränkte Unterstützung der BDS-Bewegung (Boycott, Divestment, Sanctions), die den Boykott, den Abzug aller Investitionen aus Israel und den besetzten Gebieten sowie Sanktionen fordert. Seit 2023 versuchen sie, sich landesweit zu vernetzen in einem breiten Bündnis von christlichen Aktivisten bis hin zu radikalen Linken. Sie wollen breit und heterogen weitermachen und nicht zuletzt junge Leute und studentische Aktivisten einschließen. Für den 5. Oktober ist eine Demonstration, zu der bundesweit mobilisiert wird, in Basel geplant, die tatsächlich schon genehmigt ist. Die Veranstalter hoffen auf mindestens 6.000 Teilnehmer.
Dies ist der 13. »Brief aus Jerusalem« von Helga Baumgarten. Brief zwölf über den palästinensischen Pfarrer Munther Isaac erschien in der Ausgabe vom 21. September
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