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Aus: Ausgabe vom 28.09.2024, Seite 7 / Ausland
Libanon

Nicht die ganze Wahrheit

Libanon: USA und Israel machen unterschiedliche Angaben zu möglicher Waffenruhe mit Hisbollah. Verweis auf Resolution ebenfalls selektiv
Von Knut Mellenthin
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Bereit zur Bodeninvasion? Israelische Militärfahrzeuge nahe der libanesischen Grenze am Freitag

Wer lügt denn nun? Israels Premierminister Benjamin Netanjahu, der abstreitet, dem Waffenstillstandsvorschlag der USA und ihrer Verbündeten für den Libanon, der am Donnerstag offiziell veröffentlicht wurde, vorher zugestimmt zu haben? Oder das Nahostteam von Präsident Joseph Biden, das behauptet, der diplomatische Vorstoß sei mit der israelischen Regierung »koordiniert« gewesen und wäre ohne deren sicher scheinende Zustimmung gar nicht erst unternommen worden? Oder sagen beide Seiten, wie es sich am Freitag darstellte, nicht die ganze Wahrheit?

Jedenfalls haben sich nach übereinstimmenden Berichten inzwischen israelische und US-amerikanische Vertreter getroffen, um über die vor allem von der Biden-Administration ausgehende Initiative zu diskutieren. Er schätze die Bemühungen der USA, betonte Netanjahu am späten Donnerstag. Die Gespräche würden in den kommenden Tagen fortgesetzt. Zuvor hatte das Büro des Premierministers Gerüchte über eine angebliche Anordnung, den Luftkrieg gegen die Hisbollah zu drosseln, als »Gegenteil der Wahrheit« bezeichnet. Das entsprach offenbar ebenso den Tatsachen. Auch die Kampftätigkeit im Gazastreifen werde fortgesetzt, »bis alle Kriegsziele erreicht sind«.

Netanjahu kündigte beim Verlassen des Flugzeugs, mit dem er zur UN-Vollversammlung nach New York gekommen war, an, Israel werde »fortfahren, Hisbollah mit all unserer Kraft zu treffen«. Als makabre Demonstration für das Gewicht dieser Aussage veröffentlichte das Büro des Premierministers ein Foto, das ihn im Flugzeug bei der Unterzeichnung eines Befehls zur Ermordung des Hisbollah-Funktionärs Muhammad Hossein Sarur in Beirut zeigen soll. Angeblich war dieser für die Drohneneinsätze der schiitischen Kampforganisation verantwortlich gewesen. Anders als sein Außenminister Israel Katz hatte Netanjahu zu keinem Zeitpunkt den Waffenstillstandsvorschlag der USA und ihrer Verbündeten abgelehnt, sondern nur darauf bestanden, dass die von ihm geführte Regierung über diesen noch nicht entschieden habe.

Elf Staaten und die EU haben die gemeinsame Stellungnahme unterschrieben, die in erster Linie von den USA zusammen mit Frankreich entwickelt worden war. Den beiden Regierungen ist es gelungen, Saudi-Arabien, die Vereinigten Arabischen Emirate und Katar als Unterzeichner zu gewinnen. In der Erklärung heißt es: Die Lage zwischen Israel und dem Libanon seit dem 8. Oktober 2023 sei »unerträglich« und stelle »ein nicht zu akzeptierendes Risiko einer breiteren regionalen Eskalation« dar. Die Beteiligten schlagen deshalb eine sofortige Waffenruhe von 21 Tagen vor, »um Raum für Diplomatie mit dem Ziel des Abschlusses einer diplomatischen Lösung zu schaffen, die mit der Resolution 1701 des UN-Sicherheitsrats übereinstimmt«.

Dieser entscheidende Punkt der von der westlichen Allianz ausgehenden Initiative hat bisher kaum Beachtung gefunden. Mit der Resolution, die einstimmig erfolgt war, wurde am 11. August 2006 ein Ende des Libanonfeldzugs angebahnt, den die israelischen Streitkräfte einen Monat zuvor begonnen hatten. Zwei Punkte der Entschließung sind im aktuellen Zusammenhang von zentraler Bedeutung. Erstens: Alle Organisationen außer den libanesischen Streitkräften müssen entwaffnet werden. Zweitens: Zwischen der Nordgrenze Israels und dem Fluss Litani ist eine 30 Kilometer tiefe »Sicherheitszone« zu errichten, in der nur Vertreter der libanesischen Regierung und der internationalen Blauhelmtruppe UNIFIL Waffen tragen dürfen.

Diese Regelung war von Anfang an unpraktikabel und nicht durchsetzbar. Der Vorstoß der USA und ihrer Verbündeten, in den sich auch drei arabische Staaten einbinden ließen, die Resolution 1701 wiederzubeleben, entspricht Israels offiziell erklärten Kriegszielen an der »Nordfront«. Dass die Hisbollah das akzeptieren würde, ist allerdings unwahrscheinlich. So gesehen besteht die Funktion der gemeinsamen Stellungnahme vor allem darin, ihr die Schuld an der Eskalation des Krieges zuzuweisen.

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