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Aus: Ausgabe vom 28.09.2024, Seite 8 / Inland
Kinderarmut

»Die Regierung nimmt jede Unterversorgung in Kauf«

Über den Zusammenhang von Kinderarmut und Militarisierung. Ein Gespräch mit Michael Klundt
Interview: Milan Nowak
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Waffen statt Kinder: Bundesregierung fördert lieber Rüstungsindustrie, statt Kinderarmut zu bekämpfen

Warum nahmen Sie an der 1. Frankfurter Armutskonferenz teil?

Zwischen EZB und Bankentürmen gibt es im reichen Frankfurt am Main noch sozial engagierte Menschen. Denen ist nicht egal, wenn man vor dem Hauptbahnhof auf Müllsammler, Obdachlose, Bettler und Drogensüchtige trifft oder sich im Taunus die Vermögensverwalter deutscher Milliardäre mit Beamten des Finanzministeriums über Steuervermeidungstricks austauschen. Dieses Geld fehlt für Schulen, Straßen, Brücken, ÖPNV, Kitas, Jugendhilfe und Krankenhäuser. Ich versuche, Maßnahmen gegen Kinderarmut zu fördern.

Kinderarmut ist ein eklatantes Problem in der BRD. Wie wird sie politisch gerechtfertigt?

Niemand will als Verteidiger von Kinderarmut dastehen. Beliebt bei Neoliberalen wie Christian Lindner ist die Verharmlosung von Kinderarmut durch Verzerrung: als Armut von Erwerbslosen oder Migranten. Das lässt vergessen, dass die Mehrheit armer Kinder erwerbstätige, aus Deutschland stammende Eltern hat. In ihr Bild passen keine Kinder von Niedriglöhnern, da man dann über prekäre Arbeit und armutsfeste Mindestlöhne sprechen müsste.

Warum wird Kinderarbeit nicht konsequent bekämpft?

Schaut man genauer hin, zeigt sich, dass Kinderarmut Teil eines Projekts für mehr soziale Ungleichheit im neoliberalen Kapitalismus ist. Deren Profiteure haben ein Interesse daran, dass die Umverteilung nach oben weitergeht.

Wo zeigt sich das?

Ein Beispiel ist die Bertelsmann-Stiftung. Sie hat die soziale Polarisierung seit Jahrzehnten mit Konzepten zur Privatisierung, Flexibilisierung, Deregulierung und Neoliberalisierung aller Gesellschaftsbereiche, besonders von Bildung und Sozialstaat, vorangetrieben. Über Jahrzehnte beförderten Gutachten und Schriften der Stiftung – sowie ihr eigenes Stiftungssteuersparmodell – mehr Ungleichheit. Die Folgen beklagen sie heute medienwirksam. Das spricht nicht gegen die Armutsstudien und ihre Verfasser, aber gegen die Politik der Stiftung und ihre Förderung von Zuständen, die sie nun als armutsbegünstigend und gesellschaftsspaltend kritisiert. Viele Kinderarmutsforscher blenden das aus. Ein wichtiger Armutsfaktor entgeht ihnen – dafür aber nicht die Drittmittel von Bertelsmann.

Welchen Zusammenhang sehen Sie zwischen Kinderarmut und militärischer Aufrüstung?

Nachdem die einstige grüne »Friedenspartei« beschlossen hatte, Rüstungsexporte in Kriegsgebiete seien gut und deutsche Waffen würden Leben retten, traf man sich Ende 2022 zum Bundesparteitag. Dort forderte Annalena Baerbock, ein Rüstungsprojekt für Saudi-Arabien im Jemen-Krieg zu unterstützen, weil sonst das 100-Milliarden-Aufrüstungsprogramm aufgestockt werden müsse, zu Lasten der Kindergrundsicherung. Doch der Deal einer Kindergrundsicherung für die Inkaufnahme toter jemenitischer Kinder hat sich genausowenig gelohnt wie die Rechnung, Sanktionen würden Russland mehr schaden als uns.

Die Regierung nimmt jede Unterversorgung des Bildungswesens, der Flüchtlingsbetreuung, des Bürgergeldes oder der Kindergrundsicherung in Kauf. Aber der Rüstungsetat, das Militär, die Waffenexporte sprudeln unwidersprochen wie nie zuvor – inklusive der Eskalationsgefahr. Ein durch Privatisierung, Hochrüstung und Wirtschaftskrieg arm gemachter Staat kann Kinderarmut kaum bekämpfen.

Was fordern Sie?

Kommunen können Kinderarmut nur begrenzt angehen. Aber sie können gebührenfreies Mittagessen in Kitas und Schulen, Lernmittelfreiheit, bessere Kultur-, Bildungs-, Wohnungs- und Gesundheitsförderung in benachteiligten Stadtteilen sowie eine aufgabenorientierte Jugendhilfe im Sinne der Kinderrechte fördern. Die Privatisierung von Sozialversicherungen, städtischen Wohnungen, Energieversorgern, Krankenhäusern und Pflegeheimen muss enden.

Wer Kinderarmut wirksam bekämpfen will, muss den exorbitant gestiegenen Reichtum ansprechen. Laut dem Deutschen Institut für Wirtschaftsforschung hat sich das Nettovermögen der deutschen Privathaushalte seit 20 Jahren auf 13,8 Billionen Euro mehr als verdoppelt, aber zu über 60 Prozent nur in Händen des obersten Zehntels.

Michael Klundt ist Professor für ­Kinderpolitik an der Hochschule ­Magdeburg-Stendal

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