Dorffest
Von Jürgen RothIch war ein bisschen faul und hoffte, Freund Ludwig riefe an und schlüge vor, mich mit seinem lichtblauen MAN-Trecker Baujahr 1960 abzuholen, um zusammen zum Dorffest zu kesseln, aber der Sauhund meldete sich nicht, und ich fühlte mich fürs Telefonieren zu schlapp.
Also schlurfte ich vor zum »Seven Bistro«, um mich mit einem Zurüstungsbier auf den sechshundert Meter langen Gewaltmarsch zum Bahnhof vorzubereiten.
Kamerad Gerhard hing am Tresen, trank Sternla und traktierte zwischendurch zwei Spielautomaten parallel. Meine Idee, er könne mich gleich mitnehmen – Gerhard wohnt in der prekären Richtung –, erwies sich augenblicklich als irrig, denn er, Gerhard, so beschied er mir, müsse noch mindestens eine Stunde Geld verdienen, rauchen und Sternla degustieren.
Aus dem einen wurden drei Stärkungsweizen, dann stimmte die somatische Verfasstheit.
Ich bewältigte die brutale Strecke bravourös. Vor dem hundertdreißig Jahre alten Bahnhof, in dem auch das schöne Löhe-Zeit-Museum untergebracht ist, in dem gerade eine Ausstellung zur Geschichte der im Nazifaschismus gebauten Munitionsanstalt gezeigt wird, standen etwa zwanzig Baldachinzelte, dazu Bierbänke und Biertische.
Die letzten Einzelhändler des Ortes boten Pfannen, Tonfiguren, Lampions feil, ein »Lokales Bündnis für Familie« und irgendwelche ungenauen Afghanen warben für irgendwas, und überall gab’s Kaiserschmarrn. Ich dachte, die Gemeinde wolle dem genialen Österreicher Hüttler die Reverenz erweisen, bis ich eine Verkaufsstelle für »Orig. Thüringer Rostbratwürste« (»Nur hier«) entdeckte. Aha, nicht bloß Hüttlers, sondern auch Höckes Geist schwebte über dem demographisch hochdifferenzierten Gewusel.
Ob sie den Arsch offen hätten, das sei hier Franken! fuhr ich die Rostbratwurstmarketender an. Die lachten nur und meinten, die heimische Wildschweinwurst sei ebenfalls aus, ich könne mich beruhigen.
André und sein Kneipengammlerkumpel kreuzten meinen Inspektionsweg, auf dem mir sogar eine Gratispediküre offeriert wurde, und motzten herum: »Des ganze Fest taugt nix, weil’s kaan Schnaps gibt.« Immerhin, das Dorn-Bräu aus dem fünfzehn Kilometer entfernten Bruckberg, wo der große Ludwig Feuerbach mehr als zwanzig Jahre gelebt hat (Bruckberg, so Feuerbach, habe »den Vorteil, dass hier kein Pfarrer und keine Kirche ist«), floss allerorten.
Auf dem Perron ward orientalisches Kinderballett dargeboten. Bei den Funktionären vom TSC erwarb ich ein Seidla und spendete das Pfand. Ich: »Sport muss sein.« – Einer der beiden: »Genau«. – Ich: »Nur bedingt«.
Nach dem dritten Schluck erspähte ich ganz hinten einen Sonnenschirm mit CSU-Logo. Die mischst du auf! nahm ich mir vor und latschte rüber.
»Ihr seid hier seit zehn Jahren politisch ziemlich eingedampft«, sagte ich zum Ortsvorsitzenden Arlt, »und wie ich sehe, habt ihr nicht mal einen Kühlschrank!« Daraufhin spendierte er mir ein Bayreuther Hell, und die stark vergnügte informelle Stammtischrunde lud mich zum Umtrunk ein.
Das Problem ist halt, dass die Konservativen die lustigen Gesellen sind. Ich bemängelte, das gewiss mundende Getränk sei handwarm, und die reizende Bäckereifachfrau Carmen, die meinen Vater nicht allein aus dem Reservistenverband gut kannte, replizierte: »Gehst halt zur SPD! Sin’ die überhaupt do? Oder zu die Grüna. Kriegst a Karamalz.«
Der Landwirt Martl war in Spitzenform. »Im Grünen wohnen, rot wählen und schwarz arbeiten«, erklärte er mir das Wesen der Moderne und lüftete sein Geheimnis: »Vom Geldausgeben wird ma’ net reich.«
Das Pfarrdorffest endete schließlich bei Ludwig, der im ältesten Haus des Ortes wohnt, in einem sogenannten Lehrhaus aus den zwanziger Jahren des 18. Jahrhunderts. Er kredenzte Schnaps – den norwegischen Linie-Aquavit, der, in Eichensherryfässern reifend, auf See zweimal den Äquator überqueren muss – und schenkte mir Lars Myttings Buch »Der Mann und das Holz. Vom Fällen, Hacken und Feuermachen«.
Das mit dem Hacken hat mir in Anbetracht meines Kopfes am nächsten Morgen eingeleuchtet.
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