Schaffe, schaffe, Häusle züchte
Von Sabine LuekenEine Stadt ist »Tat des Menschen wider die Natur«. So sah das 1925 der Architekt Le Corbusier. Seitdem hat sich nicht viel geändert. Strenge Formen, rechtwinkelige Grundrisse, serielle Fassadenstrukturen und Materialien wie Glas, Beton und Stahl beherrschen unsere Städte. Wie kann man angesichts fortschreitender Naturzerstörung, des Klimawandels und knapper werdender Ressourcen das Bauen verändern? Mit der Natur, statt gegen sie bauen? Geht das? Diese Fragen stellt die Ausstellung »Closer to Nature« und zeigt drei Projekte, die das versuchen. Mit Plänen, Skizzen und Modellen werden sie erklärt. Die Ausstellung ist ungewöhnlich für ein Kunstmuseum. Es geht nicht nur um eine technische Bauwende, sondern um deren kulturelle Dimension, die Veränderung der Wahrnehmung des Bauens und die Vereinigung von Architektur- und Naturerfahrung.
Die strengen Schwarzweißfotos aus der Serie »Die Peripherie als Ort. Das Hellersdorf Projekt« (1998) von Ulrich Wüst, 1949 in Magdeburg geboren, zeigen, wie in der klassischen Betrachtungsweise der Architekten Natur und Gebäude regelrecht kollidieren: Öde und feindlich liegen die vernachlässigten Grünflächen zwischen den Gebäuden. Fotos von Elisabeth Niggemeyer aus dem Band »Die gemordete Stadt« entfachten 1964 eine Debatte über den Städtebau der Nachkriegsmoderne, in der die Natur – nun eingeplant – ein klägliches Dasein fristete. Einen Perspektivwechsel bietet die Installation »THE Selbst mit großem Rasenstück« (1992) von Thomas Eller an. Sie zeigt den Menschen angesichts der Natur ganz klein, nicht im Mittelpunkt, wie noch in der zu Dürers Zeit gerade erfundenen Zentralperspektive, die dessen »Großem Rasenstück« (1503) Tiefenperspektive verlieh.
In Westberlin hatten sich in den 1980er Jahren vor allem im Zusammenhang der Internationalen Bauausstellung 1984/1987 Architekten mit ökologischem Stadtumbau beschäftigt, »behutsame Stadterneuerung« war das Motto der Stunde. Seit 1990 geriet das aus dem Blick, wichtiger wurden Hauptstadtwerdung und historisierende Architektur. »Der Bausektor heute ist eigentlich noch in der Steinzeit«, sagte unlängst Eike Roswag-Klinge, Professor für klimagerechte Architektur an der TU Berlin. »Er verursacht 40 Prozent der CO2-Emissionen, 55 Prozent des Abfallaufkommens und ist für 92 Prozent der Entnahmen mineralischer Ressourcen zuständig. Damit ist er einer der klimaschädlichsten Sektoren in Deutschland.«
Pilze sind, wie man weiß, überall. Die »Pilzprophetin« Vera Meyer, Professorin für Biotechnologie an der TU Berlin, entwickelt daraus zusammen mit dem Architekten Sven Pfeiffer Baumaterialien. Ihr neunköpfiges Kollektiv My-Co-X hat den in der Ausstellung begehbaren, 20 Quadratmeter großen My-Co-Space erstellt. Sein Unterbau ist aus Holz, darauf sind 300 schlangenschuppenförmige Platten aus einem recycelten Pilzverbundstoff zu einem an ein Schuppentier erinnernden Experimentalraum geformt, der auch von innen sehr gemütlich wirkt. Am Material, leicht, dämmend und vollständig abbaubar, wird weiter geforscht. Für die My-Co-X-Leute sind Pilze mit ihren Fähigkeiten zur Vernetzung, Transformation und Symbiose weniger Forschungsobjekt als Partner und Lehrer, sagen sie.
Beim Ansatz der Baubotanik werden Gebäude als lebendige Organismen verstanden, die wachsen und atmen. Die Architekten Ludwig und Daniel Schönle aus Stuttgart verbinden mit OLA – Office for Living Architecture – pflanzliche mit baulichen Elementen. Mit ihrem Entwurf gewannen sie im »Futurium«, dem Ausstellungs- und Veranstaltungshaus für Zukunftsfragen in der Nähe des Berliner Hauptbahnhofs, den dritten Preis. Eine echte Baumverwachsung in der Ausstellung zeigt, wie es hätte aussehen können. Das »Futurium« sei seit seiner Eröffnung vor fünf Jahren ein »Publikumsmagnet«, heißt es. Dort bleibt jetzt das Motto »Das Grün in die Stadt holen« nur ein Exponat auf Papier. Schade!
Lehm ist ein uralter Baustoff, den Menschen auf der ganzen Welt schon vor der Sesshaftwerdung verwendeten. Die 500 Jahre alten Hochhäuser in Schibam, Jemen, gehören zum Weltkulturerbe. Seit den 1990er Jahren erlebte der Lehmbau eine Renaissance, Alnatura und der Kräuterbonbonhersteller Ricola bauten in den 2010er Jahren ihre Firmensitze aus Lehm. Der wichtigste moderne Lehmbau Berlins steht an der Bernauer Straße. Die Kapelle der Versöhnung ist Teil der Gedenkstätte Berliner Mauer, von Rudolf Reitermann und Peter Sassenroth entworfen und von Martin Rauch realisiert. Rauch arbeitet mit vorgefertigten Elementen aus Stampflehm und überführt so die uralte Methode in die Serienproduktion. Neben Fotos und Modellen ist in der Ausstellung eine Installation aus diesem ansprechenden Material zu sehen und zu befühlen.
Nachhaltiges Bauen ist mehr als die Nutzung umweltfreundlicher Materialien. Die Projekte der Ausstellung zeigen Architektur als einen lebendigen Teil der Natur. Ob das in größerem Umfang realisierbar ist, steht auf einem anderen Blatt. Doch wie Vera Meyer sagt: »Aufgrund des Klimawandels hat die Gesellschaft gar keine andere Chance, als das Bauen und Wohnen komplett neu zu denken.«
»Closer to Nature. Bauen mit Pilz, Baum, Lehm«, bis 14. Oktober 2024, Berlinische Galerie, Berlin
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