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Aus: Ausgabe vom 28.09.2024, Seite 3 (Beilage) / Wochenendbeilage

Die Prorussen sind da

Von Arnold Schölzel
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Das Interview, das Deutschlandfunk-Redakteur Moritz Küpper in der vergangenen Woche mit dem russischen Botschafter in Deutschland, Sergej J. Netschajew, geführt hatte (siehe »Schwarzer Kanal« vom 21. September), war ein Betriebsunfall. Ein Russe im deutschen Staatsfunk? Das hat etwas vom 8. Mai 1945. In dieser Woche mühten sich u. a. die DLF-Redakteure Manfred Götzke und Christoph Heinemann darum, die Scharte auszuwetzen.

Götzke hat herausgefunden, dass zwar nicht die Russen wieder vor Berlin stehen, aber in Gestalt von BSW und AfD Prorussen vorgeschickt haben. Bei denen handelt es sich um eine Völkerschaft, die von ethnologischen Koryphäen wie Götzke erstmals ab 2014 in der Ostukraine ausgemacht wurde. Nach dem Putsch in Kiew schickten die Faschisten und Nationalisten, die dort seit Februar 2014 das Sagen haben, Mordbanden, die sich auf Stepan Bandera oder Hitler beriefen und sich der russischsprachigen Bewohner des Donbass annahmen: Wer Russisch spricht, ist im DLF seither ein Prorusse.

Götzke schreckt jedenfalls am Dienstag in der sonst zumeist betulich-sachlichen Sendung »Europa heute« seine Hörer auf: »Die prorussische Partei« BSW könne bald in der Brandenburger Landesregierung verankert sein. Bei ihr, bei der AfD und im Kreml hätten wohl die Sektkorken nach der »dritten Ostwahl« geknallt. Wobei das BSW, nicht die AfD Götzkes Alptraum ist. Die Partei verbreite nämlich »dieselben Narrative und teils auch die gleichen Fake News« wie Moskau. Bestätigen lässt er sich das von Thomas Franke, DLF-Autor und zusammen mit Gesine Dornblüth Betreiber einer journalistischen Russophobieschmiede. Franke zeichnet sich durch Stammelsätze aus und meint, der »Anteil des Kreml am Aufstieg« des BSW sei schwer auszumachen: Die Partei habe aber »populistische Forderungen für komplexe …, simple Forderungen wie Diplomatie statt …, es muss unbedingt geredet werden …«. Dem fügt er immerhin den fast vollständigen Satz an: »Sachen, die so zur Zeit gar nicht funktionieren in der Diplomatie.« So sachkundig geht es weiter mit: »Vertrauen vieler Menschen in unser Gesellschaftssystem« zerstören, »ständige Wiederholung« von »keine Aufrüstung«. Frage Götzke: Also habe Robert Habeck recht, wenn er meine, das BSW sei »von Putin gekauft«? Experte Franke: Das sei irrelevant, die machten das »sehr erfolgreich«. Im übrigen habe Transparency International kürzlich festgestellt, es gebe keinen Beleg für eine Kreml-Finanzierung.

Anschließend kommt Franke auf Bettwanzen in Paris als Beispiel für Stimmungsmache. Eine moskaugesteuerte Website habe 2023, also ein Jahr vor den Olympischen Spielen unter Ausschluss Russlands, die Tierchen thematisiert. Leider sagt Franke nichts dazu, warum die Russen so etwas nicht pünktlich 2024 fabrizieren. Schlamperei, Schlaf im Kreml?

Etwas schärfer als Götzke geht es Heinemann am Donnerstag an. Er verhört den BSW-Gruppenvize im Bundestag, Klaus Ernst, weil dessen Partei »ganz im Sinne des russischen Machthabers Putin« Bedingungen für eine Regierungsbeteiligung stelle. Kostprobe: »Die Ukraine verteidigt sich. Haben Sie verstanden?« – Ernst: Wenn Moskau mit NATO-Waffen angegriffen wird, dann ist nicht das Völkerrecht entscheidend, sondern »wie die Russen das sehen«. – Heinemann: »Das Völkerrecht ist egal?« – Ernst weist darauf hin, dass der Westen das Kosovo von Serbien durch einen Angriffskrieg abgetrennt hat. Und wenn im Kreml gesagt werde, das Wasser koche und es koche, dann sei das eventuell so. Heinemann: »Also kein Unterschied zwischen BSW und Kreml?« Usw.

»Unterhaltungen« dieser Art sind die Zukunft des kriegstüchtigen Journalismus: Mit Russen nicht mehr reden, bei Prorussen nicht zuhören.

Götzke hat herausgefunden, dass zwar nicht die Russen wieder vor Berlin stehen, aber in Gestalt von BSW und AfD Prorussen vorgeschickt haben.

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