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Aus: Ausgabe vom 30.09.2024, Seite 2 / Inland
Senat ignoriert Volksentscheid

»Das ist eine soziale Katastrophe«

Berliner Senat verweigert Umsetzung des Volksentscheids von »Deutsche Wohnen und Co. enteignen«. Ein Gespräch mit Carmel Fuhg
Interview: Carmela Negrete
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»Nicht euer Casino«: Demonstration gegen Mietenwahnsinn und Verdrängung (Berlin, 1.6.2024)

Auch nach drei Jahren wurde der Volksentscheid von »Deutsche Wohnen und Co. enteignen« nicht umgesetzt. Nun arbeitet Ihre Initiative an einem eigenen Vergesellschaftungsgesetz. Wozu braucht man überhaupt noch ein Abgeordnetenhaus?

Es würde natürlich schneller gehen, wenn das Abgeordnetenhaus das einfach umsetzen würde. Es ist politisch ein absoluter Skandal: Die Berliner haben entschieden, dass ein Prozess eingeleitet werden soll, um die großen Immobilienkonzerne zu enteignen. Statt dessen passiert überhaupt nichts.

Was ist seit der Abstimmung konkret geschehen?

Beim Volksentscheid haben fast 60 Prozent der Wähler dafür gestimmt, dass die Wohnungen dieser Konzerne in die öffentliche Hand überführt werden. Der Senat hat daraufhin eine Kommission aus hochdotierten Professoren eingesetzt. Sie kamen zu dem Schluss, dass es rechtlich möglich ist und sogar das beste Mittel wäre, um den Mietenwahnsinn zu bekämpfen. Es wurde festgestellt, dass man diese Konzerne vergesellschaften darf. Seitdem behauptet der Senat, dass noch weitere Gutachten nötig seien. CDU-Bürgermeister Kai Wegner hat dann gesagt: »Mit mir wird es keine Enteignungen geben.« Damit ist auch öffentlich klar, dass das Ergebnis blockiert wird.

Wie will die Initiative sicherstellen, dass es eine Enteignung und kein Rückkauf wird?

Die Konzerne würden für die Wohnungen lediglich eine Entschädigung erhalten, die deutlich unter dem Marktpreis liegt. Unser Vorschlag ist das sogenannte Faire-Mieten-Modell, das die Interessen der Allgemeinheit und der verschiedenen Interessensparteien berücksichtigt. Es basiert darauf, wie hoch die Mieten sind und wie viel über faire Mieten über 40 Jahre eingenommen würde. Wir orientieren uns also nicht an den Marktpreisen, sondern an bezahlbaren Mietpreisen. Wenn bestimmte Immobilien stark renovierungsbedürftig sind, wird das ebenfalls berücksichtigt und vom Entschädigungsbetrag abgezogen. Was übrig bleibt, bekommen die Konzerne als Entschädigung.

Würde sich dadurch die Situation auf dem Wohnungsmarkt verbessern?

Ja. Die Wohnungen sind knapp, die Mieten steigen kontinuierlich. Allein im letzten Jahr sind die Mieten um 26 Prozent gestiegen. Zwischen 2009 und 2022 haben sie sich fast verdoppelt, und die Kaufpreise haben sich in dieser Zeit verdreifacht. Gleichzeitig verlieren viele Wohnungen ihre Sozialbindung. Zudem gibt es eine Welle an Eigenbedarfskündigungen. Das ist eine soziale Katastrophe.

Die Initiative möchte also, dass nun über ein Vergesellschaftungsgesetz abgestimmt wird, das bei einer positiven Entscheidung auch umgesetzt werden muss?

Genau. Beim letzten Mal ging es um einen sogenannten Beschlussvolksentscheid. Dabei haben wir gesagt: Unser Ziel ist die Enteignung der großen Wohnkonzerne und die Vergesellschaftung der Wohnungen. Der Senat sollte alle notwendigen Maßnahmen einleiten. Da der jedoch nichts unternommen hat, haben wir entschieden, es selbst in die Hand zu nehmen. Das bedeutet, dass wir das Gesetz selbst schreiben und einen Gesetzesvolksentscheid initiieren. Das heißt, es wird nicht mehr nur ein Beschluss gefasst, den der Senat umsetzen muss, sondern direkt ein Gesetz verabschiedet. Mit der Abstimmung würde dieses Gesetz rechtsgültig.

Gab es hinsichtlich des Volksentscheids Unterschiede zwischen der jetzigen Regierung und der früheren »rot-rot-grünen« Koalition?

Ja, die SPD, insbesondere der konservative Teil um Franziska Giffey, war von Anfang an gegen den Volksentscheid. Aber da Linke und Grüne mit in der Regierung waren, gab es auch Stimmen, die gesagt haben: »Das muss umgesetzt werden.« So wurde diese Kommission eingesetzt und zumindest ein Eckpunktepapier ausgearbeitet. Bei der jetzigen Koalition aus CDU und SPD passiert nichts.

Befürchten die Politiker, die Initiative könnte Schule machen?

Ja, definitiv. Wir arbeiten im Bereich Wohnen, aber Grundbedürfnisse sollten generell nicht der Profitmaximierung dienen. Vor zwei Jahren haben wir auch die Initiative »RWE enteignen« unterstützt, bei der es um die Vergesellschaftung eines großen Energiekonzerns ging. CDU und SPD blockieren den Volksentscheid nicht nur aus Angst, dass sich solche Initiativen ausbreiten könnten, sondern auch, weil sie den Interessen der Immobilienwirtschaft verpflichtet sind.

Carmel Fuhg ist ­Sprecherin der Initiative »Deutsche Wohnen und Co. enteignen«.

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