Im zweiten Anlauf
Von Philip TassevNach der turbulenten ersten Sitzung des neuen Thüringer Landtags wurde bei der auf Sonnabend vertagten zweiten Sitzung nun der aus dem Eichsfeld stammende CDU-Politiker Thadäus König zum Landtagspräsidenten gewählt. Vorausgegangen war dem am Donnerstag eine von Beteiligten und Beobachtern als »Schmierenkomödie«, »Hängepartie« und »Katastrophe« bezeichnete Debatte, in der dem die Sitzung leitenden Alterspräsidenten, AfD-Mann Jürgen Treutler, wiederholt die Überschreitung seiner Befugnisse und Parteilichkeit, gar ein »Putschversuch« und »Machtergreifung« vorgeworfen wurden.
In der konstituierenden ersten Sitzung wählt das Parlament üblicherweise einen Landtagspräsidenten, der die Plenarsitzungen moderiert, Abstimmungen durchführt und die Parlamentsverwaltung leitet. Üblich ist auch, dass die stärkste Fraktion diesen Posten besetzt. Bei den Wahlen Anfang September war das mit 32,8 Prozent die AfD geworden, die damit berechtigt war, als erstes einen Kandidaten vorzuschlagen. Sie wollte die aus dem Münsterland stammende und 2018 wegen Betrugs verurteilte Wiebke Muhsal ins Rennen schicken. Im Vorfeld hatten die anderen im Parlament vertretenen Parteien – CDU, BSW, SPD und Die Linke – jedoch bereits angekündigt, keinen AfD-Landtagspräsidenten akzeptieren zu wollen. Aus den Reihen der CDU und mit Unterstützung von BSW und SPD wurde daher ein Antrag gestellt, die Beschlussfähigkeit des Parlaments festzustellen, um anschließend die Geschäftsordnung dahingehend abzuändern, dass auch die anderen Fraktionen bereits für den ersten Wahlgang Kandidaten aufstellen können. Treutler wollte das unter Berufung auf die Geschäftsordnung und auf verfassungsrechtliches Gewohnheitsrecht nicht zulassen.
In der Folge wandte sich die CDU nach der vierstündigen Chaossitzung an das vom rheinland-pfälzischen CDU-Mitglied Klaus-Dieter von der Weiden geführte Thüringer Verfassungsgericht. Die Richter entschieden am Freitag abend einstimmig, dass »eine Debatte und Beschlussfassung über eine Änderung der Geschäftsordnung bereits vor der Wahl des Landtagspräsidenten zulässig« sei. Das Gericht stellte außerdem fest, die beabsichtigte Regelung, allen Fraktionen bereits für den ersten Wahlgang Vorschläge für die Wahl des Landtagspräsidenten zu erlauben, sei keine Verletzung der Landesverfassung.
So wurde am Sonnabend der CDU-Kandidat König mit 54 Stimmen zum Parlamentspräsidenten gewählt. BSW, SPD und Die Linke, die vorab ihre Zustimmung zu König signalisiert hatten, stellen gemeinsam mit der CDU 56 Abgeordnete, von denen 55 anwesend waren. Zum Vizepräsidenten wählten die Abgeordneten den ehemaligen Fernsehmoderator Steffen Quasebarth (BSW) aus Erfurt, die Psychologin und Vorsitzende der Thüringer Rosa-Luxemburg-Stiftung Lena Saniye Güngör (Linke) aus Dortmund und die Erfurter Neurologin Cornelia Urban (SPD). AfD-Kandidatin Muhsal fiel bei der Wahl durch. Der Thüringer CDU-Chef Mario Voigt gab sich versöhnlich und betonte, auch der AfD stehe ein Stellvertreterposten zu. Er sehe bei der AfD eine »Einsicht in Notwendigkeiten«.
Alterspräsident Treutler erklärte zwar, er akzeptiere die Entscheidung des Gerichts, aus seiner Partei kam allerdings Kritik. Der parlamentarische Geschäftsführer der AfD-Fraktion, Torben Braga, warf der CDU »taktische Überlegungen« und die Verletzung parlamentarischer Gepflogenheiten vor. Der Kovorsitzende der Thüringer AfD, Stefan Möller, sagte, er habe »erhebliche Zweifel an der politischen Neutralität und Unbefangenheit von einigen Richtern«. Sein Amtskollege Björn Höcke beklagte »Taschenspielertricks«.
Nach der Sitzung vom Donnerstag wurde aus CDU und SPD erneut die Forderung nach einem Verbot der AfD erhoben. So schrieb etwa der Vorsitzende der Thüringer SPD, Georg Maier, auf der Plattform X, es hätte sich gezeigt, »dass die AfD aggressiv kämpferisch gegen den Parlamentarismus« vorgehe. Der CDU-Bundestagsabgeordnete und frühere Ostbeauftragte der Bundesregierung, Marco Wanderwitz, sagte der Taz, die Thüringer AfD folge »dem Drehbuch der Verächtlichmachung der parlamentarischen Demokratie und ihrer Institutionen«. Es bedürfe »dringend eines Verbotsverfahrens« nach Artikel 21 des Grundgesetzes.
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