Die Instrumente des Saïed
Von Werner RufAm kommenden Sonntag wählt Tunesien einen neuen Staatspräsidenten. Die Bedingungen, unter denen sie stattfinden, gleichen einer Posse. Lange Jahre war das Land auf der Webseite des Auswärtigen Amtes als »Leuchtturm der Demokratie« aufgeführt, galt es doch als Ursprung des »Arabischen Frühlings«: 2011 war Diktator Ben Ali bei einem Volksaufstand davongejagt worden, wie in einer Kettenreaktion erhoben sich die Massen in nahezu allen arabischen Ländern.
2014 gab sich Tunesien eine neue bürgerlich-demokratische Verfassung. 2019 gewann Kaïs Saïed, Dozent für Staats- und Verfassungsrecht an der Universität Tunis, ohne Unterstützung einer Partei die Präsidentschaftswahl. Zwei Jahre später löste er das Parlament auf und regiert seither einsam durch Dekrete. Wiederholt setzte er Richter ein und entließ sie. 2022 präsentierte er eine neue Verfassung: Hinfort gab es für die neue Volksvertretung keine Listenwahl (Parteien) mehr, sondern nur noch eine Persönlichkeitswahl. Die diktatorische Position des Staatspräsidenten soll nunmehr für eine zweite Amtszeit gesichert werden. Hierfür hat Saïed sich die noch immer »unabhängig« genannte Wahlbehörde unterstellt.
Die Hürden zur Aufstellung eines Kandidaten sind denkbar hoch. Bewerber müssen muslimischen Glaubens, mindestens 40 Jahre alt sein, ihre Eltern und Großeltern müssen die tunesische Staatsangehörigkeit (gehabt) haben. Vierzehn Kandidaturen für die jetzigen Wahlen für das höchste Staatsamt sind abgelehnt worden, meist wegen des Vorwurfs unvollständiger Unterlagen. Denn jenseits der oben erwähnten Voraussetzungen müssen Bewerber Unterstützungsunterschriften von zehn Parlamentariern, 40 gewählten Gemeindevertretern und 10.000 Wählern vorlegen, davon mindestens je 500 aus zehn verschiedenen Wahlkreisen. Weiter gibt es keine staatliche Wahlkampfkostenerstattung. Die Kandidaten müssen also reich sein oder selbst Unterstützungsgelder sammeln. Und: Dieses Geld soll innerhalb der 21 Tage des Wahlkampfs ausgegeben werden. Übrig blieben drei Kandidaten: der Amtsinhaber und zwei weitere relativ Unbekannte, von denen einer im Gefängnis sitzt.
Dies gilt auch für weitere bekanntere Bewerber, denen Verschwörung gegen den Staat vorgeworfen wird. Fast alle sind schon seit Februar 2023 im Knast, darunter nahezu die gesamte Führung der islamistischen Partei Ennahda, aber auch ehemalige Minister, Geschäftsleute und Journalisten. Insbesondere die Presse ist das Ziel systematischer Repression. Kritik am Wahlverfahren kam vor allem von Rechtsanwälten, so von der Tunesischen Liga für Menschenrechte. Sie verwies darauf, dass die Mehrheit der Kandidaten gerichtlich verfolgt und das Beibringen der geforderten Unterlagen von einer parteiischen Verwaltung behindert wird. Der Versuch, die Entscheidungen der Wahlbehörde durch ein Verwaltungsgericht prüfen zu lassen, wurde durch eine Gesetzesinitiative gestoppt, durch die das Parlament dem Verwaltungsgericht rückwirkend die Entscheidungskompetenz entziehen kann.
All das findet in einem Klima des sozialen und wirtschaftlichen Niedergangs statt: Die Wirtschaft schrumpft, entsprechend wächst die Korruption. Seit gut zwei Jahren verhindert Saïed ein Abkommen mit dem Internationalen Währungsfonds (IWF), das die Gewährung neuer Kredite von den üblichen Strukturanpassungen abhängig macht, wie der Beendigung der Subventionen für Grundnahrungsmittel und der Privatisierung staatlicher Betriebe. Denn in diesem Fall fürchtet er, dass sich die Hungerunruhen der 80er Jahre wiederholen könnten. So ist ihm die Präsidentschaft für weitere fünf Jahre sicher. Auch der Abbau demokratischer Strukturen und Rechtsstaatlichkeit wird sich fortsetzen. Für einen erfolgreichen Widerstand gegen den IWF wären gerade sie wichtig.
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