Noch mehr für Reiche
Von Hansgeorg HermannDer neue französische Premierminister Michel Barnier wird den Haushaltsplan für das kommende Jahr nicht, wie gesetzlich vorgeschrieben, am 1. Oktober vorlegen können. Zum ersten Mal seit 1962 verpasst damit eine Regierung die von der Verfassung vorgegebene Frist, die den »ersten Dienstag im Oktober« als Einstieg in die alljährliche Haushaltsdebatte vorsieht. Barnier, den Staatschef Emmanuel Macron erst zwei Monate nach den vorgezogenen Neuwahlen am 7. Juli zum Ministerpräsidenten ernannte, sah sich nach eigenen Worten »nicht in der Lage«, den Haushalt unter diesen Umständen pünktlich der Nationalversammlung zu präsentieren. Klar ist allerdings schon jetzt, dass er den 577 Abgeordneten diesen Dienstag zur ersten Vollversammlung nach den Wahlen ein Staatsbudget ankündigen wird, das wegen der seit 2017 dem Kapital geschuldeten Finanzpolitik Macrons im Milliardendefizit versinkt.
Nicht einmal der Haushalt für das laufende Jahr 2024 – Gesamtvolumen rund 485 Milliarden Euro – ist bis zur Stunde ausgeglichen. Der nach den Neuwahlen ausgeschiedene bisherige rechtskonservative Wirtschafts- und Finanzminister Bruno Le Maire hinterlässt nach eigenen Angaben ein nicht gestopftes Loch von 16 Milliarden Euro. Wie der französische Rechnungshof im Juli bilanzierte, wird das Staatsdefizit auch im Jahr 2025 nicht sinken, sondern voraussichtlich von derzeit rund 5,1 Prozent auf die Rekordhöhe von rund 6,2 Prozent des BIP anwachsen. Die von Le Maire versprochene Reduzierung des Defizits auf 2,9 Prozent bis zur nächsten Präsidentschaftswahl im Jahr 2027 bezeichnete der Rechnungshof in seinem Bericht als »wenig realistisch«.
Entscheidenden Anteil am Sinkflug der französischen Staatsfinanzen hat nach Ansicht der staatlichen Kontrolleure Macrons Steuerpolitik. In den Jahren 2017 bis 2023 durften sich nicht nur gutsituierte sogenannte mittelständische Betriebe über Macrons Geschenke freuen, sondern vor allem Großunternehmen und ihre finanzkapitalistischen Begleiter. Macron ließ die Steuersätze für Unternehmen von 33,3 auf 25 Prozent senken; er setzte eine »flat tax« von 30 Prozent auf Einnahmen aus Dividenden und Kapitalzinsen durch; die Vermögensteuer strich er gänzlich und ersetzte sie durch eine Immobiliensteuer – allein diese Maßnahmen kosteten den Staat seit 2019 rund 3,1 Milliarden Euro. Insgesamt, analysierte der Rechnungshof, verlor die staatliche Haushaltskasse durch Macrons Finanzpolitik seit 2017 mehr als 62 Milliarden Euro.
Bezeichnend für die einem vollkommen neoliberalem Gesellschaftsmodell unterworfene Haushaltspolitik des Präsidenten und seiner rechten Helfer in der Nationalversammlung ist, wofür das Geld bisher ausgegeben und das Ergebnis der von ihm angeordneten Neuwahlen inzwischen umgesetzt wurde. Obwohl im Land nach Angaben der Schulbehörden bis zu 3.000 Lehrerinnen und Lehrer fehlen, wurde – als Beispiel – das Ministerium für Nationale Erziehung mit rund 26,6 Milliarden Euro abgespeist. Im Vergleich dazu durfte sich das Armeeministerium über eine Erhöhung seines Budgets von 39,2 Milliarden im Jahr 2021 auf rund 68 Milliarden Euro 2024 freuen. Neue Schulministerin wurde unter Barnier vor einigen Tagen Anne Genetet, eine Hinterbänklerin in Macrons vormaliger Regierungsfraktion Renaissance. Ihre Qualifikation, nachzulesen in bissigen Kommentaren der Hauptstadtpresse: Als Auslandsfranzösin und Ehefrau eines Wirtschaftskaders in Singapur gab Genetet Koch- und Benimmkurse für das Dienstpersonal des neokolonialen Establishments vor Ort.
Nicht angemessen scheint der parlamentarischen Opposition auch die Neubesetzung des Wirtschafts- und Finanzressorts. Der linke Wahlsieger, der Nouveau Front Populaire (NFP, Volksfront), beklagte sich über die offenbar völlig mangelnde Erfahrung des neuen, nur 33 Jahre alten Ministers Antoine Armand im Geldgeschäft. Das rechtsextreme Lager empörte sich über dessen »Frechheit«, das die Regierung Barnier duldende und mittragende Rassemblement National (RN) als »nicht dem repubikanischen Lager« zuzurechnende politische Formation zu bezeichnen. Den in der Folge drohenden Machtverlust seiner Regierung verhinderte Barnier mit einem entschuldigenden Telefonanruf bei RN-Chefin Marine Le Pen.
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