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Aus: Ausgabe vom 30.09.2024, Seite 12 / Thema
Architektur in der DDR

Wohnen neuen Typs

Die Industrialisierung, das Kernproblem des Bauens in der DDR
Von Martin Küpper
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»Mensch und Bildung«, 1974. Das Monumentalwerk des damaligen Aspiranten Gerhard Krüger befindet sich heute zwischen den Lehrgebäuden LG2A und LG2B an der heutigen BTU Cottbus-Senftenberg

Wer heute über die industrielle Baukultur der DDR spricht, provoziert viele Reaktionen, vor allem negative: Der gebaute Sozialismus sei in Beton gegossene Langeweile und Tristesse. Der Vorwurf ist nicht neu. Schon 1962 reagierte der Schweizer Architekt Hans Schmidt, der am Institut für Typographie arbeitete, auf den Vorwurf, »Kisten für lebende Menschen zu bauen«, mit der Frage: »Muss ­industrielles Bauen langweilig sein?« Nicht unbedingt, antwortete er. In Material, Form und Ausführung der Häuser sei die Eleganz und Leichtigkeit der industriellen Fertigung noch nicht sichtbar, und die neuen Städte zeichnen sich dadurch aus, »dass man vor lauter Häusern die Stadt nicht mehr sieht«. Die Kritik war Selbstkritik und Aufforderung, die Notwendigkeit des industriellen Bauens ästhetisch zu bewältigen. Gesamtstrukturen sollten durch erlebbare Kontraste gekennzeichnet sein, typisierte Bauten individuelle Aneignung und Gestaltung ermöglichen.

Voraussetzungen dafür waren die Vergesellschaftung von Grund und Boden und die Industrialisierung des Bauens. Beides ist nicht vollständig gelungen. Noch 1989 befanden sich rund 41 Prozent der sieben Millionen Wohnungen in privater Hand, 59 Prozent in volkseigenem und genossenschaftlichem Eigentum. Unter Industrialisierung des Bauwesens verstanden die Verantwortlichen den breiten Einsatz industrieller Methoden. Die Bauproduktion sollte schrittweise von der Baustelle in die Fabrik verlagert werden. Dort sollte die Arbeit in Teilprozesse zerlegt werden: Mechanisierung, Automatisierung, Taktverfahren, Vorfertigung, Serien- und Fließfertigung. Auf der Baustelle sollte schließlich die Montage erfolgen.

Darüber hinaus waren Typenprojektierung, Typisierung und Typenbau die Schlagworte der Zeit. Die Typenprojektierung hatte zum Ziel, Bauwerke gleicher Zweckbestimmung in gleicher Form mehrfach zu errichten. Dazu mussten bei der Typisierung wesentliche Merkmale der Gebäude wie Art, Form, Zweck und Größe festgelegt werden. Das Ziel der Typisierung war der Typenbau, bei dem aus einem Satz von Teilen immer wieder das gleiche Gebäude errichtet wurde. In Anlehnung an das Bauhaus wurde dieses Konzept auch als »Baukastensystem« bezeichnet. Demnach wird ein System in seine Elemente zerlegt, wobei neue Elemente hinzugefügt werden können. Durch die Rekombination der Elemente sind unterschiedlichste Konfigurationen möglich, auch unter Berücksichtigung lokaler Bautraditionen oder künstlerischer Besonderheiten.

Die Ausdifferenzierung des industrialisierten Bauens hat die Baukultur der DDR entscheidend geprägt. So entstand eine Vielfalt von Architekturen, die von einer an Einfachheit orientierten Formensprache bis hin zu künstlerisch oder symbolisch aufgeladenen Besonderheiten reichte. Anhaltender Material- und Arbeitskräftemangel bremsten jedoch die Möglichkeiten der Industrialisierung. Als mit dem ehrgeizigen Wohnungsbauprogramm unter der Ägide Erich Honeckers die Reproduktion der Stadt und Erhalt wie Ausbau der Infrastruktur zugunsten der raschen Bebauung der Außenbezirke zurückgestellt wurden, erwies sich die Krise der Stadt als Teil der Krise der Gesellschaft. Während das angestrebte Ziel der Modernisierung und des Neubaus quantitativ erreicht wurde und Millionen von Menschen bessere Wohnverhältnisse erhielten, konnte die Wohnungsfrage als soziales Problem nicht gelöst werden. Insbesondere der Verfall der Innenstädte und die noch unzureichende soziale Infrastruktur in den Neubaugebieten untergruben das »Heimischfühlen« großer Teile der Bevölkerung.

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    Nicht nur dieses Gebäude, sondern das gesamte WBS-70-Ensemble des Wohngebiets Neustrelitzer Straße 49–109 in Neubrandenburg steht seit März 2020 unter Denkmalschutz
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    Tatort Magdeburg-Neustädter-See. Ein Zehngeschosser des Typs »M 10« (Magdeburg, zehn Etagen) wurde Anfang des Jahres 2024 im Schrotebogen abgebrochen
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    Eine perspektivisch von Altbau und Marienkirche gerahmte sogenannte Altstadtplatte in der Friedrich-Loeffler-Straße in Greifswald
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    Japanische Moderne. Das 1981 eröffnete Interhotel »Merkur« in der Messestadt Leipzig
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    An den Giebelseiten mehrerer Hochhäuser im Stadtzentrum von Suhl finden sich vorgefertigte Betonstrukturelemente. Entwurf: Waldo Dörsch, 1974. Fertigung im Plattenwerk

Martin Küpper ist Philosoph. Am 5. Oktober spricht er auf der jW-Veranstaltung zum 75. Gründungstag der DDR im Berliner Kino »Babylon«

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  • Leserbrief von Onlineabonnent/in Joachim S. aus Berlin (30. September 2024 um 09:13 Uhr)
    Die wirtschaftlichen Möglichkeiten der DDR für die Lösung der Wohnungsfrage als soziales Problem waren in all den Jahren ihrer Existenz begrenzt. Dass der heute hohnlachende Westen kräftig dabei mitmischte, dass das immer so blieb, darf durchaus erwähnt werden. Die Kraft hätte nicht gereicht, die Lösung der Wohnungsfrage vorwiegend durch Bauen und Sanieren in den Innenstädten zu lösen. Deshalb vor allem gab es die Konzentration der Kräfte des Wohnungsbaus auf die weitaus kostengünstigere »Grüne Wiese«. Dort konnte man mit dem selben Aufwand deutlich mehr der dringend benötigten Wohnungen fertigstellen. Dass die DDR-Führung die dadurch in den Innenstädten entstehenden Probleme nicht erkennen konnte, ist eine Mär. Was wahr ist: Sie konnte sie nicht gleichzeitig mit dem Wohnungsneubau lösen, obwohl auch in diesen Jahren nicht wenig Geld für Instandsetzung und Instandhaltung ausgegeben wurde. Allein im später so oft gescholtenen Stadtbezirk Berlin-Prenzlauer Berg wurden damals Jahr für Jahr über 1.000 Wohnungen grundsaniert. Nach der Wende brauchte man dann dort oft nur noch frische Farben auf die Fassaden aufzubringen, schon war die Wirkung des Wirtschaftswunders West perfekt. Dass die Existenz eines auf mehrere Jahrzehnte angelegten Wohnungsbauprogramms ein Ausdruck für die Krise einer Gesellschaft sein soll: Auf solch eine verquere Einschätzung muss man dagegen erst einmal kommen.

    1988 wurden in der DDR rund 219.000 Wohnungen fertiggestellt, davon etwa 110.000 im Wohnungsneubau. Das heißt, fast die Hälfte besseren Wohnraums entstand in der schon bisher vorhandenen Substanz. Dabei stieg der Anteil der Bauleistungen für die Modernisierung von Altbauten an den Bauleistungen für den Wohnungsbau, obwohl er eigentlich immer viel zu niedrig war, von Jahr zu Jahr an und lag 1988 um fast ein Drittel höher als 1980. (Statistisches Jahrbuch der DDR 1989, S. 168). Von einer unterstellten Untätigkeit der DDR in den Innenstädten sprechen diese Zahlen nicht. Im Übrigen sollte durchaus einmal die Frage erlaubt sein, wie es mit der Lösung der Wohnungsfrage als soziales Problem in der so vielfach reicheren BRD steht. Immerhin sind inzwischen 36 Jahre ins Land gegangen, nachdem die »verfehlte Baupolitik der SED« durch die weit bessere der Marktwirtschaft ersetzt wurde. Das bedeutet ja, es gab inzwischen Zeit und Möglichkeiten genug, blühende Innenstädte in allen Regionen des Landes und einen Überschuss an bezahlbarem Wohnraum zu schaffen.