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Aus: Ausgabe vom 30.09.2024, Seite 15 / Politisches Buch
Ausbeutung

Sushi ins Haus

Ausgebeutet und ohne Vertretung: Ein Buch über das Leben von Arbeitsmigranten in Österreich
Von Dieter Reinisch
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Für einen Hungerlohn wird bei Minusgraden warmes Essen in warme Wohnungen geliefert (Wien, 27.2.2018)

Als am Sonntag über sechs Millionen Österreicherinnen und Österreicher zur Wahl eines neuen Parlaments aufgerufen waren, konnte daran ein großer Teil der Bevölkerung nicht teilnehmen: Allein in der Bundeshauptstadt Wien hat annähernd ein Drittel der Wohnbevölkerung kein aktives oder passives Wahlrecht. Es sind Migranten, Personen, die im Ausland geboren wurden und keine österreichische Staatsbürgerschaft besitzen. Sie werden durch das fehlende Wahlrecht systematisch vom demokratischen Prozess ausgeschlossen und so politisch diskriminiert. Das führt dazu, dass sie auch ökonomisch und sozial stärker benachteiligt und ausgebeutet werden als Lohnarbeiter mit österreichischem Pass.

Im Jahr 2022 hatten rund 1,7 Millionen in Österreich lebende Menschen ihren Geburtsort außerhalb des Landes, schreibt Johannes Greß. Er lebt als freier Journalist in Wien. In seinem kürzlich erschienenen Buch »Ausbeutung auf Bestellung« schreibt er über die »migrantische Schufterei« in prekären Arbeitsverhältnissen. Seit Jahren spezialisiert sich Greß in seiner journalistischen Arbeit auf Recherchen zu prekären Beschäftigungsverhältnissen: Fahrradboten, die 16 Stunden pro Tag arbeiten müssen, Paketzusteller, die um fünf Uhr morgens das Haus verlassen und nie vor 19 Uhr heimkommen, weibliches Reinigungspersonal, das ohne geregelte Anstellungen halblegal zu überleben versucht und regelmäßig sexuell belästigt wird, wenn es die Anwesen des Wiener Bürgertums säubert.

Es ist eine lange Liste unterschiedlicher Formen der Ausbeutung, die Greß in seinem Buch exemplarisch abarbeitet. Der Autor schöpft dabei aus seinem direkten Einblick in die eklatanten Ausbeutungsverhältnisse, die er in direkten Gesprächen mit Betroffenen gewonnen hat. Dadurch macht er eine Arbeitswelt, die in Teilen durchaus als moderne Form der Sklaverei bezeichnet werden kann, sichtbar. Eine Arbeitswelt, die für viele Österreicher, die sich über die Sushizustellung direkt ins Haus durch syrische Essenslieferanten und die Paketzustellung an bis zu 17 Stunden des Tages durch ungarische Lieferfahrer freuen, unbekannt und unsichtbar ist. Es sind aber nicht nur die Hungerlöhne und unmenschlichen Arbeitszeiten, die Greß in den Blick nimmt. Unbeachtet von der Öffentlichkeit starben in den vergangenen Jahren in Österreichs Wäldern mehr als ein Dutzend rumänische Forstarbeiter, ist im Buch zu lesen.

In dem Buch werden diese Verhältnisse nicht nur ungeschönt dargestellt. Greß fragt auch nach den Gründen für diese Zustände und danach, wieso es den Betroffenen schwerfällt, sich dagegen zu wehren. Nicht nur die mangelnden Sprachkenntnisse und der unklare Aufenthaltsstatus sind Probleme, die migrantische Arbeiter überwiegend davon abhalten, sich zu organisieren. Österreich sei eines von den europäischen Ländern, in denen es am schwersten sei, Zugang zum Arbeitsmarkt und eine Aufenthaltsgenehmigung zu bekommen, meint Greß.

Diese Menschen werden daher in prekäre, halblegale oder teilweise illegale Arbeitsabhängigkeit gedrängt, da ihnen die Alternativen fehlen. Dadurch bewegen sie sich überwiegend außerhalb der traditionellen Arbeiter- und Gewerkschaftsbewegung. In Gewerkschaften seien sie kaum vertreten. »Betriebsräte sind in migrantischen Branchen eine Seltenheit«, schreibt Greß. Denn einen »besonders hohen Organisationsgrad« weisen die österreichischen Gewerkschaften nur dort auf, wo »eine relativ einheitliche, deutschsprechende, männliche Gruppe Schicht für Schicht geschlossen in die Fabrik schlendert«, stellt der Autor fest. Nicht nur die Parlamentsparteien sind für die migrantischen Arbeiter keine Vertretung – auch die Gewerkschaften sind es nicht.

Greß zeichnet ein für manche Leserinnen und Leser des Buches womöglich schockierendes Bild von der Lage eines Teils der Arbeiterklasse, der rücksichtslos ausgebeutet wird. Schon ökonomisch und sozial marginalisiert, werden diese Menschen ganz ungeachtet ihrer Bedeutung für das Funktionieren der österreichischen Gesellschaft auch politisch ausgegrenzt. Daran, dass sie nicht wählen dürfen, wird sich wohl auch in der kommenden Legislaturperiode nichts ändern. Keine der im Parlament vertretenen Parteien hat bisher gegenüber migrantischen Interessengruppen die Absicht signalisiert, das aktive und passive Wahlrecht auf alle Menschen, die in Österreich leben, auszuweiten.

Johannes Greß: Ausbeutung auf Bestellung: Österreicher findest’ für die Arbeit keine. ÖGB-Verlag, Wien 2024, 268 Seiten, 22,90 Euro

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