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Aus: Ausgabe vom 01.10.2024, Seite 3 / Schwerpunkt
Österreich

Eindeutiges Ergebnis

Wahlen in Österreich: Rechte FPÖ gewinnt und liberale Neos im Aufwind. Deutlich verloren haben alle anderen
Von Dieter Reinisch, Wien
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Auftritt nach der Wahl am Sonntag in Wien: Kickl triumphal, Babler konsterniert und Kogler abgestürzt (v. l. n. r.)

In vielen Belangen ist das Ergebnis der Nationalratswahlen in Österreich ein historisches: Noch nie hat die rechte FPÖ so viele Stimmen gewonnen und ist damit als Nummer eins bei bundesweiten Parlamentswahlen durch die Ziellinie gegangen. Ebenso war die sozialdemokratische SPÖ noch nie so schwach und landete bei einer bundesweiten Wahl in der Zweiten Republik auf Platz drei. Eine herbe Klatsche gab es laut dem vorläufigen Endergebnis auch für die konservative Kanzlerpartei ÖVP, die elf Prozent gegenüber 2019 verloren hat – das größte Minus in ihrer Geschichte. Gemeinsam haben die beiden ehemaligen Großparteien nun erstmals nicht mehr über 50 Prozent (21 und 26,5), aber dennoch eine knappe Mehrheit von einem Sitz (93) im neuen Parlament – theoretisch reicht es also für die Bildung einer neuen Regierung.

Die FPÖ unter Parteichef und Spitzenkandidat Herbert Kickl, meldete jedoch gleich am Montag morgen an, sie habe ein Verhandlungsteam zusammengestellt, wie die Agentur APA meldete. »Wir haben eine Tür aufgestoßen zu einer neuen Ära«, so Kickl bereits am Wahlabend. »Wir werden jetzt wirklich dieses neue Kapitel der österreichischen Geschichte miteinander schreiben.« Die »Freiheitlichen« kommen mit einem Plus von 13 Prozent (29,2) auf 58 Sitze, gefolgt von ÖVP und SPÖ. Die liberalen Neos erreichten mit einer kleinen Steigerung neun Prozent (17 Sitze) und verdrängten die mitregierenden Grünen auf den fünften Platz (acht Prozent und 15 Sitze). Die Partei von Vizekanzler Werner Kogler verlor gut vier Prozentpunkte.

Außer bei der FPÖ war die Freude vor allem bei den Neos groß: Sie waren 2013 erstmals angetreten und knapp ins Parlament gekommen und konnten sich erneut leicht verbessern. »Wir gehören zu den zwei Wahlsiegern«, verkündete Parteichefin Beate Meinl-Reisinger am Wahlabend. Sie drängt nun auf eine Dreierkoalition mit Konservativen und Sozialdemokraten. Groß der Schock dagegen bei den Grünen: »Natürlich haben wir uns ein besseres Ergebnis erwartet«, kommentierte Kogler. Ihre Chancen auf eine weitere Beteiligung an der Regierung sind nahe null. Nachdem sie in den vergangenen Jahren auch aus allen Landesregierungen geflogen sind, wird dadurch aus den Grünen wieder in ganz Österreich eine reine Oppositionspartei. Auch Peter Kraus von der Wiener Landespartei musste eingestehen: »Es ist kein schönes Ergebnis für uns.«

Ähnlich SPÖ-Chef Andreas Babler: »Das Ergebnis ist nicht so, wie wir uns das gewünscht haben.« Er will dennoch Chef der Sozialdemokraten bleiben und sie in Koalitionsverhandlungen führen. Nicht auszuschließen ist, dass Babler sogar Vizekanzler wird, obwohl die Partei unter ihm ihr schlechtestes Ergebnis erreicht hat. Am Wahlabend stellten sich die meisten Parteigranden demonstrativ hinter den Parteichef. Sogar der einflussreiche Gewerkschaftsboss Josef Muchitsch, der oft als Babler-Kritiker an die Öffentlichkeit trat, meinte: »Ich gehe davon aus, dass Babler uns in erfolgreiche Koalitionsverhandlungen führen wird.« Anders die Stimmen aus dem Burgenland, wo Gegenspieler Hans-Peter Doskozil regiert. Dessen enger Vertrauter Roland Fürst, Klubobmann der SPÖ-Burgenland, erklärte: »Babler ist angetreten, Kanzler zu werden oder in die Opposition zu gehen. Alles andere werden wir morgen besprechen.« Der Wiener Bürgermeister Michael Ludwig fordert in einer Videobotschaft dagegen eine Regierungsbeteiligung. Die Wiener SPÖ geht gestärkt aus der Wahl, denn in der Bundeshauptstadt konnte die Partei gegen den Bundestrend zulegen und Platz 1 festigen.

Auch in der ÖVP wollte am Wahlabend niemand an Kanzler Karl Nehammer rütteln. Zu groß war die Erleichterung, vor der SPÖ deutlich Zweiter geworden zu sein. »Ich kann euch nicht die Enttäuschung nehmen«, betonte Nehammer auf der ÖVP-Wahlfeier. Aber er wolle nun »Haltung zeigen«. Trotz Rekordverlusten deutet alles darauf hin, dass er wieder Bundeskanzler wird.

Kein guter Wahlabend war es auch für die Kleinparteien: Nach desaströsen Wahlkampfauftritten ihres Gründers Dominik Wlazny kam die liberale Protestpartei BIER gerade einmal auf knapp über zwei Prozent, obwohl ihr Umfragen lange komfortable sieben Prozent vorhergesagt hatten. Um in den Nationalrat einzuziehen, braucht es mindestens vier Prozent der Stimmen. Die Antikriegswahlplattform »Liste Gaza – Stimmen gegen den Völkermord« konnte ebenso keinen nennenswerten, aber mit 0,4 Prozent doch einen kleinen Erfolg verbuchen.

Enttäuschung aber bei der Kommunistischen Partei (KPÖ). Sie hatte gehofft, mit dem Rückenwind der Wahlerfolge aus Graz und Salzburg erstmals seit 1959 wieder in den Nationalrat einziehen zu können. Dafür wurden viele Ressourcen in die Hand genommen, vor allem finanzielle. Über 800.000 Euro hat die Partei laut eigenen Angaben investiert. Herausgekommen ist nichts: Spitzenkandidat Tobias Schwaiger gab sich am Wahlabend zwar zweckoptimistisch und meinte: »Man habe gesehen, dass die KPÖ eine Partei ist, mit der man in Zukunft rechnen kann«, doch lag man mit 2,4 Prozent deutlich unter dem notwendigen Ergebnis. Damit blieb die Partei auch unter dem Resultat der EU-Wahlen, bei denen sie im Juni noch knapp drei Prozent erreichte. Auch die Hoffnung auf ein Grundmandat in der von der KPÖ-regierten Stadt Graz löste sich in Luft auf. Insgesamt kam die Partei dort auf lediglich rund sechs Prozent.

Hintergrund: Wählerwanderung

Am Sonntag waren 6,35 Millionen Menschen aufgerufen, das österreichische Parlament zu wählen – 4,75 Millionen Stimmen wurden abgegeben, womit die Wahlbeteiligung gegenüber 2019 (75,6 Prozent) leicht abgenommen hat und nun bei 74,9 Prozent lag. Die rechte FPÖ holte mit rund 1,3 Millionen die meisten Stimmen.

In der vom Innenministerium veröffentlichten Wählerstromanalyse zeigt sich, dass 42 Prozent der FPÖ-Wähler sie auch schon 2019 gewählt hatten. 31 Prozent kamen von der konservativen Kanzlerpartei ÖVP, der Großteil der anderen Stimmen kam aus dem Nichtwählerlager. Die SPÖ konnte vor allem Zugewinne von den Grünen verzeichnen, verlor aber in gleichen Teilen an die Nichtwähler. Was Parteichef Andreas Babler durch seinen Kurs und seine Rhetorik also links von den Grünen gewann, verlor er rechts an die Nichtwähler.

Da bei der dieser Wahl besonders viele Kleinparteien antraten, die es zwar nicht ins Parlament schafften, aber gemeinsam rund sieben Prozent erhielten, ergibt sich ein Kuriosum: Trotz Wahlverlust gewann die SPÖ einen Sitz hinzu. Es ist genau dieser Sitz, der ÖVP und SPÖ nun gemeinsam eine Mehrheit im neuen Nationalrat beschert. Von den insgesamt 183 Sitzen, halten die beiden ehemaligen Großparteien gemeinsam nun 93. Bilden die beiden Parteien gemeinsam eine Koalition, dürfte in der kommenden Legislaturperiode nie mehr als ein Abgeordneter jeweils einer der Parteien bei Abstimmungen fehlen dürfen.

Während die FPÖ ihren Stimmenanteil gegenüber 2019 etwa verdoppeln konnte, büßten etwa die Grünen die Hälfte ihrer Stimmen ein. Und auch der ÖVP lief rund eine halbe Million Wähler davon. Die Sozialdemokraten fuhren mit etwa 990.000 Stimmen gegenüber gut einer Million vor fünf Jahren noch die geringsten Verluste ein. (dr)

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