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Aus: Ausgabe vom 01.10.2024, Seite 4 / Inland
AfD-Verbot

Aus den Augen, aus dem Sinn?

AfD-Verbot: Abgeordnete wollen fraktionsübergreifenden Antrag einbringen. Kritik aus BSW und SPD
Von Karim Natour
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Ist ein Verbotsverfahren ein »Wahlgeschenk« für die AfD? (Erfurt, 31.8.2024)

Was tun, wenn die eigene Politik bei der Bevölkerung einfach nicht mehr verfangen will, während eine rechte Partei, die sich als »Anti-Establishment« in Szene setzt, reihenweise Wahlsiege einfährt? Man verbietet die Konkurrenz – im Sinne eines liberal-demokratischen Wettbewerbs um das bessere Argument, versteht sich.

Ein AfD-Verbot ist bereits mehrfach gefordert worden. Nachdem die Partei bei den drei Landtagswahlen im September jeweils fast ein Drittel der Stimmen erlangen konnte, soll der Bundestag nun über einen entsprechenden Antrag auf ein Verfahren zum Verbot der AfD abstimmen. Laut einem Bericht der Welt (Sonntag) haben Bundestagsabgeordnete von SPD, CDU/CSU, Bündnis 90/Die Grünen und Linken einen Antrag ausgearbeitet, mit dem ein Parteiverbotsverfahren vor dem Bundesverfassungsgericht in Karlsruhe angestoßen werden soll. Dahinter stehen allerdings nicht die gesamten Fraktionen, sondern einzelne Abgeordnete. Insgesamt 37 Parlamentarier sollen den Antrag unterstützen. Die Initiative ist laut Welt unter anderem vom CDU-Bundestagsabgeordneten und früheren Ostbeauftragten Marco Wanderwitz ausgegangen.

Dem Papier zufolge soll das Gericht feststellen, dass die Partei verfassungswidrig sei und deshalb verboten werden könne. Hilfsweise soll zudem festgestellt werden, dass die AfD von staatlicher Finanzierung ausgeschlossen wird. Der Partei wird in dem Antrag vorgeworfen, die »freiheitlich-demokratische Grundordnung« abschaffen zu wollen sowie gegenüber dieser eine »aktiv kämpferisch-aggressive Haltung« einzunehmen. In dem Antrag werden der AfD zudem zahlreiche Verstöße gegen die Menschenwürdegarantie des Grundgesetzes vorgeworfen. Dabei wird etwa die Forderung nach einer »millionenfachen Remigration« von Migranten angeführt. Das Papier bezieht sich demnach auf Entscheidungen des Oberverwaltungsgerichts (OVG) in Münster. Das urteilte im Mai, dass der deutsche Inlandsgeheimdienst die AfD auf Bundesebene als Verdachtsfall im Bereich »Rechtsextremismus« einstufen und nachrichtendienstlich beobachten darf.

Nach Bekanntwerden des Vorhabens am Sonntag kam unter anderem von seiten des BSW Kritik an dem Vorhaben. Parteichefin Sahra Wagenknecht kritisierte es als »Wahlkampfgeschenk« für die Partei: »Das ist wirklich der dümmste Antrag des Jahres«, erklärte sie dem Portal T-online. Statt berechtigte Anliegen von AfD-Wählern ernst zu nehmen, wolle man »den unliebsamen Konkurrenten jetzt mit der Verbotskeule erledigen«. Das BSW lehne alle Verbotsinitiativen ab und trete statt dessen für eine sachliche Auseinandersetzung ein. Auch die Vorsitzende der SPD-Grundwertekommission, Gesine Schwan, wendete sich gegen die Maßnahme. »Ein Verbotsantrag wäre jetzt politisch kontraproduktiv«, sagte sie dem Tagesspiegel vom Montag. Ein solcher würde »noch mehr Bürgerinnen und Bürger, die mit den Bedingungen und Erfordernissen der pluralistischen Demokratie wenig vertraut sind und sich mit ihr deshalb nicht identifizieren können, in die Arme der AfD treiben.«

Regierungssprecher Steffen Hebestreit verwies am Montag auf frühere ablehnende Äußerungen zu einem möglichen Verbotsverfahren. Am Freitag hatte er erklärt, dass ein Verbot ein »sehr weitreichender Schritt sei« und es in der Bundesregierung keine Pläne gebe, ein entsprechendes Verfahren anzustoßen. Vizekanzler Robert Habeck (Grüne) erklärte gegenüber den Sendern RTL und N-TV indes, »wenn die Beweise vorliegen, dann ja«. Unterstützung kam auch vom Abgeordneten Roderich Kiesewetter (CDU). »Ich bin dem Kollegen Marco Wanderwitz, der das initiiert hat, sehr dankbar«, sagte er Welt TV.

Dass ein Verbot bei den Teilen der Bevölkerung, die angesichts von Krieg und Krise mit der Politik der Ampelkoalition nicht zufrieden sind, nur noch mehr Verachtung für die Regierung hervorrufen wird, scheint die Befürworter nicht zu interessieren. Allein die über Parteigrenzen hinweg kundgegebene Absicht einer solch autoritären Maßnahme dürfte Wasser auf die Mühlen der AfD sein, die sich stets als einzige »echte« Opposition zum Regierungsbrei zu stilisieren sucht.

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