Oberlandesgericht dekonstruiert
Von Detlef Georgia SchulzeAnfang Juni war Fabian K., Journalist bei Radio Dreyeckland (RDL), durch das Landgericht Karlsruhe von dem Vorwurf freigesprochen worden, mittels eines Artikels auf der Website des Senders eine verbotene verfassungswidrige Vereinigung – nämlich den angeblichen »Verein ›linksunten.indymedia‹« – »unterstützt« zu haben. Es ging dabei insbesondere darum, dass der Artikel einen Link zum Archiv der Website von »linksunten.indymedia« enthält.
Am Montag erhielt junge Welt von der Gerichtspressestelle die anonymisierte schriftliche Urteilsbegründung. Das Landgericht hatte im vergangenen Jahr die Eröffnung des strafrechtlichen Hauptverfahrens zunächst abgelehnt, war dann aber – auf Beschwerde der Staatsanwaltschaft – vom Oberlandesgericht (OLG) Stuttgart verpflichtet worden, sich doch genauer mit der Anklage zu befassen.
Beide Gerichte waren sich im Ausgangspunkt einig: »Eine nichtexistente Vereinigung (kann) nicht unterstützt werden« (OLG), so dass also die fragliche Vereinigung »im Zeitpunkt der Vornahme der Unterstützungshandlung« existiert haben muss, wenn der Verein unterstützt worden sein solle, so das Landgericht weiter. Demgemäß hat das jetzige Urteil des Landgerichts zwei Hauptgegenstände: Existierte der angebliche Verein zum Zeitpunkt der Veröffentlichung des RDL-Artikels (weiterhin), und hatte der Artikel eine unterstützende Tendenz?
Zur zweiten Frage vertrat das OLG im Sommer 2023 folgende Auffassung: »Die Handlung des Angeklagten ist geeignet, diese Tätigkeit zu unterstützen, indem sie erkennbar für Solidarität mit einem von der Justiz angeblich zu Unrecht verfolgten Verein wirbt und den Leser dahin lenkt, die verbotenerweise immer noch betriebene Website zu besuchen und sich über deren Inhalte zu informieren.«
Auch dieser Auffassung des OLG wurde nun vom Landgericht widersprochen. Zu dem Slogan »Wir sind alle linksunten« weist das Landgericht darauf hin, dass er »sich in dem Artikel ausschließlich als Bebilderung« findet. »Im verfahrensgegenständlichen Artikel wird die Wirkung der Bebilderung – wenn auch in einer kleingeschriebenen, in der Presse aber üblichen Bildunterschrift – dadurch relativiert, dass hinsichtlich des auf der Hauswand zu lesenden Schriftzugs ›Wir sind alle linksunten‹ angemerkt wird: ›Ob dem so ist, war auch ein Streitpunkt auf der Podiumsdiskussion über das Verbot der Internetplattform.‹ Eine eindeutig unterstützende Zielrichtung kann folglich auch insoweit nicht konstatiert werden.«
Bei den vom OLG in Anführungszeichen gesetzten Wörtern »konstruiertes Verbot« handele es sich um ein Falschzitat. Der Artikel spreche vielmehr zweimal vom »konstruierte[n] Verein Indymedia Linksunten«. Diese Formulierung ließ sich – nach Ansicht des Landgerichts – »für einen unbefangenen Betrachter dahingehend verstehen, dass der Artikel bzw. der Autor der Art und Weise des Verbots der Vereinigung kritisch gegenübersteht. Dass es gar keinen Verein ›linksunten.indymedia‹ gebe, es sich lediglich um ein Nachrichtenportal handele, das nicht dem Vereinsrecht, sondern dem Telemedienrecht unterfalle, war eines der insbesondere auch vor dem Bundesverwaltungsgericht gegen die Verbotsverfügung vorgebrachten Argumente.« Allein die Kritik an der Art und Weise eines Vereinigungsverbots könne aber »nicht automatisch mit einer die Vereinigung gutheißenden Äußerung gleichgesetzt werden«.
Schließlich die Formulierung »rechtswidrige Durchsuchung«: Hier stützt sich die Urteilsbegründung auf einen Beschluss des Verwaltungsgerichtshofs, wonach die Durchsuchungsanordnung des Verwaltungsgerichts Freiburg »rechtswidrig gewesen ist«.
Angesichts der schriftlichen Urteilsbegründung entschloss sich die Staatsanwaltschaft, ihre Revision zurückzunehmen, wie deren Pressestelle vergangene Woche auf Anfrage mitteilte. Wegen Verzögerungen beim Postlauf erging parallel dazu ein Verwerfungsbeschluss des Landgerichts wegen nicht rechtzeitiger Begründung der Revision.
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