75 Ausgaben junge Welt für 75 €
Gegründet 1947 Sa. / So., 16. / 17. November 2024, Nr. 268
Die junge Welt wird von 2983 GenossInnen herausgegeben
75 Ausgaben junge Welt für 75 € 75 Ausgaben junge Welt für 75 €
75 Ausgaben junge Welt für 75 €
Aus: Ausgabe vom 01.10.2024, Seite 5 / Inland
Cum-ex-Skandal

Olearius zeigt Exermittlerin an

Früherer Chef der Warburg-Bank wirft ehemaliger Cum-ex-Staatsanwältin Brorhilker Falschbehauptungen vor
Von Jens Walter
Cum_Ex_Strafprozesse_82534304.jpg
Christian Olearius (M.) neben seinem Anwalt Klaus Schünemann (r.) im Gerichtssaal (Bonn, 24.6.2024)

Im Cum-ex-Skandal haben Anwälte des früheren Bankchefs Christian Olerarius Strafanzeige gegen Exoberstaatsanwältin Anne Brorhilker erstattet. Darin werfen sie der ehemaligen Chefermittlerin Brorhilker vor, »vorsätzlich und bewusst unvollständige und falsche Sachverhalte zur Grundlage ihrer Anklagen gegen ehemalige Mitarbeiter der Warburg Bank gemacht zu haben«, hieß es in einer Mitteilung am Montag. Ein Kronzeuge der Staatsanwaltschaft, gegen den man ebenfalls Anzeige erstattet habe, habe zudem in mindestens sechs Fällen vor dem Landgericht Bonn bewusst die Unwahrheit gesagt und Olearius und weitere Personen zu Unrecht belastet. Die Anzeigen lägen der Staatsanwaltschaft Köln vor, hieß es. Bestätigt habe die Staatsanwaltschaft das laut dpa allerdings bis Redaktionsschluss noch nicht.

Der frühere Chef der Hamburger Privatbank M. M. Warburg, Christian Olearius, war in den Skandal um Cum-ex-Aktiengeschäfte involviert, bei dem Banken den Staat geschätzt um insgesamt mindestens zehn Milliarden Euro prellten. Der Prozess gegen Olearius wurde im Juni wegen Verhandlungsunfähigkeit eingestellt. Der 82jährige war laut einem Gutachten gesundheitlich angeschlagen. Es kam weder zu einem Freispruch noch zu einem Schuldspruch. Olearius war besonders schwerer Steuerbetrug vorgeworfen worden.

Kern der Vorwürfe der Olearius-Anwälte ist ein im Lauf des Prozesses angeführtes Beratungsgespräch, bei dem es zu einer Tatverabredung gekommen sein soll. Der betreffende Kronzeuge hatte laut Mitteilung ausgesagt, er habe »Anfang des Jahres 2007« an dem Beratungsgespräch in Anwesenheit von Olearius in der Warburg-Bank teilgenommen.

Nach Auswertung von Kalendereinträgen sowie Maildaten könne ausgeschlossen werden, »dass es zu einer solchen Tatverabredung überhaupt gekommen ist. Es hat auch einen solchen Termin nie gegeben«, hieß es in der Mitteilung. Der Kronzeuge habe Olearius erstmals Ende 2008 getroffen, »also mehr als ein Jahr nach dem Beginn der Geschäfte im Mai 2007, die Anlass für Verurteilungen von Angehörigen der Warburg-Bank wurden«. Damit seien die Aussagen des Kronzeugen vorsätzlich falsch.

Die Juristin Brorhilker hat den Staatsdienst im Juli verlassen. Damals erklärte sie: Obwohl die Steuerkasse der Bundesrepublik durch Cum-ex- und Cum-cum-Geschäfte um Milliarden geprellt wurde, wiegt der Schutz von Banken für die Finanzaufsichtsbehörden hierzulande »offenbar schwerer als der Schutz von Steuergeldern der Allgemeinheit«. Jetzt arbeitet sie für den Verein Bürgerbewegung Finanzwende. Dieser kommentierte das Vorgehen von Olearius auf jW-Nachfrage am Montag zunächst nicht.

Erst vergangene Woche konnte Olearius einen Gerichtserfolg verbuchen. Er hatte gegen das Land Nordrhein-Westfalen geklagt, weil er sich durch Äußerungen von Brorhilker und dem Präsidenten des Bonner Landgerichts Stefan Weismann öffentlich vorverurteilt und damit in seinem Persönlichkeitsrecht verletzt sah. Das Kölner Verwaltungsgericht gab Olearius großteils recht. Die ARD hatte 2021 eine Dokumentation ausgestrahlt, in der die beiden (damaligen) Beamten zu Wort kamen.

Mit Blick auf die Cum-ex-Finanzakteure sagte Brorhilker: »Die fühlen sich halt über allem drüber stehend – auch über dem Gesetz.« Und weiter: »Das ist ein Merkmal, was organisierte Kriminalität auszeichnet.« Weismann wiederum sagte vor der Kamera: »Was dort passiert, ist organisierte Kriminalität. Die unterscheidet sich vom Kriminalitätsgehalt in nichts von Rauschgiftbanden, Clankriminalität, Sprengungen von Geldautomaten – das ist alles derselbe kriminelle Gehalt.«

Olearius wurde in dem Film gezeigt und namentlich genannt. Aus Sicht des Kölner Gerichts riefen solche Sätze die Gefahr einer vorverurteilenden Ächtung in der Öffentlichkeit hervor. Sie hätten den Eindruck erweckt, dass Olearius schon der Straftat überführt worden sei, obwohl die Ermittlungen gegen ihn noch nicht abgeschlossen waren. Bankenmitinhaber Max Warburg hatte ebenfalls geklagt. Er wurde in dem Film aber nicht namentlich genannt, seine Klagen wies das Verwaltungsgericht ab. Mit seiner Beschwerde vor dem Menschenrechtsgerichtshof ist Olearius Mitte September allerdings gescheitert. Auch die hatte er mit angeblicher Vorverurteilung begründet.

Solidarität jetzt!

Das Verwaltungsgericht Berlin hat entschieden und die Klage des Verlags 8. Mai abgewiesen. Die Bundesregierung darf die Tageszeitung junge Welt in ihren jährlichen Verfassungsschutzberichten erwähnen und beobachten. Nun muss eine höhere Instanz entscheiden.

In unseren Augen ist das Urteil eine Einschränkung der Meinungs- und Pressefreiheit in der Bundesrepublik. Aber auch umgekehrt wird Bürgerinnen und Bürgern erschwert, sich aus verschiedenen Quellen frei zu informieren.

Genau das aber ist unser Ziel: Aufklärung mit gut gemachtem Journalismus. Sie können das unterstützen. Darum: junge Welt abonnieren für die Pressefreiheit!

  • Leserbrief von Onlineabonnent/in Francisco H. (1. Oktober 2024 um 07:20 Uhr)
    Ich würde sagen, die Klagen werden wegen Verhandlungsunfähigkeit des Klägers abgewiesen.

Ähnliche:

  • »Improvisierte Haltewinkel«: Die Betonplatte auf dem Pkw von Ann...
    15.08.2024

    Prozess nach tödlichem Baupfusch

    Köln: Autofahrerin von Lärmschutzwand erschlagen. Organisationsversagen vor Gericht kein Thema
  • Wolfgang Otto (links) und Verteidiger 1988 im Düsseldorfer Landg...
    14.08.2024

    Mord ohne Sühne

    Von Einstellung zu Einstellung: Die Verschleppung der Strafverfolgung der Mörder Ernst Thälmanns durch die bundesdeutsche Justiz
  • Ungebrochen, auch nach der Verurteilung zu zwei Monaten Haft – B...
    09.07.2024

    »Die falsche Person ist angeklagt«

    Vor 50 Jahren wurde die Nazijägerin Beate Klarsfeld in Köln verurteilt, weil sie versucht hatte, den SS-Obersturmbannführer Kurt Lischka zu entführen

Regio: