»Wir werden weiter solidarisch mit ihm bleiben«
Interview: Henning von StoltzenbergIn einem Verfahren der sächsischen Justiz gegen einen 25jährigen Teilnehmer der Demonstration in Leipzig am 3. Juni 2023, zu der linke Gruppen als »Tag X« aufgerufen hatten, kam es offenbar zu einer überraschenden Wendung. Ihre Solidaritätsgruppe zeigte sich in einer Mitteilung von Anfang September sehr erleichtert darüber, dass der als Benni bekannte Antifaschist nach sechsmonatiger Untersuchungshaft wohl »nur« wegen Landfriedensbruchs vor dem Amtsgericht in Leipzig einen Prozess zu erwarten hat. Was wurde dem jungen Mann ursprünglich vorgeworfen?
Die ursprünglichen Vorwürfe der Leipziger Staatsanwaltschaft erstreckten sich über mehrere Delikte. Das reichte von versuchtem Totschlag über Körperverletzung bis zu Sachbeschädigung und Herbeiführen von Sprengstoffexplosionen.
Aus einer Mitteilung der Behörde vom 17. Juni geht hervor, dass dem Beschuldigten sogar versuchter Mord in zwei Fällen sowie »tätlicher Angriff auf und Widerstand gegen Vollstreckungsbeamte sowie die Zerstörung wichtiger Arbeitsmittel« vorgeworfen wurde. Das ist nun alles vom Tisch?
Die Anklage darf laut dem Landgericht Leipzig nur für Landfriedensbruch am Amtsgericht eröffnet werden. Gegen diese Entscheidung hat die Staatsanwaltschaft inzwischen Beschwerde eingelegt. Die dafür zuständige Stelle ist das Oberlandesgericht. Damit liegt der Fall jetzt dort. Das OLG entscheidet darüber, wie es weitergeht – ob der Beschwerde stattgegeben oder der Landfriedensbruch im Amtsgericht verhandelt wird. Das ist übrigens derselbe Vorwurf, der auch die übrigen Betroffenen des Polizeikessels vom 3. Juni betrifft. Benni war damals, wie viele andere Menschen auch, über Stunden von Einsatzkräften festgesetzt worden.
Wem oder welchem Umstand genau ist zu verdanken, dass viele Anklagepunkte voraussichtlich hinfällig sind?
Die Frage haben wir uns auch gestellt. Die eine Schwurkammer des Landgerichts in Leipzig hat so entschieden. Die genauen Gründe kennen wir nicht.
Wie Sie sagten, muss noch die Entscheidung des OLG abgewartet werden. Wie haben der Betroffene und dessen Rechtsbeistand auf die jüngste Nachricht im Verfahren reagiert?
Er war erst mal erleichtert und hat sich natürlich gefreut. Der Rechtsbeistand meinte, dass in diesem Fall ja gar nichts mehr versprochen oder vorhergesehen werden kann.
Was können Sie zu den Haftbedingungen des Betroffenen sagen?
Sie waren nach Aussagen des Betroffenen okay. Er hatte – vermutlich durch seine deutsche Staatsbürgerschaft, seine weiße Hautfarbe und sehr gute schulische Bildung – keine Probleme und konnte seine Mitgefangenen unterstützen. Zellenrazzien, Schikanen der Wärter, teilweise wenig und ungenießbares Essen sowie Ungeziefer sind ja keine seltenen Umstände. Bis auf circa eine Stunde Aufschluss am Tag musste er aber die gesamte Zeit in der Zelle verbringen. Er konnte lediglich viermal im Monat von Freundinnen und Freunden oder seinen Angehörigen für jeweils eine Stunde besucht werden. Davon abgesehen konnte er über Telefon und Briefe Kontakte nach draußen halten.
Ihre Gruppe kritisiert die Anklageschrift als »maßlos übertrieben«. Das Landgericht stellte die Willkürlichkeit der Indizienkette gegen Benni fest. Wie erklären Sie sich das Vorgehen der Staatsanwaltschaft?
Das Vorgehen ergibt keinen Sinn. Einzig der steigende Druck auf Ergebnisse seitens der Polizei und Staatsanwaltschaft und ihrer »Soko Linx«, weitere Einschüchterung von und Schikane gegen Antifaschistinnen und Antifaschisten bleiben uns als Erklärung übrig.
Welche Schlüsse ziehen Sie für Ihre Solidaritätsarbeit aus dieser Entwicklung?
Wir werden weiter solidarisch mit ihm bleiben, ihn unterstützen und gegen die Allüren der Staatsanwaltschaft anhalten. Bis alle Knäste leer sind.
Melanie Keller (Name geändert) ist aktiv in der Solidaritätsgruppe »Free Benni«
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