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Aus: Ausgabe vom 01.10.2024, Seite 9 / Kapital & Arbeit
Ukrainischer Staatshaushalt

Es reicht trotzdem nicht

Steuererhöhungspaket in der Ukraine in Kraft getreten. Westen muss dennoch immer wieder nachschießen, um den Staat am Laufen zu halten
Von Reinhard Lauterbach
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Steuern zu Patronen: Siegesbriefmarken, auf denen die Steuerzahler geehrt werden (27.6.2024)

In der Ukraine ist am Dienstag ein umfangreiches Paket von Steuererhöhungen in Kraft getreten. Ziel des Pakets ist, mehr Geld für die Finanzierung des Krieges zu beschaffen. Erhöht wird zum Beispiel die allgemeine Kriegssondersteuer von bisher 1,5 auf fünf Prozent des Einkommens bzw. bei Unternehmen des Umsatzes; außerdem werden Abgaben von bis zu 30 Prozent auf die Anmeldung eines Autos, den Kauf einer Wohnung, den Erwerb von Schmuckstücken oder den Verkauf von Edelmetallen aus Bankschließfächern fällig. Die Benzinsteuer ist schon im Sommer erhöht worden, eine Anhebung der allgemeinen Mehrwertsteuer von jetzt 20 auf 22 Prozent ist in Vorbereitung.

Das jetzt in Kraft getretene Steuerpaket sollte ursprünglich noch drastischer ausfallen. Aber interessierte Branchen der ukrainischen Wirtschaft hatten erfolgreich dafür Lobbyarbeit gemacht, es mit den Erhöhungen nicht zu übertreiben. So machte der Verband der ukrainischen Juweliere geltend, dass die Sondersteuer auf den Kauf von Schmuckstücken die ukrainische Schmuckbranche ruinieren würde – weil die interessierten Damen ohne weiteres nach Istanbul fliegen und sich in den dortigen Basaren eindecken könnten. Man merkt schon an diesem Beispiel, wer selbst in der Situation eines »Existenzkampfes« noch geschont wird.

Inhaltlichere Bedenken hatte es auch gegeben: zum Beispiel die Befürchtung, dass sich als Folge der Verdreifachung des Kriegszuschlags zur Einkommen- und Körperschaftssteuer die Tendenz zum Wechsel in die Schattenwirtschaft wieder verstärken könnte. Sie ist sowieso schon zu bemerken, seitdem die Rekrutierungszentren der Armee ihre Einberufungsbescheide an die Chefs anvisierter Männer verschicken. Viele Beschäftigte haben deshalb ihre offiziellen Jobs verlassen und schlagen sich mit informellen Jobs durch. Zu tun gibt es natürlich genug, und sei es, bei Luftangriffen beschädigte Häuser wieder winterfest zu machen.

Die Steuererhöhungen sind aber auch vom Internationalen Währungsfonds und den ausländischen Geldgebern der Ukraine verlangt worden. Die Ukraine hat in der Zeit ihrer Unabhängigkeit nie finanziell auf eigenen Füßen gestanden; seit dem Kriegsbeginn hat sich diese Abhängigkeit verstärkt. Zwischen der ukrainischen Regierung und den ausländischen Geldgebern hat sich eine Arbeitsteilung eingebürgert: Die Ukraine verwendet ihre gesamten Steuereinnahmen für die unmittelbare Finanzierung des Krieges; den Rest der Staatsausgaben aber – von den Gehältern der Lehrer und Krankenschwestern bis hin zu denen der Minister und zur Tätigkeit der Propagandabehörde für Nationales Gedenken, an der noch niemand hat sparen wollen – übernehmen die Spender aus dem Westen.

Allerdings inzwischen mit erkennbarem Widerwillen. Die Zeit der großzügigen Spenden ist vorbei. Das prowestliche Portal Ukrajinska Prawda veröffentlichte Anfang September eine Analyse der Finanzsituation, in der es einen ukrainischen Banker mit der Aussage zitiert, 2023 sei die Ukraine mit Geld geradezu geflutet worden, weil alle auf den Erfolg ihrer »Gegenoffensive« gesetzt hätten; jetzt, wo es militärisch schlecht läuft, würden die Spender knauserig. Konkretes Beispiel: das jüngste »Hilfspaket«, das EU-Kommissionschefin Ursula von der Leyen bei ihrem letzten Besuch nach Kiew mitbrachte. Auf dem Papier machte es Eindruck: 39 Milliarden Euro. Man musste erst in US-amerikanische Medien wie CNN schauen, um zu lesen, dass es sich bei dem Geld um einen Kredit handelt, den die Ukraine also – zumindest im Prinzip – irgendwann zurückzahlen muss. Allerdings lehrt die Erfahrung, dass dies kaum und sicherlich nicht in voller Höhe eintreten wird: Früher in diesem Jahr hat sich Kiew mit kommerziellen Gläubigern auf eine Umschuldung fälliger Forderungen mit »haircut« um 40 bis 60 Prozent geeinigt. So hat Brüssel beschlossen, sich zur Finanzierung dieses Kredits an Mittel zu halten, die sicher fließen: die Erträge eingefrorener Guthaben der russischen Zentralbank und anderer russischer Institute. Pro­blematisch wird das erst dann, wenn es irgendwann zu einem Friedensschluss kommen sollte und die blockierten russischen Guthaben wieder freizugeben wären. Dann hätte Brüssel den Schwarzen Peter gezogen und müsste seinerseits Russland entschädigen. Dann doch lieber Krieg »as long as it takes«.

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