An der Elbe
Von Jens GrandtEs gibt noch eine Reihe guter literarischer Zeitschriften in unserem editorisch weitgehend nivellierten Land, die zumeist halbjährlich im Umfang zwischen hundert und 180 Seiten erscheinen. Sie alle existieren am unteren Level medialer Aufmerksamkeit, weil der Postzeitungsvertrieb und die Shops sich nicht dazu entschließen, sie in ihr Angebot aufzunehmen. Sie überleben allein durch den Schneid ihrer Macher und das oft gering honorierte Engagement der Autoren.
Zu den wenigen Magazinen, die vom Bundesland Sachsen und seiner Landeshauptstadt gefördert werden, bedauerlicherweise stets nur von Frist zu Frist, gehört Signum, umsichtig und qualitätsbewusst herausgegeben von dem Dresdner Schriftsteller Norbert Weiß. Mit Heft zwei, 2024, steht ein kleines Jubiläum an: Die in ihrem Duktus als links der Mitte einzuschätzenden Blätter für Literatur und Kritik sind seit 25 Jahren präsent. Die ersten Ausgaben erschienen noch in dem von Weiß gegründeten Dresdner Verlag Die Scheune. 2005 übernahm der gemeinnützige Verein Signum e. V. die Schirmherrschaft.
Traditionell haben die Hefte einen »Exkurs«-Schwerpunkt, der sich entweder einer bestimmten Region widmet oder etwas ins Hintertreffen geratene Autoren aufs neue zugänglich macht. So wurden bisher wenig bekannte Seiten der auf dem Meißner Acker erblühten Poesie von Wulf Kirsten erschlossen, der Expressionist Martin Raschke mit seiner Zeitschrift Die Kolonne, Walter Bauer, die »Stimme aus dem Leunawerk«, Karl Mickel, Thomas Rosenlöcher – um nur einige zu nennen.
Das aktuelle Heft nimmt sich des sächsischsten der sogenannten Sächsischen Dichterschule an, deren Name auf eine eher flüchtige Bemerkung ihres Leipziger Mentors Georg Maurer zurückgeht. Erst als der niederländische Germanist Gerrit-Jan Berendse in seiner Dissertation über die »Sächsische Dichterschule« schrieb, wurde der Begriff verbindlich. In diesem Kontext wiederum stehen Heinz Czechowskis (1935–2009) Dresden-Gedichte im Mittelpunkt. Ihnen hat der befreundete Wulf Kirsten unter dem Titel »Die Stadt als Text« einen brillanten Essay gewidmet, und zwar als Textlandschaft nicht im urbanen Sinn – dem hat sich Czechowski verwehrt –, sondern als selbst erfahrene historische Landschaft in ihrer natürlichen Umgebung. Vor biographischem Hintergrund ergibt sich daraus geradezu zwangsläufig, dass die Zerstörung der Stadt während der Fliegerangriffe in der Nacht vom 13. auf den 14. Februar 1945 wie ein Initialzünder wirken musste. Czechowski hat das Fegefeuer vom Dach eines Vorstadthauses erlebt und tags darauf die Trümmerwüste und die Toten gesehen. »Ohne das Erlebnis des 13. Februar und der zerstörten Stadt wäre ich niemals zum Schreiben gekommen«, gesteht er im Interview mit dem Lüneburger Autor und Herausgeber Renatus Deckert.
Von der Geschichte, die »mich gemacht« hat, wie Czechowski sagte, »öffnen sich alle Perspektiven, in welche Richtungen ich immer blicke«. Und dieser Blick ist unerbittlich. Chronist zu sein, auch der deutschen Schuld an fremder wie eigener Vernichtung, sah er als seine Pflicht an, wie Deckert in einem weiteren Essay ausgiebig zu belegen weiß. Er schrieb zeit seines Lebens gegen die Vergesslichkeit an, die gegenwärtig wieder die Hirne einiger »Alternativer« blockiert. Nähe und Distanz sind ein Charakteristikum der »Sächsischen Dichterschule«. Daher duldete auch Czechowskis gefühlvoll erzählende Poetik keine Allgemeinplätze. Die Dachzeile des frühen Gedichts »An der Elbe« – »Sanft wie Tiere gehen die Berge neben dem Fluss« – ist zu einem Leitmotiv der Landschaftslyrik nicht nur für Volker Braun und Karl Mickel, sondern auch für die jüngere Generation – Michael Wüstefeld, Uwe Grüning – geworden.
Nicht unerwähnt bleiben sollte der umfangreiche Rezensionsteil. Und nicht zuletzt: Signum verzichtet auf die experimentellen Sprachspielereien, die manch andere Literaturzeitschrift bestimmen, und pflegt einen anspruchsvollen, an der »großen Literatur« geschulten Stil.
Signum Heft 2/2024. 8,20 Euro. Zu beziehen über m.n.weiss@t-online.de oder www.zeitschrift-signum.de.
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