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Aus: Ausgabe vom 01.10.2024, Seite 15 / Natur & Wissenschaft
Psychologie

Bequem entsorgt

Eine Studie in den Niederlanden führt konservative Haltungen auf Eigenschaften des Gehirns zurück
Von Felix Bartels
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Ganz schön verbohrt, diese Neuronen

Vor 22 Jahren annoncierte ein Bernhard Bogerts Großes. Die Untersuchung des konservierten Hirns von Ulrike Meinhof sollte das Böse lokalisieren, vermittels dessen die Journalistin zur Waffe statt zur Feder griff. Manche Hirnforscher scheinen eine ähnliche Berufsauffassung zu besitzen wie Kfz-Mechaniker: aufmachen, austauschen, passtscho.

Nicht jegliche Hirnforschung zeigt sich derart vulgär. Doch betritt dieses Feld besser nur, wer zwischen den darin verborgenen Minen tänzeln kann. Sind politische Auffassungen neurobiologisch beschreibbar, gibt es entsprechende Prädispositionen? Die Frage ist keine rein naturwissenschaftliche, ohne politisches Verständnis lässt sie sich nicht bewältigen.

Der griechische Psychologe Diamantis Petropoulos Petalas vom American College of Greece in Athen hat sich ihr gemeinsam mit Kollegen von der Universität Amsterdam in einer Studie gewidmet. Voraus ging die Annahme, dass konservative Wertvorstellungen aus einem Bedürfnis nach Ordnung, Sicherheit und Stabilität rühren. Untersucht wurde konkret, ob Menschen konservativer Prägung eine vergrößerte Amygdala und einen kleineren anterioren cingulären Cortex (ACC) besitzen. Die Amygdala ist für die Verarbeitung negativer Gefühle zuständig (Angst, Trauer, Bedrohung). Der ACC steht im Zusammenhang mit der Kontrolle von Affekten und der Fähigkeit, Vorurteile zu korrigieren. Die meisten der bisherigen Studien hatten die Befragung zu einfach gestaltet: »Die politische Einstellung ist aber eine komplexe, multidimensionale Größe. Sie umfasst die Ansichten zu sozialen und wirtschaftlichen Fragen, auch die Identifikation mit progressiven oder konservativen Werten – es geht nicht einfach nur um rechts oder links«, schreibt Petales. Zudem habe man die Zahl der Probanden erhöht. Die Scans mittels hochauflösender Magnetresonanztomographie wurden an 928 Testpersonen durchgeführt, aus verschiedenen Bevölkerungsgruppen in den Niederlanden. Die Probanden wurden gefragt, inwieweit sie sich mit konservativen Werten identifizieren, und sie mussten zu politischen Maßnahmen Stellung nehmen.

Testpersonen mit konservativen Ansichten hatten dem Ergebnis der Studie nach eine leicht vergrößerte Amygdala. Der Unterschied war zwar nur ein Drittel so groß wie der in früheren (weniger gut designten) Studien – »er umfasst rund zehn Kubikmillimeter, das ist etwa so groß wie ein Sesamkorn« –, allerdings »entspricht das Tausenden Neuronen und Millionen Synapsen«. Den Forschern zufolge könne das einen Einfluss auf die Persönlichkeit haben: »Die Amygdala kontrolliert unsere Wahrnehmung und Bewertung von Bedrohungen und Risiken«, schreibt Petalas. Da das »Bedürfnis nach Sicherheit« typischerweise »eher von der konservativen Politik repräsentiert« wird, sei das einleuchtend.

Allerdings fangen für die politische Theorie hier, wo die Neurowissenschaft ihren Punkt macht, die Probleme erst an. Lässt sich noch Einigkeit darüber herstellen, dass politische Auffassungen, ideologische Konstrukte also, Überbau politischer Haltungen sind und in solchen Haltungen charakterliche Dispositionen zum Ausdruck kommen, lauert in der scheinbar sublimen Beobachtung stets die Gefahr, politische Haltungen leichterhand als solche zu pathologisieren. Einfacher: Wer Weltanschauungen in neuronale Prädispositionen auflöst, nimmt sie als solche nicht mehr ernst. So wird aus der affektiven Wurzel einer politischen Haltung eine politische Haltung, die affektiv besetzt ist. Es verläuft ein schmaler Korridor zwischen dem Mitteilen des Selbstverständlichen – politische Haltungen sind immer auch psychologisch motiviert und damit möglicherweise auch neurobiologisch skizzierbar – und der bequemen Entsorgung abweichender Meinungen, mit denen sich nicht mehr auseinandersetzen muss, wer sie bio- oder psychologisch eingehegt hat.

Bezeichnend scheint in diesem Zusammenhang, dass die Studie sich ausschließlich einer politischen Richtung widmet, dem Konservatismus. Auch andere Richtungen ließen sich ja affektiven Komplexen zuordnen. Der Liberalismus etwa einem benignen Narzissmus mit sadistischer Note, die sich in Abwesenheit von Mitleid äußert, faschistische Haltungen einem malignen Narzissmus des Minderwertigkeitsgefühls, das im Überlegenheitsglauben der Gruppe ertränkt wird, der man sich zugehörig fühlt usw. Indem die Studie ausschließlich nach der Veranlagung konservativer Haltungen fragt, macht sie sich nicht nur politisch, sondern auch wissenschaftlich angreifbar. Die Forscher, die sie betreiben, sind nicht weniger Menschen mit politischen Auffassungen als die von ihnen untersuchten Probanden.

So nett sich übrigens speziell linkerseits eine Pathologisierung des Konservatismus anhören mag, auch die konservative Haltung ist nicht allein affektiv bedingt, sie enthält vernünftige Komponenten, die mit linkem Politikverständnis kompatibel wären. Der greise Fontane war da im »Stechlin« schon weiter: »Lieber mit dem Alten, soweit es geht, und mit dem Neuen nur, soweit es muss.«

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  • Leserbrief von Dr. Klaus Mucha aus Berlin (30. September 2024 um 22:56 Uhr)
    Um es in Anlehnung an Marx zu sagen: Hier wird zu viel interpretiert, es kommt darauf an zu verändern! Die zitierte Studie beschreibt doch lediglich Unterschiede im Gehirn von Konservativen und anderen. Das sagt doch noch nichts über Henne und Ei und auch nichts darüber, dass Konservatismus wegen unterschiedlicher Hirnstruktur zu entschuldigen sei. Die Plastizität von Gehirnstrukturen ist Fakt. Das bedeutet doch auch, der Kampf um die Köpfe/Gehirne lohnt sich!

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