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Aus: Ausgabe vom 02.10.2024, Seite 4 / Inland
Urteil zu BKA-Gesetz

Klatsche für Schnüffler

Verfassungsgericht erklärt Teile des BKA-Gesetzes für rechtswidrig
Von Kristian Stemmler
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Fußballfans fordern ein Ende des polizeilichen Datensammelns in Stadien (Jena, 15.9.2024)

Das Bundesverfassungsgericht hat erneut der Datensammelwut und dem Überwachungswahn deutscher »Sicherheitsbehörden« Grenzen gesetzt. In einem am Dienstag verkündeten Urteil erklärte der Erste Senat des Gerichts das 2017 reformierte Bundeskriminalamtsgesetz (BKA-Gesetz) in Teilen für verfassungswidrig. Die Richter bemängelten die Speicherung persönlicher Daten, etwa von Fußballfans, in polizeilichen Datenbanken sowie die Überwachung von Kontaktpersonen Verdächtiger. Die Regelungen dazu gelten aber vorläufig mit bestimmten gerichtlichen Maßgaben weiter, bis das Gesetz nachgebessert worden ist. Das muss laut Urteil bis spätestens Ende Juli 2025 geschehen.

Die Verfassungsbeschwerde hatte die Gesellschaft für Freiheitsrechte (GFF) bereits im Jahr 2019 initiiert, als Beschwerdeführer traten zwei Rechtsanwältinnen, ein politischer Aktivist und zwei Mitglieder der Fußballfanszene auf. Es ging im Kern um zwei Komplexe. Zum einen störte sich die GFF daran, dass das BKA-Gesetz eine sehr weitgehende Überwachung von bloßen Kontaktpersonen erlaubt, also von Menschen aus dem Umfeld einer Person, die laut BKA-Gesetz eine terroristische Straftat »begehen will«. Diese Voraussetzung sei zu beliebig. Zum anderen ging es darum, dass Personen teils wegen lapidarer, unbewiesener Vorwürfe in polizeilichen Datenbanken wie Inpol gespeichert würden. Dies habe ein »enormes Stigmatisierungspotential für die Betroffenen«, argumentierte die GFF.

Karlsruhe gab der Beschwerde zum Teil recht. »Die angegriffenen Regelungen greifen in das Grundrecht der Beschwerdeführenden auf informationelle Selbstbestimmung ein«, hieß es zur Begründung. Das gelte für die Norm in dem Gesetz, die das BKA zur »heimlichen Überwachung von Kontaktpersonen mit besonderen Mitteln zum Zweck der Terrorismusabwehr« ermächtige. Die Maßnahmen könnten »tief in die Privatsphäre eindringen und ein besonders schweres Eingriffsgewicht erlangen«. Die Vorschrift sei »nicht zu vereinbaren mit den besonderen Anforderungen, die sich aus der Verhältnismäßigkeit im engeren Sinne an die Rechtfertigung heimlicher Überwachungsmaßnahmen der Polizei ergeben«.

Auch beim zweiten Komplex der Beschwerde, der Nutzung und Speicherung von Daten, setzte das Gericht Grenzen. Die Beschwerde bezog sich auf die Weiterverarbeitung personenbezogener Daten, die das BKA mit »besonders eingriffsintensiven Mitteln« erhoben habe – und das »zum Zweck der Terrorismusabwehr«. Der Senat kritisierte, dass durch Datenaustausch eine Vielzahl von Behörden Zugriff auf diese Daten erhielten. Es fehle an einer »hinreichend normierten Speicherungsschwelle und den gebotenen Vorgaben zur Speicherdauer«.

Die GFF begrüßte das Urteil als einen »wichtigen Erfolg«. »Wir konnten uns zwar nicht bei allen angegriffenen Regelungen durchsetzen, aber wir haben einige wichtige Punkte gewonnen«, erklärte Bijan Moini, Verfahrensbevollmächtigter und Legal Director der GFF, gegenüber jW. So habe Karlsruhe die »sehr eingriffsintensiven heimlichen Überwachungsbefugnisse« gegenüber bloßen Kontaktpersonen von potentiellen Straftätern für verfassungswidrig erklärt. Moini bezog sich auf »zwei unserer Beschwerdeführerinnen, die als Strafverteidigerinnen arbeiten«. Sie hätten befürchten müssen, »durch den bloßen Kontakt zu Straftätern heimlich überwacht zu werden, etwa durch V-Leute«.

Für die polizeiliche Praxis noch wichtiger sei die Ansage des Gerichts zur Möglichkeit, die Daten von Beschuldigten in Inpol zu speichern. Das Gericht habe bestätigt, dass es Grundrechte verletze, wenn jede beschuldigte Person – unabhängig von der Geringfügigkeit des Strafverdachts und von einer individuellen Prüfung ihrer Gefährlichkeit – in die Inpol-Datenbank aufgenommen werden dürfe. »Wenn man berücksichtigt, wie schnell Menschen – auch zu Unrecht – einer Straftat beschuldigt werden, ist das eine wichtige Grenzziehung«, so Moini.

Nach dem Urteil zum BKA-Gesetz hat der Dachverband der Fanhilfen eine Reform der Datei »Gewalttäter Sport«, in der Personen erfasst werden, denen insbesondere am Rande von Fußballspielen Straftaten vorgeworfen werden, gefordert. »Die BKA-Datenbanken sind unrechtmäßig und müssen sofort eingestellt werden. Diese umfangreiche Datensammlung ist nicht datenschutzkonform, mit dem heutigen Urteil erwiesen rechtswidrig und dringt tief in die Privatsphäre von Fußballfans ein«, erklärte Rechtsanwältin Linda Röttig vom Vorstand des Dachverbandes am Dienstag.

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