»Gericht hat der Pressefreiheit Vorrang gegeben«
Interview: Yaro AllisatWas genau war Gegenstand Ihres Verfahrens gegen den sächsischen Inlandsgeheimdienst?
Ich habe im April dieses Jahres das sächsische Landesamt für Verfassungsschutz als Journalist gefragt, ob es stimmt, dass die Daten aller 1.324 Menschen, die letztes Jahr im Polizeikessel am »Tag X« des Lina E.-Verfahrens waren, nun in der bundesweiten Datenbank aller deutschen Verfassungsschutzbehörden gespeichert wurden, beziehungsweise von wie vielen dieser Menschen nun Daten in die Kartei gewandert sind. Ich hatte aus Einzelanfragen Betroffener und aus Behördenkreisen Hinweise darauf, dass das der Fall sein könnte. Das LfV teilte mir sehr deutlich mit, dass es diese zwei Fragen nicht beantworten wolle und führte diverse juristische Argumentationen dafür an. Dagegen habe ich im Eilverfahren Klage eingereicht. Mitte September hat das sächsische Oberverwaltungsgericht in zweiter Instanz entschieden, dass das LfV diese Fragen beantworten muss und dass die Verweigerungshaltung der Behörde nicht mit der im Grundgesetz festgeschriebenen Pressefreiheit vereinbar ist.
Wie hat das Gericht seinen Beschluss begründet?
Das Gericht hat festgestellt, dass das LfV diverse Argumente angeführt hat, die nichts mit der Frage zu tun haben, ob die Behörde mir antworten muss. Entscheidend ist hier allein das sächsische Pressegesetz, das die Auskunftspflicht regelt. Zum Teil hatte sich der Verfassungsschutz auf Geheimhaltungsregeln bezogen, die für die Beantwortung parlamentarischer Anfragen gelten. Das LfV hatte zudem argumentiert, ich könne am Ende mit geschickten Ja/Nein-Fragen seine gesamte Arbeit ausforschen. Dadurch sei die Arbeit der Sicherheitsbehörden gefährdet – und am Ende sogar das Staatswohl. Das Gericht hat das klar verneint und der Pressefreiheit hier Vorrang gegeben. Eine Argumentation des Gerichts war auch, dass ich die Information sowieso erhalten könnte, wenn alle Betroffenen einzeln eine Anfrage über ihre Daten beim LfV stellen würden.
Was hat der Geheimdienst Ihnen dann geantwortet?
Der sächsische Verfassungsschutz hat die personenbezogenen Daten von 589 Eingekesselten im gemeinsamen »Nachrichtendienstlichen Informationssystem« der deutschen Geheimdienste eingetragen. Die sind dort für die nächsten fünf Jahre gespeichert. Für die restlichen Personen sah das Landesamt sich als nicht zuständig, da diese nicht in Sachsen wohnen.
Wie schätzen Datenschützer und Juristen die Speicherung dieser Daten ein?
Der ehemalige Landesdatenschutzbeauftragte von Baden-Württemberg, Stefan Brink, hat es als Skandal bezeichnet, dass der VS einfach die Daten so vieler Menschen speichert. Und das, ohne genau zu unterscheiden: Bei so vielen Menschen seien mit sehr hoher Wahrscheinlichkeit Unbeteiligte dabei, etwa Anwohner, die zufällig im Kessel gelandet waren. Zudem sind ja auch die Daten von Dutzenden Jugendlicher betroffen. Da hätte man noch genauer prüfen müssen, bevor man Daten langfristig speichert.
Was passiert nun mit den Daten?
Erstmal ändert sich vermutlich nichts. Löschen muss der Geheimdienst die Daten nicht. Sie sind für alle Landesverfassungsschutzämter und den Bundesverfassungsschutz zugänglich. Das kann für diejenigen, deren Daten gespeichert wurden, durchaus Folgen haben, etwa wenn jemand von ihnen bei einer Versammlung als Ordner aktiv sein oder eine Tätigkeit übernehmen möchte, für die eine Sicherheitsüberprüfung notwendig ist. Allerdings hat die sächsische Datenschutzbeauftragte bereits angekündigt, dass sie die Datenspeicherung überprüfen will. Am Ende kann aber auch sie den Verfassungsschutz nicht dazu zwingen, die Daten wieder zu löschen, sondern nur dazu auffordern.
Welche Auswirkungen wird der Beschluss haben?
Die Entscheidung des Oberverwaltungsgerichts stärkt die Position von Journalisten. Ein übergeordnetes Gericht eines Landes hat klar festgestellt, dass ein Geheimdienst grundsätzlich Fragen der Presse beantworten muss. Darauf können sich zukünftig auch andere Journalisten bei ihren Recherchen berufen.
Aiko Kempen ist investigativer Journalist bei der Open Knowledge Foundation Deutschland e. V. und dem Rechercheportal »Frag den Staat«
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Das Verwaltungsgericht Berlin hat entschieden und die Klage des Verlags 8. Mai abgewiesen. Die Bundesregierung darf die Tageszeitung junge Welt in ihren jährlichen Verfassungsschutzberichten erwähnen und beobachten. Nun muss eine höhere Instanz entscheiden.
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