Scheiternde Emanzipation
Von Kai Köhler»Sowas kann nur einem Mann einfallen«, beschwerte sich meine Nachbarin in der ersten Pause der Premiere von Ottorino Respighis »La fiamma« am Sonntag an der Deutschen Oper Berlin. Am Ende des ersten Akts war mit viel Opernpomp die angebliche Hexe Agnese verbrannt worden. Nun geht es in den Künsten oft nicht ohne Hör- und Schaulust an Gewalt zu. Doch war Hexenverfolgung Gewalt vor allem von Männern. Und diese bleiben in Resphigis vorletzter Oper im Vergleich zu den weiblichen Figuren recht eindimensional.
Auf der Bühne sieht man die Geschichte einer scheiternden Emanzipation, verlegt ins 7. Jahrhundert. Silvana, von armer Herkunft und jung, wurde an den alternden byzantinischen Machthaber Basilio verheiratet. Sie leidet vor allem unter ihrer Schwiegermutter, die ihr die vorige Schwiegertochter als Muster vorhält und überhaupt jede Lebensfreude unterdrückt. Die Befreiung scheint von außen zu kommen, in Gestalt von Donello, Basilios Sohn aus der ersten Ehe, in den sich Silvana schnell verliebt. Dazu kommt, dass Basilio ihr nun die Vorgeschichte berichtet, wie ihn eine ihm unerklärliche Kraft zu Silvanas Mutter hinzog, die ihm ihre Tochter überließ. Nicht nur er hält die Mutter für eine Hexe. Die Kenntnis ihrer zweifelhaften Herkunft erschüttert Silvana nicht, sondern verleiht ihr die Kraft, ihrem Begehren zu folgen.
Respighis Musik weist ein paar Dissonanzen auf, ist aber im Ganzen eingängig und durch wenige, gut erkennbare Leitelemente strukturiert. Komplex ist sie nicht, aber bühnentauglich. Eine der großen Qualitäten der Berliner Aufführung ist, mit welcher Genauigkeit Dirigent Carlo Rizzi das Orchester der Deutschen Oper mit den szenischen Verläufen abstimmt. Die heute einzig bekannten Werke Respighis, die zwischen 1916 und 1928 entstandenen drei sinfonischen Dichtungen zu Roms Brunnen, Pinien und Festlichkeiten, erweisen ihn als Könner effektsicherer Instrumentation. Die Oper steht dem nicht nach, wobei weniger die lautstarken Massenszenen überzeugen. In den besten Momenten zeichnet der begabte Illustrator Respighi psychische Vorgänge durch Mittel nach, die so sparsam wie überzeugend sind. Dazu gehört die Orchestermusik zu Silvanas Entschluss, das Erbe ihrer machtvollen Mutter anzutreten und sich Donello zu schnappen.
Ein Loblied auf Kraft und Macht? Wie stand »La fiamma« denn zum Faschismus? Mussolini erschien zur Uraufführung in Rom 1934. Respighi hatte Bekenntnisse zum Regime vermieden, doch seine Karriere nach der Machtübergabe an die Faschisten 1922 ungebrochen fortgesetzt. Die Oper freilich fügt sich deren Ideologie nicht. Basilio tritt erstmals im zweiten Akt auf die Bühne und befiehlt mit Herrschaftsgestus, allen, die die Mutter seiner Frau als Hexe beschimpfen, die Zunge herauszuschneiden. Später jedoch, nachdem er monatelang so tun musste, als bemerke er die Beziehung zwischen seiner Frau und seinem Sohn nicht, wankt er jämmerlich umher. Silvana verkündet, sie habe ihn immer verabscheut – das genügt, und er legt sich zum Sterben. Das Volk ist wankelmütig. Mal will es brutal die Hexen töten, mal neigt es sentimental zum Mitleid. Die geistlichen Autoritäten wollen verbrennen, ob sie nun milde zum todbringenden Bekenntnis ermahnen, eine Hexe zu sein, oder umstandslos zum Lynchen aufrufen. Soweit von einer Einheit zwischen Volk und Führer die Rede sein kann, besteht sie ausschließlich zwischen Dummköpfen und Demagogen.
Herbert Murauer hat eine einfache Bühne geschaffen, mit großen, gestaffelten Holzrahmen und einem Hintergrund, auf dem man manchmal Gärten, dann auch wieder Schwärze sieht. Ein Raum kalter Machtverhältnisse, der allenfalls kurzfristig die Illusion eines Auswegs erlaubt. Regisseur Christof Loy führt die Figuren präzise und voll Verständnis für die psychologischen Konstellationen. Die Lage ist hoffnungsarm und führt denn auch in die Katastrophe. Am Ende wird auch die Ehebrecherin und scheinbare Gattenmörderin Silvana als Hexe bezeichnet und geht dem Flammentod entgegen. Loy folgt aber nicht der heute verbreiteten Anschauung, dass alles immer schon vergeblich ist. Er billigt allen Figuren humane Gesten zu, sogar der Schwiegermutter. So erzielt er die dramatisch notwendige Spannung zwischen der Suche nach Auswegen und ihren Hindernissen. In den Chorszenen beweist Loy die heute ganz seltene Fähigkeit, Massen auf die Bühne zu bringen. Man sieht weder eine ziellos wimmelnde Masse noch eine unverbundene Ansammlung von einzelnen, sondern klar strukturierte Gruppen.
Die Besetzung überzeugt durchweg. Das gilt vor allem für die wandlungsfähige Olesya Golovneva in der fordernden Partie der Silvana und Georgy Vasiliev, der auf schmetternde Tenorposen verzichtet und für den allzu nachgiebigen Donello durchaus Sympathie aufkommen lässt. Neben Ivan Inverardi als Basilio und Martina Serafin als dessen Mutter ist vor allem die Besetzung zweier kleinerer Rollen beachtlich. Sua Jo gibt mit klarer Diktion die Dienerin Monica, Silvanas einzige Vertraute und von ihr als Konkurrentin um Donello kurzerhand ins Kloster verbannt. Doris Soffel gestaltet mit der Souveränität einer nunmehr fünfzigjährigen Bühnenerfahrung die als Hexe verfolgte Agnese, deren Flammentod den düsteren Ausgang vorwegnimmt.
Nächste Vorstellungen: 2., 7., 11. und 15. Oktober
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