Ein kongeniales Denkmal
Von Nico PoppÜberraschend an dem geplanten Denkmal »zur Mahnung und Erinnerung an die Opfer der kommunistischen Diktatur in Deutschland« ist lediglich die Tatsache, dass es nicht schon längst zu besichtigen ist – schließlich wird es seit vielen Jahren von der nicht eben einflusslosen Gemeinde des professionalisierten Antikommunismus herbeigesehnt, die – ganz im Gegensatz zum Kommunismus – in Deutschland weiter höchst lebendig ist. Aber so langsam kommt die Sache voran. Fünf Jahre nach dem entsprechenden Beschluss des Bundestages und unmittelbar vor dem »Tag der deutschen Einheit« haben am Mittwoch Bund und Land Berlin verkündet, dass das Denkmal im Spreebogenpark im Zentrum der Hauptstadt errichtet werden soll.
Der Spreebogenpark ist eine begrünte Brachfläche, die sich am Rande des Regierungsviertels zur Spree hin zwischen dem Bundeskanzleramt und dem Paul-Löbe-Haus mit seinen Abgeordnetenbüros erstreckt. Hier laufen tagsüber vor allem Touristen durch, die zum Hauptbahnhof wollen oder von dort kommen. Bis zur Zerstörung im Zweiten Weltkrieg stand hier das bürgerliche Alsenviertel, wo viele Botschaften ihren Sitz hatten. Der einzige Rest der Vorkriegsbebauung ist die Botschaft der Schweiz direkt neben dem Kanzleramt. Einen erkennbaren Bezug zu einer »kommunistischen Diktatur« hat diese zwar zentral gelegene, aber oft auch ziemlich menschenleere Ecke (West-)Berlins nicht – es sei denn, man hält den Umstand, dass hier im April 1945 die Rote Armee von der Moltkebrücke her Richtung Reichstag durchbrach, für genau diesen Bezug.
Ob es dieser Aspekt war, der den Ort für die Akteure hinter dem Projekt interessant gemacht hat, ist vorläufig offen. Die Beauftragte der Bundesregierung für Kultur und Medien, Claudia Roth (Bündnis 90/Die Grünen), ließ am Mittwoch den »Abschluss einer intensiven Suche nach einer geeigneten, freien Fläche im Zentrum der Hauptstadt« melden, ohne die Standortwahl zu begründen. Man habe sich mit dem Land Berlin und dem Bezirk Berlin-Mitte verständigt. »Gerade am Tag der deutschen Einheit dürfen wir das Unrecht der SED-Diktatur und die Opfer des Kommunismus nicht vergessen«, erklärte sie.
»Viele Menschen, die sich für Menschenrechte und Freiheit eingesetzt haben«, hätten »dafür einen hohen Preis zahlen« müssen. Das Leid, »das das autoritäre DDR-Regime über viele Jahre verursacht hat, darf nicht in Vergessenheit geraten«, so Roth weiter. Sie umriss auch, wen die Bundesregierung mit »Opfern der kommunistischen Diktatur in Deutschland« meint: »Die Erinnerung an die Menschen, die an der Mauer ihr Leben verloren haben, an die Opfer von Willkürjustiz, von Heimerziehung oder Zwangsadoption sowie an die Menschen, die alltäglicher Überwachung ausgesetzt waren, bleibt unsere Verpflichtung.«
Mit dem Stempel »autoritär« wollte sich Berlins Regierender Bürgermeister Kai Wegner (CDU) nicht zufriedengeben. Das Denkmal werde »ein zentrales Zeichen der Mahnung sein, das uns allen die Gefahren und Folgen totalitärer Systeme bewusstmacht«, erklärte er. Mit dem Denkmal werde »eine Lücke in der deutschen Erinnerungskultur« geschlossen. Die grüne Bezirksbürgermeisterin von Berlin-Mitte, Stefanie Remlinger, wusste von »unzähligen« Opfern und Verfolgten »der kommunistischen Diktatur in Deutschland« und freute sich über den – so wörtlich – »kongenialen Ort«, den man nun für das Denkmal gefunden habe.
Auf die Standortfestlegung soll ein Gestaltungswettbewerb folgen, für den im Bundeshaushalt 2025 Mittel vorgesehen sind. Obwohl die Gesamtverantwortung für das Projekt bei der Beauftragten der Bundesregierung für Kultur und Medien liegt, ist die direkte Rolle der Regierung aber auf die Schaffung der rechtlichen Rahmenbedingungen und die Bereitstellung von Geld beschränkt.
Das Vorhaben koordiniert die sogenannte Bundesstiftung zur Aufarbeitung der SED-Diktatur in Abstimmung mit der »Union der Opferverbände kommunistischer Gewaltherrschaft«. In dem mit neun Mitgliedern eher übersichtlichen, von der ehemaligen Thüringer Ministerpräsidentin Christine Lieberknecht geleiteten projektbezogenen Beirat ist man unter sich. Ihm gehören einige mehr oder weniger prominente Veteranen der antikommunistischen DDR-Opposition mit unterschiedlich glanzvollen Karrieren nach 1990 an. Mit von der Partie ist auch der Historiker Jörg Ganzenmüller, Spezialist für »Diktaturenvergleich« und Vorsitzender der Stiftung Ettersberg. Die wurde 2002 vom damaligen Thüringer Ministerpräsidenten Bernhard Vogel eingerichtet, nachdem die Bestrebungen, in der Dauerausstellung der Gedenkstätte Buchenwald eine Gleichsetzung der »Diktaturen« durchzusetzen, am Widerstand ehemaliger KZ-Häftlinge gescheitert waren.
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Leserbrief von Onlineabonnent/in Joachim S. aus Berlin (4. Oktober 2024 um 18:11 Uhr)Es ist nicht das erste und es wird nicht das letzte Denkmal sein, das sich Herrschende zu ihrem Ruhme und um ihre Gegner zu schmähen errichteten. Die Zeit geht meistens über sie hinweg, als hätte es sie nie gegeben. Ich finde das auch in diesem Falle außerordentlich tröstlich.
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Leserbrief von Fred Buttkewitz aus Ulan - Ude (4. Oktober 2024 um 02:05 Uhr)»Mit dem Denkmal werde ›eine Lücke in der deutschen Erinnerungskultur‹ geschlossen.« Welche Lücke? Über »Verbrechen im Reich des Bösen, genannt Kommunismus« wird seit Jahrzehnten täglich von allen Hauptmedien sowie bei vielen Gedenktagen und Feierstunden im Bundestag in einer Weise berichtet, die jeden sachlichen Vergleich mit den Opfern des jetzt herrschenden Systems unerwähnt lässt. Orwell lässt mal wieder grüßen. Die offizielle Erinnerungskultur besteht ja nun einmal zu 100 Prozent bereits aus dem, was dieses Denkmal zusätzlich vermitteln möchte, was es aus eben diesem Grund dann aber überflüssig macht. Die in Wirklichkeit erschreckend größere Anzahl an Opfern gibt es jetzt seit 1990 auf dem Gebiet der früheren DDR, eben weil es die DDR nicht mehr gibt, einen Staat, der auch schützend die Hand über seine Bürger hielt. Möge man doch bitte all die Opfer zählen, die es nach 1990 in der BRD gab, weil dort auf der einen Seite zu viel Freiheit gewährt wird und auf der anderen Seite die Arbeitgeber autoritär ihre Belegschaft in die Arbeitslosigkeit entlassen dürfen, wie es in der DDR undenkbar gewesen wäre. Wer zählt jetzt die Selbstmorde wegen langjähriger Arbeitslosigkeit und Chancenlosigkeit im kapitalistischen System, die Toten wegen freiem Zugang zu Drogen, Tod durch Obdachlosigkeit, die Toten der im Vergleich zur DDR erhöhten Kriminalität, der Verkehrstoten, weil auf den Autobahnen nach 1990 ungehemmt gerast werden durfte? Wer setzt ihnen ein Denkmal? Wer setzt den Opfern der Kinderheime-West aus der Adenauer-Ära ein Denkmal? Wer den Tausenden Opfern, weil sich Deutschland an Kriegen in aller Welt direkt oder indirekt beteiligt? Wer setzt den Opfern in Asien ein Denkmal, weil deutsche Konzerne ihr Billigproduktion dorthin ausgelagert haben? Mögen sich doch für deutschen Profit andere in aller Welt vergiften bei untragbaren Arbeitsbedingungen, wie sie in der DDR bei allen Mängeln, die es auch dort gab, niemals denkbar gewesen wären.
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Leserbrief von Reinhard Hopp aus Berlin (4. Oktober 2024 um 18:59 Uhr)Genau! Ergo: Das (vielleicht) einzige Denkmal, das noch »denkbar« wäre, wäre eines für die unfassbar schamlose westlich orchestrierte Vereinigungsheuchelei. Anbieten würde sich da z. B. eine nach Westen blickende übergroße und auf dem Grundgesetz der BRD kauende glitschig-schmierige Gauck-Statue mit Heiligenschein.
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