Aufruhr an den Unis
Von Frederic SchnattererAllein in Buenos Aires waren es Hunderttausende, im ganzen Land war es wohl mindestens eine Million: Am Mittwoch nachmittag (Ortszeit) sind in Argentinien Studierende, Universitätsdozenten und -angestellte sowie Mitglieder sozialer Bewegungen und Gewerkschaften bei frühlingshaften Temperaturen auf die Straße gegangen – »in Verteidigung der öffentlichen Universitäten«. Es waren die größten Proteste gegen die ultrarechte Regierung von Präsident Javier Milei seit den Demonstrationen am 23. April, als ebenfalls Studierende und Unipersonal ihre Wut über die Kürzung von Mitteln auf die Straßen getragen hatten.
Anlass der Proteste war die Ankündigung Mileis, sein Veto gegen ein Gesetz zur Finanzierung der öffentlichen Universitäten einzulegen – wie es dann auch vor Ablauf der gesetzlichen Frist am Donnerstag geschah. Das präsidentielle Veto kann nun von zwei Dritteln der Abgeordneten des Kongresses wieder aufgehoben werden. Mileis Partei La Libertad Avanza (LLA) verfügt dort gerade einmal über 39 von 257 Vertretern. Insbesondere die Frage, ob die 38 Parlamentarier der rechtskonservativen Partei Pro das Veto in einer wahrscheinlichen Abstimmung stützen würden, ist weiter offen.
Noch am Mittwoch hatte das Präsidentenbüro die Forderung, die öffentlichen Ausgaben für die Universitäten anzuheben, in einer Mitteilung zum bevorstehenden Veto als »unverantwortlich« bezeichnet. Milei, der seit dem 10. Dezember 2023 an der Spitze der Republik steht, verfolgt einen strikt neoliberalen Kurs. Entsprechend seinem berühmt gewordenen Ausspruch »Es gibt keine Kohle« streicht er die öffentlichen Ausgaben rigoros zusammen und verscherbelt Staatseigentum.
Dass er so verfahren werde, hatte der Präsident bereits Mitte September bekräftigt, als er entgegen den Gepflogenheiten den Haushalt für 2025 selbst vorstellte. Dabei erklärte er, er werde gegen alle Gesetze ein Veto einlegen, die die »schwarze Null« bedrohten. Nur wenige Tage zuvor hatte er das erste Mal von dem Instrument Gebrauch gemacht und eine Rentenerhöhung abgeschmettert. Bei der darauffolgenden Abstimmung im Parlament hielt das Veto dank der Stimmen der rechtskonservativen Koalitionspartner stand. Die »Helfer«, die ihm den »Erfolg« ermöglicht hatten, lud Milei im Anschluss zu einer Grillparty ein.
Bereits heute leiden die Hochschulen Argentiniens unter Geldmangel. Wie die Tageszeitung Clarín am Mittwoch berichtete, erhalten sie 30 Prozent weniger Mittel als noch vor einem Jahr. Ein großer Teil der Dozenten lebt von Löhnen unterhalb der Armutsgrenze. Immer mehr Forschende verlassen auf der Suche nach besseren Lebens- und Arbeitsbedingungen das Land.
Die Mobilisierungen zeigten erneut, wie tief verankert der Stolz der Argentinier auf das öffentliche Bildungssystem ihres Landes ist. Die argentinischen Universitäten gehören zu den besten Lateinamerikas. 80 Prozent aller Studierenden besuchen öffentliche Hochschulen. Gleichzeitig kommen fast 50 Prozent derjenigen, die sich an den Unis des Landes einschreiben, nicht aus akademischen Familien.
Noch am Mittwoch abend redete die Milei-Regierung die Mobilisierungen klein. So hieß es aus dem Präsidentenpalast, sie seien geringer ausgefallen als noch im April. Zudem seien sie »hochgradig politisch« gewesen – ein Versuch, die Demonstrierenden in »gute« Studierende und »korrupte Vertreter« der linken Opposition zu spalten.
Ob der Präsident damit durchkommt, ist fraglich. Laut dem Dozentenverband Conadu wurde am Mittwoch in fast 50 Städten des Landes demonstriert. Vor dem Kongressgebäude in Buenos Aires, das »Sicherheitsministerin« Patricia Bullrich von starken Polizeikräften komplett abschirmen ließ, riefen Redner von Studierenden-, Dozenten- und Arbeitervertretungen zum Widerstand gegen die Pläne von Milei auf. Gut möglich, dass die Demonstrationen den Anfang einer breiteren Protestbewegung gegen die Regierung darstellen. Deren Ansehen war in den vergangenen Wochen stark zurückgegangen.
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