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Aus: Ausgabe vom 04.10.2024, Seite 8 / Ansichten

Niederlage in Zeitlupe

Zustand der ukrainischen Armee
Von Reinhard Lauterbach
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Gebäude im ukrainischen Saporischschja nach einem russischen Luftangriff (1.10.2024)

Man soll den Gang von Kriegen nie nach dem Verlauf einzelner Gefechte beurteilen. Am allerwenigsten mit geringem zeitlichen Abstand zum Geschehen. Mit aller gebotenen Vorsicht lassen sich aber aus der vierten Schlacht um Wugledar schon ein paar Schlussfolgerungen ziehen. Denn der geographische Faktor – das für die Verteidigung günstige Gelände – lässt sich herauskürzen. Ganz offenkundig hat die Ukraine diesen Faktor diesmal nicht für sich ausnutzen können, wie es ihr noch 2022, 2023 und Anfang dieses Jahres gelungen war.

Einer der Faktoren, der sich jetzt zum Nachteil der Ukraine ausgewirkt hat, war die Entscheidung der Kiewer Führung, im August einen Handstreich auf russisches Gebiet zu starten. Generaloberst Olexander Sirskij hat für diesen Einsatz die kampfkräftigsten ukrainischen Einheiten mit der besten Ausrüstung aus der bestehenden Front herausgezogen. Die Hoffnung war, dass der an dieser Stelle unerwartete Angriff Russland veranlassen werde, seinerseits kampffähige Truppen von der Donbass-Front abzuziehen. Aber den Gefallen hat Moskau Sirskij nicht getan.

Ein zweiter ist der Umstand, dass Russland bei so gut wie sämtlichen Parametern der Kriegführung der Ukraine mehrfach überlegen ist, angefangen von den finanziellen und menschlichen Ressourcen bis hin zu den einzelnen Gattungen militärischer Technik. Die russische Rüstungsindustrie hat mit den schweren bis überschweren Gleitbomben, die ukrainische Befestigungen mit einem Treffer in Schutthaufen verwandeln, eine »kreative« Lösung für die Verwendung sowjetischer Altbestände gefunden. Bei den Drohnen und der elektronischen Kriegführung steht Russland der Ukraine zumindest nicht nach. Beides führt dazu, dass Russland die unter hohen Verlusten an (in Straflagern rekrutierten) Infanteristen vorgetragenen Angriffe heute nicht mehr nötig hat. Die russischen Verluste sind heute nach dem, was man vernünftig vermuten kann, absolut und relativ geringer als die der Ukraine. Zudem ist die Moral der ukrainischen Truppen inzwischen offenkundig äußerst labil.

Das erklärt auch, warum ein in Kriegszeiten im Prinzip beispielloses Phänomen zu beobachten ist: Ukrainische Soldaten, die in sozialen Netzwerken über die eigene Führung herziehen – zum Beispiel, dass der Rückzugsbefehl aus Wugledar viel zu spät gekommen sei. Die Kommandoebene beherrsche offenbar nur noch die Kunst, möglichst viele eigene Männer »zur Strecke zu bringen«. Noch bemerkenswerter ist, dass die Soldaten, die solche Postings verschicken, offenkundig mit keinen dienstlichen Konsequenzen zu rechnen haben. Sie publizieren seit Wochen und Monaten. Die Schlussfolgerung daraus lautet: Die Ukraine ist inzwischen offenbar so knapp mit Soldaten, dass sie sich so etwas nicht mehr leisten kann. Nur ihr Präsident bekommt das entweder nicht mit oder schwindelt darüber hinweg.

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  • Leserbrief von Onlineabonnent/in Marc P. aus Cottbus (4. Oktober 2024 um 17:23 Uhr)
    Auch wenn die ukrainische Armee im Donbass Stück für Stück zurückweicht, so gelingt es ihr doch vorerst, ihren Brückenkopf in der russischen Oblast Kursk aufrechtzuerhalten. Und wenn es ihr gelingt, dies bis zum Beginn von Friedensverhandlungen durchzuhalten, dann dürfte es fast unerheblich sein, wieviel Quadratkilometer Land zusätzlich die russische Armee bis dahin noch erobert haben wird. Denn dafür, dass die ukrainischen Unterhändler den russischen Besitz der bereits vor 2022 unter russischer Kontrolle stehenden Gebiete anerkennen und den (vorläufigen) Verzicht auf eine NATO-Mitgliedschaft akzeptieren, werden sie die Rückgabe des seit Februar 2022 von Russland eroberten Territoriums verlangen. Das zusätzliche Druckmittel der Ukrainer wird dabei das Stück russischen Landes sein, dass die ukrainische Armee in der Oblast Kursk besetzt hält.
  • Leserbrief von Istvan Hidy aus Stuttgart (3. Oktober 2024 um 22:43 Uhr)
    Zunehmend wird die ukrainische Führung, dominiert vom Jermak-Selenskyj-Duo aus der Filmbranche, zur beherrschenden Kraft – mit verheerenden Folgen. Propaganda ist im Krieg zwar wichtig, aber keineswegs allmächtig. Angesichts der aktuellen Kriegsrealität und moderner Kommunikationsmittel wird deutlich, dass die ukrainische Führung auf einem absteigenden Ast sitzt. Schon bald wird ihre Position so unhaltbar sein, dass niemand mehr mit ihnen etwas zu tun haben möchte. Die Überforderung der US-Regierung – mit dem »schläfrigen Joe«, dem Wahlkampf und dem Nahostkonflikt – lässt schlimme Entwicklungen für die Ukraine befürchten. Traurigerweise scheint die EU, die neben der total verblutenden Ukraine die Hauptlast der finanziellen Unterstützung trägt, der größte Verlierer zu sein. Da der Nahe Osten und die wirtschaftliche Herausforderung durch China für die USA weitaus wichtiger sind als die Ukraine, könnte es gut sein, dass der Kreml seine Interessen in Osteuropa weitgehend durchsetzen wird.

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