Assange: »Habe mich des Journalismus schuldig bekannt«
Die Website Nachdenkseiten dokumentierte in deutscher Sprache die Ansprache Julian Assanges vor dem Europarat in Strasbourg am 1. Oktober. Darin heißt es unter anderem:
Meine Damen und Herren, der Übergang von der jahrelangen Gefangenschaft in einem Hochsicherheitsgefängnis zur Anwesenheit hier vor den Vertretern von 46 Nationen und 700 Millionen Menschen ist eine tiefgreifende und surreale Veränderung. Die Erfahrung der jahrelangen Isolation in einer kleinen Zelle ist schwer zu vermitteln. Sie entzieht einem den Sinn für das eigene Ich, so dass nur noch die rohe Essenz der Existenz übrig bleibt.
Ich bin noch nicht ganz in der Lage, über das zu sprechen, was ich durchgemacht habe – der unerbittliche Kampf um das Überleben, sowohl körperlich als auch geistig. Auch kann ich noch nicht über den Tod durch Erhängen, Mord und medizinische Vernachlässigung meiner Mitgefangenen sprechen. (…)
Ich entschied mich schließlich für die Freiheit und gegen eine realisierbare Gerechtigkeit, nachdem ich jahrelang inhaftiert war und mir eine 175jährige Haftstrafe ohne wirksame Rechtsmittel drohte. Gerechtigkeit für mich ist nun ausgeschlossen, da die US-Regierung in ihrer Vereinbarung schriftlich darauf bestand, dass ich keine Klage beim Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte oder gar einen Antrag auf Informationsfreiheit über das, was sie mir aufgrund ihres Auslieferungsersuchens angetan hat, einreichen kann.
Ich möchte mich klar ausdrücken. Ich bin heute nicht frei, weil das System funktioniert hat. Ich bin heute nach Jahren der Inhaftierung frei, weil ich mich des Journalismus schuldig bekannt habe. Ich habe mich schuldig bekannt, Informationen von einer Quelle eingeholt zu haben. Ich habe mich schuldig bekannt, Informationen von einer Quelle erhalten zu haben. Und ich habe mich schuldig bekannt, die Öffentlichkeit über diese Informationen informiert zu haben. Für etwas anderes habe ich mich nicht schuldig bekannt. (…)
Wir haben die Wahrheit über Zehntausende von versteckten Kriegsopfern und andere ungesehene Schrecken über Programme zur Ermordung, Überstellung, Folter und Massenüberwachung herausgefunden und veröffentlicht. Wir haben nicht nur aufgedeckt, wann und wo diese Dinge passiert sind, sondern häufig auch die Politik, die Vereinbarungen und die Strukturen dahinter. Wie zum Beispiel bei der Veröffentlichung von »Collateral Murder« (Kollateralmord), den berüchtigten Aufnahmen einer US-Apache-Hubschrauberbesatzung, die irakische Journalisten und ihre Retter eifrig in Stücke sprengen. Die visuelle Realität der modernen Kriegführung schockierte die Welt, und so nutzten wir das Interesse an diesem Video auch, um die Menschen auf die geheimen Richtlinien zu verweisen, die festlegen, wann das US-Militär im Irak tödliche Gewalt einsetzen darf. (…)
Die Kriminalisierung der Nachrichtenbeschaffung ist eine Bedrohung für den investigativen Journalismus überall. Ich wurde von einer ausländischen Macht formell verurteilt, weil ich wahrheitsgemäße Informationen über diese Macht angefordert, erhalten und veröffentlicht habe, während ich in Europa war. Die grundlegende Frage ist einfach, dass Journalisten nicht für ihre Arbeit belangt werden sollten. Journalismus ist kein Verbrechen. Er ist eine Säule einer freien und informierten Gesellschaft. (…)
Vollständige Rede: nachdenkseiten.de/?p=122369
Siehe auch
Solidarität jetzt!
Das Verwaltungsgericht Berlin hat entschieden und die Klage des Verlags 8. Mai abgewiesen. Die Bundesregierung darf die Tageszeitung junge Welt in ihren jährlichen Verfassungsschutzberichten erwähnen und beobachten. Nun muss eine höhere Instanz entscheiden.
In unseren Augen ist das Urteil eine Einschränkung der Meinungs- und Pressefreiheit in der Bundesrepublik. Aber auch umgekehrt wird Bürgerinnen und Bürgern erschwert, sich aus verschiedenen Quellen frei zu informieren.
Genau das aber ist unser Ziel: Aufklärung mit gut gemachtem Journalismus. Sie können das unterstützen. Darum: junge Welt abonnieren für die Pressefreiheit!