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Aus: Ausgabe vom 04.10.2024, Seite 11 / Feuilleton
Wenzel

Keine Gefahr!

Lieder voller Liebe vom Lumpenpazifisten: Wenzels neues Album »Strandgut der Zeiten«
Von Michael Merz
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Lauernder Schalk des Rebellentums: Wenzel bei der Rosa-Luxemburg-Konferenz in Berlin im Januar 2024

Der Zug rollt in den Bahnhof Mönchengladbach, Union Berlin spielt heute Fußball da. Ich habe Musik im Ohr, das neue Album »Strandgut der Zeiten« von Wenzel. Ganz schön viel Kultur des Ostens, so tief im Westen. Sicher mehr, als sonst hierhin vordringt. Der 3. Oktober steht nur zufällig ins Haus, wollen wir in den künstlichen Feiertag mal nicht zuviel hineindeuten. Mein damals schon sehr alter, aber noch ziemlich fitter Staatsbürgerkundelehrer meinte 1990, die sogenannte Wiedervereinigung finde nur an diesem Datum statt, damit die DDR nicht noch ein Jahr älter werden kann. Fragen tun sich auf: Ist für uns Ossis immer nur der Gästeblock vorgesehen? Sind wir zum Zuschauen verdammt, während der Krieg in den Köpfen tobt, das Elend auf den Straßen gedeiht? Abschottung der Individuen statt Zusammenleben. Da kann man nix machen. Ist es ein Dabeisein als Staffage, letztlich gewinnen werden die, die die Kohle eh schon haben? Wir wollten es ja nicht anders, dann saugt uns doch aus.

Wenn jemand sich nicht scheut, seinen Standpunkt deutlich zu äußern, dann ist das wohl Wenzel. Lassen wir seine musikalische Poesie die Antwort geben. Er leitet ein mit »Die Hoffnung ist im Eimer«, was so gar nicht deprimierend klingt. Ganz im Gegenteil: Es sei die »Zeit der Schleimer«, und ein furioser Americana-Sound, mit Walk-The-Line-Riff und fetten Bläsern, treibt sie an. »Das Geld wird eingezogen. Die Zukunft ist erlogen. Die Stümper kommen zu Ehren.« Und obwohl die Dummheit Siege feiert, die Wahrheit zur Lüge wird, gibt es da etwas oder jemanden, für den sich das Schinden lohnt, und das eigene Verschwinden steht nicht auf der Tagesordnung.

Konkreter wird Wenzel im zweiten Song, der Warnung vor denen, die dieser Tage als »Lumpenpazifisten« gebrandmarkt sind. Unnötig zu sagen, dass er sich voller Wonne einreiht: »Denn für die Kühnen, die stets einen an der Waffe, bin ich nichts weiter als ein linker, kranker Affe.« Die Hymne gegen Aufrüstung und Propaganda ist wie gemacht, um beim Konzert aus voller Kehle gesungen zu werden, in die Beine zu fahren. Es können sich die feiern und gefeiert fühlen, die widerstehen: »Ich passe nicht ins Bild, nicht in die Zeit. Ach, sperrt mich weg, es tut mir wirklich leid.«

Und dann gibt es die auf der anderen Seite. Die, die Macht haben und sie missbrauchen, uns ins Verderben reiten. »Teile und herrsche« ist ein schon vielfach von Wenzel und Band live erprobter Song, der die unweigerlichen Konsequenzen vor Augen führt. »Alles ist kaputt und hin«, und plötzlich – »die Patrioten brüllen leise«. Der ewige Zyklus. Von der Hetze zum Köpfe einschlagen, und wenn alles vorbei ist, will es keiner gewesen sein: »Nach dem Krieg heißt es: Nie wieder! Aber vorher kocht das Blut / Und man schlägt die Feinde nieder / Und man fühlt sich gut.«

An dieser Stelle des Albums schaltet Wenzel einen Gang runter. Melancholische Liebeslieder voller Sehnsucht, in denen jeder Atemzug zählt, die konfliktträchtige Welt nur entfernt zu erahnen ist – das kann er ebenso überzeugend wie die Mitmachnummern. Hervor sticht ein vertonter Bertolt Brecht, das »Sonett Nr. 19«. Es startet ganz sachte mit Akustikgitarre und einem Hauch von Stimme: »Nur eines möchte ich nicht: dass du mich fliehst.« Der Sechsachteltakt wird von der tighten Band aufgegriffen, weitergetrieben, den Schluss bestreitet erneut nur die Gitarre. Gehuldigt wird dem Gegenüber, das einen nicht einsam werden lässt, das trotz aller Reibung so nötig gebraucht wird, kein Leben gibt es ohne.

Ein Song sei exemplarisch noch herausgestellt: »Die Abgebauten« – die Band schwelgt im Latinohimmel, Wenzel klagt an. Wen, das kann man sich an drei Fingern abzählen: »Sie leben gerechter und gesünder. Und lieben es, auf uns herabzuschauen!« Sie haben die Weisheit mit Löffeln gefressen, die von der Sprachpolizei, vegetieren goldrichtig dahin, wissen alles besser, und Leute wie Wenzel sind für sie »nicht mehr zuständig für die Wahrheiten« und »eine Gefahr«. Dann schon lieber zu den »störrischen Greisen« gehören, zum »Strandgut der Zeiten«.

Ja, es ist beschissen, so wie es läuft, und es wird nur schlimmer. Wenn Wenzel eine Antwort hat, dann ist es, dass du dir die Verbitterung sparen kannst. Sich die ständig zur Schau gestellten Unzulänglichkeiten des Widerparts zum Spaß machen, das bringt dich weiter. Den lauernden Schalk als Rebellentum nutzen, bei Gelegenheit aus der Hüfte schießen.

Union Berlin hat übrigens das Spiel verloren, knapp, mit 0:1 kurz vor Schluss. War nicht schlimm. Am späten Abend haben Fans der Eisernen mit den Gladbachern dann in der örtlichen griechischen Kneipe am Bahnhof Sirtaki getanzt. Das ist doch was.

Wenzels neues Album »Strandgut der Zeiten« erscheint am 4. Oktober auf CD und Vinyl beim Label Matrosenblau

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