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Aus: Ausgabe vom 04.10.2024, Seite 10 / Feuilleton
Kino

Noch schlimmer …

… als Nick Cave: Eine kurze Geschichte zu Element of Crime und Charly Hübners Doku über die Band
Von René Hamann
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Knietief im Berliner Underground? Ach, geht so: Element of Crime

Erste Szene: Auf dem Schulhof am Niederrhein, etwa 1989. Ein Gymnasium. Wir waren alle schwarz gekleidet, außer meiner Freundin, die weiße Jeans trug und Bryan Adams hörte. Na ja, »hörte«. Sie interessierte sich eigentlich nicht für Musik. »Wir waren alle schwarz« hieß, dass wir The Cure hörten, die Sisters of Mercy, Depeche Mode und Joy Division. Einer unserer Vordenker kam einmal mit einer Platte einer deutschen Band: Element of Crimes »Try to be Mensch«. Das sollten »die deutschen Cure« sein. Komischerweise habe ich die Platte nie gehört.

Zweite Szene: Eine Studenten-WG in Köln, etwa 1993. Schwarz hatten wir abgelegt, wir hörten lieber John Peel im Radio oder Elektro in kleinen Kölner Kellern. Außer meiner Mitbewohnerin, die Folk mochte, oder das, was damals als Folk galt. Düsterer Späthippiefolk, M. Walking on the Water, Levellers, Poems for Laila. Schreckliche Musik. Sie mochte auch Element of Crime, die hatten inzwischen vom Englischen ins Deutsche gewechselt und klangen jetzt nicht mehr nach The Cure, sondern nach Brecht/Weill. Warum will man 1993 nach Brecht/Weill klingen? Was sollte diese Kirmesmusik, die so weinerlich poetisch daherkam? Verstand ich nicht. Der Kosename der Band ward geboren: Element of Schleim.

Im Grunde klingen Element of Crime immer noch so. Wie man im Film »Wenn es dunkel und kalt wird in Berlin« des Schauspielers und Filmemachers Charly Hübner – zu dem ich kein Verhältnis habe, nicht einmal ein schlechtes – sehen und hören kann, hat sich musikalisch seither nicht viel getan bei der Band rund um den Wiener-Straßen-Poeten Sven Regener, um dessen Bücher ich bislang auch immer einen großen Bogen gemacht habe, obwohl mir sein Auftritt im »Literarischen Quartett« gar nicht so schlecht gefiel. Aber Sven Regener, das geht nicht, tut mir leid. Ich hasse seine trompetengeschwängerte Musik, die so ist, wie wenn es im Hollywoodfilm traurig wird: Es setzt Regen ein. Haha, Regen! Also Melancholie. Kann man mir immer noch nicht erzählen. Ich habe als Jugendlicher Joy Division gehört.

Doch wenn man älter wird (als Mann), trägt man bunte Hemden. Oder man läuft wieder ganz in Schwarz herum, schwarzes Hemd, schwarzes Jackett, dazu vielleicht weiße Sneakers. So wie die Band, die hier in zugegeben schönen Bildern reihum vorgestellt wird, mit Geschichte, mit viel, viel Berlin-Nostalgie – man könnte meinen, die Stadt hat nicht mehr viel zu bieten heutzutage, alles weggentrifiziert, da taugen sogar Element of Crime für eine »Früher war mehr Punk«-Story.

Noch mal zur Veranschaulichung, dritte Szene: In der Berliner »Lieblingsbar«, Neukölln, etwa 2010. Der nette Lieblingswirt aus Bremen, gemütlich und mit Bart, lässt Nick Cave laufen. Nick Cave hat ein paar gute Stücke, aber nach drei, vier Liedern nervt diese Pseudoschwere schwer. »Bitte, Dirk, leg was anderes auf! Wir ertragen es nicht mehr!« Macht er. Es erklingt tatsächlich Musik, die noch schlimmer ist als Nick Cave. Wie geht das denn? Wer ist das? Ach, Element of Crime.

Im Film ist der gemütliche Brillenträger Sven Regener natürlich sehr oft im Bild und in keiner Szene jemals von Selbstzweifeln angekränkelt. Vom Erfolg aus lässt sich alles erzählen, auch die Wichtigkeit von Whiskeymusik für trockene Alkoholiker. Im Film tun die »Elements« dann weithin so, als ob sie schon immer und immer noch knietief im Berliner Underground steckten. Sie touren durch die Klubs, die man noch von früher kennt, etwa das SO36. Und fast ist es so wie bei den Ärzten. Sie hätten mal im Schokoladen spielen sollen! Oder im Loophole.

Nun ja, »Jung und schön« ist schon ein gutes Stück Musik von Element of Crime, und in »Delmenhorst« kommt sogar eine Zeile vor, die mir gefällt: »Und dann kommt gleich Getränke Hoffmann«. Aber die nächste Zeile ist wieder Kitsch. Und so fällt mir die letzte Szene ein, die ich mit Sven Regener verbinde: An einem Berliner Morgen, etwa 2015. Regener wird von Radio eins angerufen, er soll etwas zu Urheberrechten und GEMA erzählen. Er wütet live on air herum, gegen alle, die nichts bezahlen würden für ehrliche Musik. Er wütet nicht gegen die Plattenfirmen, nein, sondern gegen das von der Musikindustrie verhöhnte Volk, die alles frei herunterladen. Unsympathischer als an jenem Morgen war mir der saturierte Herr mit der blöden Hornbrille nie.

Aber gut, was weiß denn ich. Mir kann Musik und Text von Regener und seinen Kumpanen im von Hübner angekumpelten Film getrost auch weiterhin gestohlen bleiben, es gibt andere Musik. Auf was es hinauslaufen soll, wird nämlich auch in der Doku nie ganz klar: Romantik? Privatheit, die nach außen cool und nach innen eher kleinbürgerlich wirkt? Nur die Liebe zählt? Weiß man nicht. Auch egal.

Irgendwann wird es dann wirklich langweilig. Mag Herbert Grönemeyer diese Band eigentlich? Egal. Die, die Element of Crime mögen, werden auch diesen Film mögen, denn er ist ordentlich gemacht, er ist nahe dran, er redet und zeigt, er macht das gut. Er läuft übrigens auch bald im RBB. Muss man nicht ins Kino für.

»Element of Crime in Wenn es dunkel und kalt wird in Berlin«, Regie: Charly Hübner, BRD 2024, 96 Min., bereits angelaufen

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