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Aus: Ausgabe vom 04.10.2024, Seite 10 / Feuilleton
Kunst

Eine Welt voller Hoffnung: Vor 110 Jahren wurde die Malerin Susanne Kandt-Horn geboren

Von Peter Michel
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Susanne Kandt-Horn: »Eines Tages werden die Menschen wie Brüder leben« (1974/75, Öl)

Angesichts der tragischen Entwicklungen in der Gegenwart an Susanne Kandt-Horn zu erinnern erscheint wie eine Flucht in eine schöne Vision. Ihre Werke sind eine Verbildlichung der Gedanken Martin Luther Kings und des Friedensliedes, das Bertolt Brecht frei nach Pablo Neruda schrieb und das Paul Dessau vertonte.

In den achtziger Jahren waren wir uns zum ersten Mal begegnet. Damals hatte sie für die Zeitschrift Bildende Kunst Beiträge über die Malerinnen Frida Kahlo und Paula Modersohn-Becker geschrieben. Später eröffnete ich ihre Ausstellungen in einer kleinen Galerie in der Berliner Frankfurter Allee und im Kunstpavillon Heringsdorf. Das war nach 1989, als sie ins Vergessen gedrängt werden sollte. Dabei gehörte sie zu denen, die das Kunstleben in der DDR in starkem Maße mitgestaltet hatten. Neben Lea Grundig, Heidrun Hegewald, Inge Jastram und vielen anderen gehörte sie zu den bekanntesten Malerinnen in der DDR. Eigentlich wollte sie Bildhauerin werden; das erklärt ihre Neigung zur plastischen Form in ihrer Malerei.

Am 3. Oktober 1914 war sie in Eisenach geboren worden. Immer wieder erzählte sie von ihrer glücklichen Kindheit, in der Kunst und Musik eine prägende Rolle spielten. Nach einem Besuch der Eisenacher Zeichenschule von Hermann Blechschmidt nahm sie 1936 bis 1940 am Abendstudium an der Staatlichen Hochschule für Bildende Künste in Berlin-Charlottenburg teil. In den ersten Nachkriegsjahren lebte sie als freischaffende Malerin in Eisenach und gehörte dort zu den Begründern des Deutschen Kulturbundes. 1954 heiratete sie den Maler Manfred Kandt und zog mit ihm auf die Insel Usedom nach Ückeritz, wo sie bis zu ihrem Lebensende blieb. Hier reihte sie sich bald in den Künstlerkreis um Otto Niemeyer-Holstein, Otto Manigk, Herbert Wegehaupt, Vera Kopetz und andere ein. Doch im Unterschied zu den meisten Künstlerfreunden neigten beide Eheleute zu großflächigen bis monumentalen Bildfindungen.

Ihr bildgewordenes Anliegen war es, eine Welt zu erschaffen und zu bewahren, in der warme Menschlichkeit herrscht. Dabei griff sie auf ein großes kunst- und geistesgeschichtliches Arsenal zurück. Ob sie ihre Kinder, Enkel oder Freunde malte, ob sie auf alttestamentarische oder antike mythologische Stoffe zurückgriff, weibliche Akte, Strandszenen auf die Malgründe bannte – immer war diese allumfassende Liebe zum Menschen zu spüren. Sie setzte sich selbst in Beziehung zu Philipp Otto Runge, dem Wolgaster Maler, den sie so schätzte. An Rainer Maria Rilke dachte sie, wenn sie antike Torsi in ihre Bilder holte. In ihrem Bild »Merkwürdige Zusammenkunft oder Napoleon war nicht geladen« versammelte sie Persönlichkeiten um sich, die ihre geistige Welt bestimmten: Bertolt Brecht, Rosa Luxemburg, Käthe Kollwitz, Lenin, Friedrich Schiller, Martin Luther King u. a.; nur Napoleon erschien als Aggressor in flammendem Rot. Auch in der vielfigurigen Bildtafel »Eines Tages werden die Menschen wie Brüder leben« vereinte sie Porträts von Fidel Castro, Pablo Neruda, Pablo Picasso, Víctor Jara, Louis Armstrong und anderen mit Darstellungen einer vietnamesischen Mutter, eines Liebespaars, einer jungen Familie am Strand und einem Selbstbildnis. Sie verehrte Miriam Makeba, Mahalia Jackson, Sophia Loren und viele andere. Susanne Kandt-Horns Blick in die Welt war weit und voller Hoffnung.

Zugleich verurteilte sie den homerischen Odysseus ebenso als gewalttätigen Menschen wie den Halbgott Achill. Schon früh hatte sie sich mit lithographischen Mitteln mit dem parabelhaften Stück »Der Drache« beschäftigt, das Jewgeni Schwarz 1943 unter dem Eindruck der Leningrader Blockade geschrieben hatte. Hier ging es ihr um das Zusammenspiel von Tyrannei und knechtseligem Untertanengeist. Ihren letzten großen grafischen Zyklus, der vor ihrem Tod (11. Juni 1996) entstand, widmete sie der »Odyssee«. Er besteht aus sieben Lithographien. Das Blatt »Der massakrierte Polyphemos« wurde zu einer Metapher der Grausamkeit. Man kann das als Mahnung begreifen.

Heute scheint Susanne Kandt-Horn beinahe vergessen zu sein. Manchmal tauchen ihre Arbeiten in Auktionen auf. Bei einem letzten Besuch auf dem Ückeritzer Friedhof war ihr Grab verwildert.

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