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Aus: Ausgabe vom 04.10.2024, Seite 2 / Ausland
Kolumbien

»Das Abkommen hat die Tür geöffnet«

Kolumbien: Mittel für die Reintegration ehemaliger Kämpfer der FARC werden gekürzt. Ein Gespräch mit Sandra Ramírez
Interview: Elias Korte, Bogotá
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Ein ehemaliges Mitglied der FARC spricht bei der Einweihung einer Schule (Llanos del Yarí, 12.4.2024)

Der neue Haushalt der kolumbianischen Regierung sieht eine Kürzung der Ausgaben für die Reintegration der Unterzeichner des Friedensabkommens der ehemaligen FARC-EP vor. Welche Konsequenzen hätte das für den Friedensprozess und für Sie als Unterzeichner?

Leider haben wir die unschöne Nachricht einer Kürzung der Mittel für unsere Wiedereingliederung erhalten. Die Haushaltskürzungen betreffen bei weitem nicht nur den Friedensprozess und die Wiedereingliederung, sondern auch viele andere Bereiche der Sozialausgaben. Der Regierung ist es leider nicht gelungen, ausreichend Einnahmen zu generieren, um alle Pläne umsetzen zu können. Es geht hier aber nicht nur um uns Unterzeichner, sondern um die Regionen insgesamt, die besonders vom Konflikt betroffen waren und sind.

Warum werden acht Jahre nach Unterzeichnung des Friedensabkommens überhaupt noch so viele Haushaltsmittel für die Wiedereingliederung benötigt?

Glücklicherweise ist es mit dieser Regierung gelungen, etwas in der Wiedereingliederung voranzukommen, im Gegensatz zur vorherigen Regierung von Iván Duque, in der es keinen Willen zur Umsetzung des Friedensabkommens gab. Wofür brauchen wir also das Geld? Wir sind über 12.000 Unterzeichner des Friedensabkommens, die alle eine Wohnung, eine ökonomische, soziale, politische und kulturelle Wiedereingliederung in das zivile Leben benötigen. Wir brauchen dringend die Finanzierung unserer produktiven Projekte, der verschiedenen kleinen Genossenschaften, Firmen und Stiftungen von Unterzeichnern des Abkommens. Die Idee bei Unterzeichnung des Friedensvertrags war nicht, dass wir dauerhaft vom Existenzminimum leben. Fast alle der Unterzeichner befinden sich momentan in verschiedenen Etappen der Ausbildung, der formellen Bildung. Die einen holen Basisbildung nach, andere studieren. Das alles kostet Geld.

Wie steht es aktuell um die bereits existierenden Projekte?

Viele dieser Projekte befinden sich im Stillstand. Projekte mit Schuh- und Kleidungsproduktion, Fischzucht sowie eine Bäckerei stehen hauptsächlich wegen fehlendem Kapital still. Und ja, sie haben uns Land gegeben, aber damit dort etwas passiert, brauchen unsere Leute Bildung, Gesundheitsversorgung, Kredite, Maschinen. Gut laufen die Brauereien von Unterzeichnern des Abkommens und das ein oder andere Kaffeeprojekt, die aber nur eine Handvoll Leute ernähren. Mit am besten läuft das Projekt La Montaña von der ehemaligen Näherei der FARC, die heute Outdoor-Ausrüstung herstellt.

Was ist Ihre Zwischenbilanz von Petros Präsidentschaft in bezug auf die allgemeine Umsetzung des Friedensabkommens?

Dank dieser Regierung ist die Umsetzung des Friedensabkommens vorangekommen und es gibt einen viel besseren Austausch zwischen den verschiedenen verantwortlichen Akteuren. Insbesondere die Umsetzung des ersten Teils des Abkommens, der integralen Landreform, läuft gut. Petros Regierung hat Land gekauft und es besitzlosen Bauernfamilien zugewiesen. Die Regierung von Duque hatte in den vier Jahren nur 18.000 Hektar vergeben, während die aktuelle Regierung bereits zum jetzigen Zeitpunkt 180.000 Hektar Land verteilt hat. Wir sind nicht soweit gekommen, wie wir es uns gewünscht hätten, aber Stück für Stück kommen wir voran. Insgesamt muss man es so sehen: Unser Friedensabkommen von 2016 hat die Tür für eine progressive Regierung und Demokratisierung des Landes geöffnet, wie wir es jetzt erstmals erleben. Jetzt sind tiefgreifende politische Reformen nötig und ein Festhalten an der Politik des »totalen Friedens«.

Bald laufen auch zahlreiche internationale Hilfen für den Friedensprozess in Kolumbien aus. Ab der nächsten Legislaturperiode hat Ihre Partei keine garantierten Sitze mehr im Parlament. Wie soll es dann weitergehen?

Das sorgt bei uns natürlich für Sorgen, denn es gibt nach wie vor große ökonomische Schwierigkeiten für den Friedensprozess und für uns. Die Partei Comunes und ihre Mitglieder werden wegen ihrer Herkunft stigmatisiert. Da steht uns viel Arbeit in der Gesellschaft bevor. Wir werden zukünftig eine ganz normale Partei sein, ohne Vorteile, und stellen uns dafür momentan auf. Demnächst gibt es eine parteiinterne Befragung, wer von uns auf der Liste des Pacto Histórico antritt. Uns war natürlich klar, dass die internationale Hilfe nicht ewig kommt. Wir wollen ökonomisch auf eigenen Füßen stehen und nicht von monatlichen Zuweisungen leben.

Sandra Ramírez ist Mitglied des kolumbianischen Senats, aktiv in der Partei Comunes und ehemalige Guerillakämpferin der FARC

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