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02.10.2024, 13:25:24 / Ausland
Konflikt in Osteuropa

Wugledar gefallen

Russland gelingt wichtige Eroberung an der Donbass-Front. Ukraine bestätigt den Verlust mit eintägiger Verspätung
Von Reinhard Lauterbach
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Von der seit langem umkämpften Stadt Wugledar sind heute nur noch Trümmer geblieben (25.2.2023)

In der Ukraine haben russische Truppen am Dienstag offenbar die ehemalige Bergbaustadt Wugledar im südlichen Donbass vollständig unter ihre Kontrolle gebracht. Am Mittwoch vormittag bestätigte der ukrainische Generalstab nach eintägigem Schweigen den Verlust der zu einer Ruinenwüste geworden Stadt von vor dem Krieg knapp 15.000 Einwohnern. Der Generalstab erklärte, man habe den eigenen Truppen »erlaubt, zur Schonung von Menschenleben und Militärtechnik günstigere Stellungen einzunehmen«. Die in Wugledar stationierte 72. Brigade der ukrainischen Armee hatte am späten Abend russische Berichte über die Eroberung der Stadt noch mit der Meldung zu kontern gesucht, die Brigade habe keinen Rückzugsbefehl erhalten. Der Widerspruch lässt sich nach zwei Seiten auflösen: Entweder hat sich der Rest der Brigade ungeordnet zurückgezogen – was bei den Kämpfen um Bachmut und Awdijiwka auch schon mehrfach vorgekommen ist –, oder sie wurde bei den Kämpfen faktisch aufgerieben und existiert heute nur noch auf dem Papier. Welche Version stimmt, ist einstweilen nicht festzustellen.

Wugledar hatte für die ukrainische Seite unter zwei Aspekten strategische Bedeutung. Erstens lag die Stadt auf einem Höhenrücken, von dem aus die Straße und Bahnlinie entlang der Nordküste des Asowschen Meeres zur Krim unter Beschuss genommen werden konnte. Zweitens stellten die ukrainischen Positionen in der Stadt den südlichen Eckpfeiler des ukrainischen Belagerungsrings um Donezk dar. Mit der Eroberung der Stadt bzw. ihrer Reste wird es für die russischen Truppen leichter, mit einem Vorstoß auf den Straßenknotenpunkt Kurachowe weiter nördlich die Hauptmasse der ukrainischen Truppen vor Donezk einzuschließen bzw. sie zum Rückzug zu zwingen.

Wegen dieser strategischen Bedeutung hatte Russland vom unmittelbaren Kriegsbeginn an mehrfach versucht, Wugledar einzunehmen. Mehrere russische Offensiven in den Jahren 2022 und 2023 schlugen jedoch unter offensichtlich schweren Verlusten für Russland fehl. Jetzt gelang die Eroberung, nachdem russische Truppen zwei Dörfer an den Flanken von Wugledar erobert hatten und damit die Versorgungsrouten für die ukrainische Garnison unterbrechen konnten. Die Stadt selbst ist nach zwei Jahren Kämpfen unbewohnbar; es gibt dort offenbar kein einziges intaktes Gebäude mehr, die Zahl der verbliebenen Einwohner wurde im Sommer mit etwa 100 Erwachsenen und wenigen Kindern angegeben.

Russische Truppen stießen auch im Nordabschnitt der Donbass-Front im Gebiet Charkiw vor. Nach Berichten russischer Korrespondenten stehen sie südlich des Verkehrsknotenpunkts Kupjansk nur noch wenige Kilometer vom Fluss Oskol entfernt. In der seit Monaten umkämpften Stadt Wowtschansk soll Russland am Dienstag eine neue überschwere Vakuumbombe erstmals eingesetzt haben. Videos zeigen eine Explosion von enormer Stärke. Die eingesetzte Bombe soll angeblich eine Sprengladung von über sieben Tonnen enthalten und eine der schwersten nichtnuklearen Waffen im russischen Arsenal sein. Im südwestlichen Frontabschnitt im Gebiet Saporischschja verstärkt Russland seit einigen Tagen den Beschuss von Zielen in der frontnahen Kreisstadt Orechowo sowie im Gebietszentrum. Die russische Militärführung rief die Zivilbevölkerung zur Flucht auf oder dazu, sich mit ausreichenden Lebensmittelvorräten in die Schutzräume zu begeben. Im Süden griffen russische Drohnen in der Nacht zum Mittwoch einen Donauübergang an der Grenze zu Rumänien an. Ukrainische Aufnahmen zeigen brennende Lkw; russische Meldungen sprechen außerdem davon, dass eine Flussfähre mit ausländischen Söldnern an Bord getroffen worden sei.

Vor dem Hintergrund dieser für die Ukraine ungünstigen militärischen Gesamtlage hat der am 1. Oktober ausgeschiedene NATO-Generalsekretär Jens Stoltenberg der Ukraine nahegelegt, der NATO ohne die derzeit von Russland besetzten Gebietsteile beizutreten. Der Agentur Interfax-Ukraina sagte Stoltenberg, ähnlich sei es schließlich auch mit Deutschland gewesen, von dem 1955 nur der westliche Teil der NATO beigetreten sei. Das ukrainische Beharren auf einem NATO-Beitritt in den Grenzen von 1991 könne dagegen den Krieg nur nutzlos verlängern. Die Ukraine müsse entscheiden, ob dies für sie annehmbar wäre. Für Russland wäre dies klar nicht der Fall, denn das strategische Hauptziel Moskaus ist ja gerade, den NATO-Beitritt der Ukraine zu verhindern, egal in welcher territorialen Gestalt.

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