It Can Happen Here
Von Ingar SoltyAm 21. Oktober 1935 veröffentlichte der US-Schriftsteller Sinclair Lewis »It Can’t Happen Here«. Der Roman beschreibt, wie ein windiger, sich volksnah gebender Demagoge namens Berzelius Windrip zum Präsidenten gewählt wird, der das Land anschließend in eine staatsterroristische Diktatur verwandelt. Lewis wollte seine schnell zum Bestseller avancierte Erzählung als Warnung verstanden wissen. Dafür verwischte er bewusst die Grenze zwischen belletristischer Fiktion und literarischer Dokumentation. Er ließ nicht nur zahlreiche Figuren der Zeitgeschichte teils verfremdet, teils mit Klarnamen auftreten, sondern verlieh dem Gefühl des »5 vor 12« auch dadurch Ausdruck, dass er seine Geschichte mit der Präsidentschaftswahl 1936 – Windrip ist rechter Kontrahent des real amtierenden Franklin D. Roosevelt – beginnen lässt.
Den Hintergrund des Romans bildete der Triumph des Faschismus in Italien und Deutschland, der auch in den USA zu einer wachsenden Popularität ultranationalistischer und faschistischer Politiker wie Pastor Charles Coughlin, Huey Long und Meinungsmachern wie William Randolph Hearst führte. In der heutigen Erinnerung, vor allem im Ausland, sind die 1930er Jahre in den USA die Ära der radikalen sozialdemokratischen Reformen. Getrieben und zugleich getragen von Generalstreiks und den Sit-Down-Streiks in der US-Autoindustrie setzte Roosevelts »New Deal« auf einen Weg aus der Krise des Kapitalismus, der nicht über die Vernichtung, sondern die Ausweitung von Arbeiterrechten, nicht über das Verbot kritischer Kunst, sondern ihre Förderung, nicht über die systematische Kriegsvorbereitung, sondern den Auf- und Ausbau von Infrastruktur führte, finanziert durch die Abschöpfung der Vermögen der Ultrareichen. Dieses Bild ist jedoch unscharf. Es fehlt die Mobilisierung der extremen Rechten, die Roosevelt zum Kommunisten stempelte, während sie mehr oder weniger offen mit Nazideutschland sympathisierte. Die eigentliche Botschaft von Lewis’ Roman lautete: Das ist bei uns möglich.
Der Medienmogul Hearst, einer der reichsten Männer der Welt, spielte in den 1930er Jahren dieselbe Rolle wie heute Fox News für den republikanischen US-Präsidentschaftskandidaten Donald Trump und die »Make America Great Again«-Bewegung. Die von Hearst kontrollierten Zeitungen trugen den Titel »America First«. Als Trump 2016 zum ersten Mal für das Präsidentenamt kandidierte, stellte er seinen Wahlkampf unter diesen Slogan.
Bessere Ausgangsbedingungen
Trump verdankte seinen Triumph einem eigenen ultrarechten Medienmacher, Steve Bannon. Bannon hatte ihm im Vorfeld der Präidentschaftswahlen zu dem wirtschaftsnationalistischen Programm geraten, das am Ende die Wahl entschied. Auch wenn der Republikaner im November 2016 knapp drei Millionen Wählerstimmen weniger erhielt als seine demokratische Kontrahentin Hillary Clinton, sicherte Bannons Botschaft ihm die wahlentscheidenden Stimmen in den von Deindustrialisierung gebeutelten Staaten des Mittleren Westens, weil weiße Arbeiter, die Clinton im Wahlkampf als »Abschaum« (»deplorables«) bezeichnet hatte, massenweise zu ihm überliefen.
Trumps bislang einzige Amtszeit fiel jedoch hinter die Erwartungen seiner Anhänger zurück. Letztlich war er ein schwacher Präsident. Es heißt, er habe den ganzen Tag nur Fox News geguckt und damit geprahlt, keine Papiere von mehr als drei Seiten Umfang zu lesen. Am Ende fiel er selbst bei Fox News in Ungnade. Also alles ein Grund für Entwarnung?
Trump 2.0 wird, sofern es dazu kommt, anders sein als Trump 1.0. Das hat Gründe. Zum einen spielt dem rechtsautoritären Nationalismus die historische Konstellation in die Hände. Der Kapitalismus renationalisiert sich. Die Blockkonfrontation gegen China spitzt sich zu, und niemand verkörpert sie so sehr wie Trump. Auch der vollkommen eskalierte Nahostkonflikt hilft Trump, der in seiner ersten Amtszeit Jerusalem als Hauptstadt Israels anerkannt hatte; seiner Erzählung nach geht es beim Konflikt um Palästina ohnehin um eine Art Endkampf mit dem Islam. Angetrieben wird der republikanische Kandidat dabei von christlichen Fundamentalisten, die in einem Armageddon in Palästina die Voraussetzung ihrer ersehnten Himmelsfahrt (»The Rapture«) sehen. Auch im Innern der Kapitalismen im »Westen« zählen Stimmungsmache und Abschottung gegen »unnütze« Einwanderer längst zum liberalen Mainstream. Hinzu kommt, dass der 45. Präsident der Vereinigten Staaten aus seinen Fehlern gelernt hat. Seine Truppen sind sehr viel besser vorbereitet und werden ihre Macht viel strategischer nutzen.
Einen Eindruck davon bekommt man anhand von »Project 2025«, einem mehr als 900 Seiten starken Dokument, das von der Heritage Foundation für eine kommende Regierung des Republikaners entwickelt wurde, sowie anhand Trumps offizieller »Agenda 47«. Das »Project 2025« liegt schon seit April 2023 vor. Aber erst seit einigen Monaten berichten die Medien darüber. Dabei wird oft das Ziel eines nationalen Abtreibungsverbots skandalisiert, für das sich auch Trumps Vizekandidat J. D. Vance ohne Ausnahme stark macht, selbst bei Schwangerschaften, die aus Vergewaltigungen oder Inzest entstanden sind.
Trump selbst distanziert sich heute leise vom »Project 2025«. Glaubwürdig ist das nicht. Noch im vergangenen Jahr bezog er sich immer wieder positiv darauf und betonte die Überschneidung mit seinen Positionen. Unter den Hauptautoren befinden sich zahlreiche seiner ehemaligen und potentiell künftigen Regierungsbeamten sowie andere Vertraute. Die Heritage Foundation schrieb schon für Trumps Amtsübernahme 2016 eine ähnliche Grundlage und konnte sich später damit rühmen, dass der Präsident zwei Drittel davon tatsächlich übernahm. Ohnedies sind große Teile mit der »Agenda 47« deckungsgleich.
Illegale abschieben
Was also plant Trump? Gesellschaftliche Themen, die im Wahlkampf entscheidend sein könnten, gibt es viele: Ungleichheit, Armut breiter Bevölkerungsteile, Raubbau an der Natur, marode Infrastruktur, Klimakrise und Industrieumbau, Krieg. Im Zentrum des Wahlkampfes stehen dank des republikanischen Präsidentschaftskandidaten aber »der Ausländer« und die »illegale Migration«. Mehr noch als 2016 propagiert er eine »völkische« Politik. So will er den Traum einer weiß dominierten Gesellschaft durch die radikale Änderung des Staatsbürgerschaftsrechts erwirken. Bislang erhält jeder in den USA geborene Mensch automatisch die Staatsbürgerschaft. Dieses Recht ist in der Verfassung verankert. Darüber hinaus plant er die Massendeportationen der rund 12 Millionen »undokumentierten« Arbeiter, die meist aus Lateinamerika stammen. Im Grunde will der Präsidentschaftskandidat umsetzen, wovon die AfD träumt: das »große Remigrationsprojekt« (Björn Höcke). Das Thema dominierte auch den Parteitag der Republikaner Mitte Juli in Milwaukee.
Die Abschiebepraxis dürfte, so lässt sich Trumps Rhetorik deuten, unter dem Deckmantel der Kriminalitätsbekämpfung laufen. Auch die verheerende »Opioidkrise« hat er rassistisch aufgeladen. Dabei handelt es sich um eine epidemische Abhängigkeit von als Schmerzmitteln zugelassenen und von Ärzten verschriebenen Drogen, die seit der Jahrtausendwende mehr als eine Million Todesopfer gefordert hat. Die Rechte führt ihren Kampf gegen die Drogenkrise jedoch nicht auf der Ebene der juristischen Verfolgung der skandalösen Zulassungs- und Verschreibungspraxis oder als Kampf gegen Armut, Perspektivlosigkeit und Arbeitsüberlastung, sondern als Hetze gegen Einwanderer. War für Trump die Covid-19-Pandemie, der in den USA ebenfalls mehr als eine Million Menschen zum Opfer fielen, eine Verschwörung Chinas, so sind die zentralamerikanischen Einwanderer die Sündenböcke für die Opiodepidemie. Gegen sie ist jedes Mittel der Aufstachelung zum Pogrom recht, etwa als Trump zuletzt in der Debatte mit seiner Kontrahentin Kamala Harris die groteske Lüge verbreitete, die – im übrigen mit Aufenthaltsrecht ausgestattete – haitianisch-stämmige Minderheit in Springfield, Ohio, würde der weißen Bevölkerung die Haustiere stehlen und diese essen. »Wo Tatsachen konsequent durch Lügen und Totalfiktionen ersetzt werden«, schrieb einmal Hannah Arendt, führt das dazu, »dass der menschliche Orientierungssinn im Bereich des Wirklichen (…) vernichtet wird.« Für Vizepräsidentschaftskandidat Vance heiligt der Zweck die Lüge: »Wenn ich Geschichten erfinden muss, damit die amerikanischen Medien dem Leiden des amerikanischen Volkes tatsächlich Aufmerksamkeit schenken, dann werde ich das tun.«
Der rechte Traum von der »großen Remigration« ist nicht neu. 2016 aber scheiterten Trumps Abschiebungspläne vor allem an den »Sanctuary Cities«. Behörden in vielen demokratisch regierten Bundesstaaten und Städten, darunter auch die Polizei, weigerten sich, die Anordnungen aus Washington auszuführen. Trump hat aus dieser Erfahrung gelernt. Seine Pläne sehen vor, das Gewaltmonopol des Staates zu zentralisieren. Dafür will er die Befugnisse der »Nationalgarde« ausweiten. Diese ist ein Truppenverband der US-Armee, Luftwaffe und Marine, der vom Pentagon gebildet wird und als Reservistenverband nach außen, aber eben auch als Militär gegen die eigene Bevölkerung im Innern eingesetzt werden kann. Trump plant, die Reichweite der von ihm kontrollierten Repressionsapparate auch auf die ihm feindlich gesinnten Ost- und Westküstenstaaten auszudehnen. Wo regionale Gesetzgeber und Polizeipräsidenten keine Folge leisten, soll der Präsident durchregieren. Zwar untersteht die föderal strukturierte Nationalgarde formell den Gouverneuren in den Einzelstaaten; in besonderen Situationen, wenn der Präsident den Ausnahmezustand erklärt, steht sie jedoch unter seinem Kommando.
Das ist relevant, weil die »große Remigration« einem Bürgerkriegsszenario gleicht. In den USA herrscht keine Ausweispflicht. Die Umsetzung ist damit faktisch nur durch systematische Razzien bewaffneter Organe an Arbeitsplätzen und in Wohnvierteln vorstellbar. Das Land hat außerdem eine lange Gewaltgeschichte. Der Staat setzte die Nationalgarde oft nach innen ein, besonders gegen streikende Arbeiter. Rassistische Polizeigewalt ist endemisch. Hinzu kommen der weit gestreute Waffenbesitz, die Existenz extrem rechter Milizen, Wehrsportgruppen und rassistischer »Bürgerwehren«. Es bedarf darum keiner besonderen Phantasie, sich die wahrscheinliche Dynamik auszumalen, sollte Trump seine Pläne umsetzen wollen. Bei Razzien würde es zwangsläufig zu blutigen Menschenrechtsverletzungen kommen, die die Polizeigewalt gegen George Floyd und andere Schwarze in den Schatten stellen würden. Die Folgen dürften irgendwann bewaffnete Auseinandersetzungen zwischen Nationalgarde, extrem rechten Paramilitärs und migrantischen Widerstandsorganisationen sein. Diese würden es Trump wiederum erleichtern, den Ausnahmezustand zu erklären und die »große Remigration« als Terrorismusbekämpfung zu rechtfertigen. Ob ein solcher Bürgerkrieg bewusst angestrebt wird, ist offen. So wie in Deutschland auch Höcke in frohlockender Antizipation vom »Vorbürgerkrieg« spricht, in dem wir uns befänden, treibt die extreme US-Rechte der Traum vom »Tag X« um.
Säuberung der Institutionen
Trumps erklärtes Ziel ist zudem der autoritäre Umbau des Staates. Auch hier zeigen sich Lehren aus Versäumnissen seiner ersten Amtszeit. Trumps Pläne sehen die Stärkung und Zentralisierung der Exekutivgewalt vor. Zukünftig will Trump systematisch mit Exekutivanordnungen am Parlament vorbei regieren. Die Federal Communications Commission und die Federal Trade Commission sollen direkt unter die Kontrolle des Präsidenten kommen. Das »Project 2025« sieht im Namen einer »Unitary Executive Theory« sogar vor, Trump die gesamte Bundesbürokratie, inklusive dem formell unabhängigen Justizministerium, direkt zu unterstellen.
Ein wesentlicher Bestandteil von Trumps Plänen sind politische Säuberungen. Als er 2017 an die Macht kam, überraschte, dass er nicht einmal die Möglichkeiten ausgeschöpfte, die Verwaltung mit eigenen Leuten zu besetzen. Tausende Stellen blieben unbesetzt. Acht Jahre später ist alles anders. Trump wird sich einen Apparat schaffen. Zudem hat er unter dem Namen »Schedule F« systematische Entlassungen von Linken und Liberalen und ihre Ersetzung durch loyale Rechte angekündigt. Die Säuberungen sollen alle Ministerien betreffen. Besonders ins Visier geraten ist das Bildungsministerium. Im Bildungswesen erkennt Trump einen Hort seiner Gegner. Er verspricht den frontalen Angriff auf die institutionelle Unabhängigkeit und akademische Freiheit der Bildungseinrichtungen. Das »einst hervorragende Bildungssystem« müsse »der radikalen Linken entrissen« werden.
Zentraler Hebel der Säuberungen ist die Ideologie von der »rassenbasierten Diskriminierung unter dem Deckmantel der Gleichheit«. Trump will damit nicht nur linksliberale Antidiskriminierungsprogramme wie »Affirmative Action«, die Schwarzen und anderen Benachteiligten den Hochschulzugang erleichtern, abschaffen. Unter dem Vorwand, die Diskriminierung von Weißen zu beenden und gegen Antisemitismus vorzugehen, sollen die Universitäten – öffentliche wie private – finanziell ausgetrocknet werden. Alle, die »Affirmative Action« und ähnliches betrieben haben, sollen damit bestraft werden, dass Gelder gestrichen oder ihre Kapitalfonds (»Endowments«) besteuert werden.
Im Hinblick auf die öffentliche Schulbildung soll unter dem Vorwand der »Schulwahlfreiheit« die seit langem laufende Privatisierung zugunsten von christlich-fundamentalistischen Privatschulen und sogenanntem Homeschooling (Eltern sollen 10.000 US-Dollar steuerfrei bekommen, wenn sie ihr Kind zu Hause unterrichten) forciert werden. Gesellschafts- und Geisteswissenschaften sollen unter dem Vorwand der Bekämpfung der »Gender Indoctrination« radikal zugunsten von MINT-Fächern zurückgedrängt werden. Die Einstellung von Lehrern soll an Patriotismustests geknüpft werden. Staatliche Schulen, die »Critical Race Theory« und »Gender-Ideologie« lehren, sollen ihre Finanzierung verlieren. Schulbehörden sollen Lehrer »leistungsbezogen« bezahlen. Eltern sollen, im Vertrauen darauf, dass dies zu rechten Ergebnissen führt, Schuldirektoren direkt wählen können.
Kurz, im »Project 2025« und der »Agenda 47« transformiert sich der rechtsautoritäre Nationalismus von der autoritären Bewegung zum autoritären Staat, der gekennzeichnet ist von der »autoritären Unterwerfung« (unter den Führer Trump) und »autoritärer Aggression« (gegen Linke, Muslime, Zuwanderer, Frauen, sexuelle Minderheiten).
Marktradikale Versprechen
Freilich bleibt die Frage: Auf welcher materiellen Grundlage soll dieser Staat eigentlich fußen? Nach seinem Amtsantritt 2017 senkte Trump, wie angekündigt, den Konzernen und Superreichen radikal die Steuern. Die Unternehmenssteuer fiel von 35 auf 21 Prozent, der Spitzensteuersatz von 39,6 auf 37 Prozent. Außerdem befreite Trump das Kapital von Umwelt- und anderen Auflagen. Diese Politik proklamierte er im Namen der Arbeiterklasse. Klassisch neoliberal prophezeite er, dass dadurch – ganz ohne Gewerkschaften, Tarifverträge und Klassenkampf – die Löhne auf nie dagewesene Höhen steigen würden.
Erfahrungswerte aus 40 Jahren Neoliberalismus hätten aufzeigen können, dass Traum und Realität der Wirtschaftslehre vom »Trickle Down« radikal auseinanderfallen. Erwartungsgemäß blieben die hohen Löhne aus. Die Steuersenkungen finanzierten sich natürlich nicht, wie versprochen, durch höhere Steuereinnahmen selbst. Im Gegenteil, die Staatsverschuldung stieg von 585 Milliarden auf 1,1 Billionen US-Dollar. Am Ende blieb es auch deshalb bei nur einer Amtszeit Trumps. Hinzu kam das katastrophale Management der Covid-19-Pandemie.
Joseph Biden traute sich nicht, Trumps fiskalischen Kahlschlag rückgängig zu machen. Vorgesehen war nur die partielle Wiederanhebung der Kapitalbesteuerung auf 28 Prozent und die Rückkehr zum Spitzensteuersatz von 39,6 Prozent. Die Biden-Regierung beging den Fehler, bei ihrer Industrie- und Konjunkturpolitik auf historisch niedrige Zinssätze zu vertrauen. Die Inflation und die infolge dessen gestiegenen Zinsen – die US-Notenbank erhöhte den Leitzins auf fünf Prozent – machten dieser Strategie des keynesianischen »Deficit Spending« einen Strich durch die Rechnung.
Trump hat nun sein marktradikales Versprechen von 2016, ungeachtet seines Fiaskos, erneuert. Der Unternehmenssteuersatz soll noch weiter fallen, von 21 auf 15 Prozent. Trump spricht auch kontrafaktisch von »Bidens Steuererhöhungen«, die er beenden wolle. Zudem will Trump die »Executive Order 13771«, die er am 30. Januar 2017 direkt nach seinem Amtsantritt erließ und die von Biden am ersten Tag seiner Präsidentschaft per Exekutivanordnung zurückgenommen wurde, erneut er- und vom Kongress auf Dauer stellen lassen. Sie besagt, dass für jede neue Regulierungsmaßnahme zwei andere gestrichen werden müssen, was den Staat faktisch handlungsunfähig macht, zumal dann eine neue Regulierung in Summe nie das Finanzvolumen der abgeschafften übersteigen darf. Kurz, die Milliardäre müssen Trump nicht fürchten, im Gegenteil. Dass Elon Musk, der reichste Mann der Welt, bei Trumps Wahlkampfveranstaltungen auftritt, ist nur folgerichtig.
Verknüpft sind die Steuersenkungen erneut mit dem Versprechen der Reindustrialisierung. Dabei flankiert Trump die Sehnsucht nach dem »verlorenen Paradies« der 1950er Jahre mit einem skurrilen Futurismus. Er verspricht die Gründung von »Freiheitsstädten« auf bundeseigenen Liegenschaften. In den USA ist der Auszug aus der falschen Gesellschaft ein klassisches Motiv: von den frühen Religionsflüchtlingen und ihren Relikten wie den Amish und Quäkern über die US-amerikanische Romantik à la Henry David Thoreau und die sozialistischen Kommunen Robert Owens bis zu den Träumen der rechten Ikone Ayn Rand vom Auszug der kapitalbesitzenden »Leistungsträger« aus der Gesellschaft der proletarischen Parasiten. Mit den »Freedom Cities« greift Trump Rands marktradikale Utopie der schrankenlosen Freiheit zur Ausbeutung auf.
Gesamtwirtschaftlich steckt dahinter die neoliberale Vorstellung, mit einem »unternehmerfreundlichen Investitionsklima« Kapital anlocken bzw. US-Konzerne daran hindern zu können, in Übersee, namentlich in China, zu investieren. Umgekehrt sollen erhöhte Außenhandelszölle die nicht konkurrenzfähigen Konzerne schützen und Auslandskapital, das vom US-Markt profitieren will, anlocken. Dieser Merkantilismus ist im Westen mittlerweile Mainstream. Biden und Robert Habeck würden es weit von sich weisen, aber handelspolitisch sind sie längst Trumpisten. Auch sie streben Reindustrialisierung und Autarkie an. Der Unterschied ist bloß einer der Mittel – Steuersenkungen oder Industriepolitik – und der geförderten Kapitalien – alte fossile Industrie oder, im Versuch, China nicht das Feld zu überlassen, »grüne« Technologien.
Ausweitung der Handelskriege
Zu Trumps Plänen gehört weiter ein Automatismus, der Handelsbeschränkungen, die andere Länder erheben, im gleichen Ausmaß erwidert. Trump nennt das den »Trump Reciprocal Trade Act«. Da dies aber das Problem mangelnder Wettbewerbsfähigkeit nur auf eine neue Stufenleiter hebt, will Trump zugleich den Wirtschaftskrieg gegen China und die Europäer, namentlich die Deutschen, mit ihren Leistungsbilanzüberschüssen fortsetzen, den er 2016 begonnen hatte und der von der Biden-Regierung noch verschärft wurde. Im Grunde sollen alle importierten Produkte mit einem Grundzoll belegt werden, der willkürlich hochgesetzt werden kann, wenn sich US-Konzerne als nicht konkurrenzfähig erweisen. Als willkürliche Begründungen herhalten sollen dann »unfaire Handelspraxen«, »Wechselkursmanipulationen« und dergleichen.
Trumps Wirtschaftspolitik versucht damit die Quadratur des Kreises. Der totale Krieg und Sieg des US-Kapitals über die Arbeiterbewegung hat seit der neoliberalen Wende zu einem fundamentalen Einbruch der Lohnquote und einer Stagnation der Reallöhne geführt. Die Politikwissenschaftler Jacob Hacker und Paul Pierson sprechen von einer »Winner Takes All«-Politik. Ihr Ergebnis ist, was die Wirtschaftswissenschaftler Emmanuel Saez und Gabriel Zucman als den »Triumph der Ungleichheit« bezeichnen. Damit aber wurden nicht nur die Bedingungen für immer tiefere Spekulationsblasen und Finanzkrisen gelegt. Paradoxerweise wurden Globalisierung und Privatverschuldung auch zu den Mitteln, mit denen der Lebensstandard der US-Arbeiterklasse halbwegs aufrechterhalten wurde. Etwa 60 Prozent der Bevölkerung verfügen über keinerlei Ersparnisse, um auf Schicksalsschläge wie Arbeitsplatzverlust, Inflation, Krankheit und Arbeitsunfähigkeit, Scheidung, Kindesgeburten oder Pflegebedürftigkeit von Angehörigen zu reagieren. Der ständige Zufluss günstiger Waren aus Übersee, deren Kehrseite das riesige Leistungsbilanzdefizit ist, hat sich damit für die US-Arbeiterklasse als absolut überlebensnotwendig erwiesen. Die künstliche Verteuerung von importierten Alltagsgütern durch Zölle, wird ihre Lage darum noch einmal erheblich verschlechtern.
Dennoch verkauft der republikanische Kandidat seine Politik wieder im Namen der Arbeiterklasse: »Wenn ich euer Präsident bin, dann werde ich höhere Löhne für die Arbeiter in der Automobilindustrie bewirken. Ich werde eure Jobs schützen.« Klima- und energiepolitisch vertritt er die Interessen der fossilen Ressourcenkapitalien, namentlich der Kohle-, Öl- und (Fracking-)Gasindustrie. Subventionen für den Kauf von E-Autos sollen hingegen abgeschafft werden. Trump will außerdem, dass die Vereinigten Staaten aus dem – ohnehin nicht bindenden – Pariser Abkommen zum Klimaschutz aussteigen. Energieunabhängigkeit soll über die radikale Deregulierung der Umweltauflagen erzielt werden. Wo Kapital bohren will, soll es bohren: »Drill, drill, drill«. Trump nennt das das Ende von »Joseph Bidens Krieg gegen Amerikas Energie«.
Babyboni
Was hat Trump der Arbeiterklasse außer wohlfeiler Rhetorik und leeren Versprechen sonst noch zu bieten? Wie will er sich deren Unterstützung sichern? Durch eine völkische Bevölkerungspolitik. Wie Viktor Orbán in Ungarn plant er »Babyboni«, damit die Bevölkerung auch ohne Zuwanderung wächst. Zudem sollen die erzielten Mittel aus der Besteuerung der »Endowments« der Universitäten teilweise den »Opfern« der Quotenpolitik zugute kommen. Auch soll damit und unter dem Vorwand des Kampfes gegen »Antisemitismus« eine »American Academy« finanziert werden, die einen kostenlosen Bachelorstudiengang anbietet. Mit Verweis auf Einsparungen durch Entlassungen und Kürzungen verspricht der Republikaner des weiteren niedrigere Studiengebühren. Dies ist also die rechte Antwort auf Bidens Plan, die obszönen Studienschulden zu reduzieren oder zu erlassen und auf Bernie Sanders Plan des gebührenfreien Hochschulstudiums.
Ob er mit diesem Programm gewählt wird, ist offen. Dass eine Niederlage des »Stable Genius« (Trump über Trump) nur das Ergebnis demokratischer Manipulation sein könne, hat er schon vorab verkündet – und damit einen neuen Kapitolsturm oder andere tödliche Gewalt angekündigt. In Sinclair Lewis’ Roman endet der faschistische Spuk damit, dass sich Windrips Wohlstandsversprechen als heiße Luft erweisen. Auf eine Reihe von gewaltvollen Putschen aus dem inneren Machtzirkel des Präsidenten folgt der Versuch, das nach innen ökonomisch zerbrochene Land durch einen patriotischen Krieg nach außen zusammenzuhalten. »It Can’t Happen Here« spielte in der nahen Zukunft der Vergangenheit. Aus der nahen Zukunft der Gegenwart mag man bei Windstille auch die Stimme von Trump ausmachen, der mit dem Finger über die Grenze zeigt und mantraartig anklagt: »China, China, China«.
Ingar Solty schrieb an dieser Stelle zuletzt am 20. September 2024 über den antimodernen Philosophen Leo Strauss: Masse und Macht.
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Leserbrief von Manfred Pohlmann aus Hamburg (17. Oktober 2024 um 11:25 Uhr)»Donald Trumps Regierungsprogramm verspricht eine radikale Politik zugunsten der Reichen, flankiert durch rassistische Mobilisierung und außenpolitische Aggression gegen China.« In Ergänzung dieses Artikels von I. Solty ist es interessant zu fragen, was die aktuellen Zeichen einer schleichenden Faschisierung vermeintlich demokratischer bürgerlicher Gesellschaften sind. Die klassische Dimitrow’sche Definition des Faschismus beinhaltet ja eine besondere Herrschaftsform des Kapitals. Genauer: derjenigen Kapitalfraktion(en), die am aggressivsten und mächtigsten alle Formen bürgerlicher, vormals demokratischer Werte, abgeschafft hat (haben) und eine offen terroristische Gewalt nach innen und extrem imperialistische Dominanz nach außen auszuüben in der Lage ist. Vorläufiger Höhepunkt war der deutsche Faschismus. Mit dem Verbot von FDJ und KPD hat die BRD sehr frühzeitig die politischen Weichen für eine Wiederbelegung faschistischer Tendenzen gestellt. Für Deutschland könnte man hinzufügen, dass insbesondere der »Sozialdemokratismus« es mit der Dominanz der Gewerkschaftsbewegung und der Absage an systemändernde Bestrebungen geschafft hat, große Teile des Industrieproletariats zu »Sozialpartnern« und damit impotent zu machen. Nach dem Verbot von FDJ und KPD wurden bekanntlich antikapitalistische Tendenzen aus dem DGB eliminiert (u. a. mit V. Agartz u. Th. Pirker als wichtige Vertreter). Dieses Mal im Einklang mit den atlantischen parlamentarischen Demokratien. Anzufügen ist, dass diese Tendenzen durchaus dem damaligen Bewusstseinsstand der westdeutschen Bevölkerung entsprachen. Erinnern wir uns: noch im November 1945 stimmten 35 Prozent der westdeutschen Bevölkerung dafür, eher den Kommunismus als Regierungsform zu wählen als den »Nationalsozialismus«. Bis Februar 1949 verschob sich diese Einstellung dramatisch: 43 Prozent favorisierten nun den »Nationalsozialismus« gegenüber den 2 Prozent, die vier Jahre vorher für den Kommunismus plädierten. Parallel waren im Übrigen von 1945 bis 1948 durchgängig zwischen 53 bis zuletzt 57 Prozent der Meinung, dass der »Nationalsozialismus« eine gute Idee, aber nur schlecht ausgeführt worden sei. (Vgl. »JB der öffentlichen Meinung« 1947–1955, S. 134) Es zeigt sich, dass allen nordatlantischen politischen Administrationen inhärent die Unfähigkeit ist, wichtige Zukunftsentwürfe oder fortschrittliche Lösungsansätze für eine gedeihliche Entwicklung zu schaffen. Wir haben es mit dem heutigen Politpersonal mit einer Bande von selbstsüchtigen bornierten Charaktermasken zu tun, die nur noch mit hohlen Phrasen und der bekannten Politclownerie die Leute an der Nase herumzuführen, imstande sind. Und damit zugespitzt auf die verbrecherische Faschisierung von Denken und Handeln. Wer keine Ahnung hat vom historischen und dialektischen Materialismus und Denken und Handeln nur unter dem Vorzeichen von persönlichen Vorteilen zu sehen vermag, ist blind. Damit lässt sich wohl ein vorläufiges Fazit unserer Überlegungen ziehen: Ist der Faschismus eigentlich eine besondere Gesellschaftsformation? Meiner Meinung nach nicht. Wenn die herrschenden Machteliten ihre Existenz bedroht sehen und die Beherrschten nicht über die Macht verfügen, dem Treiben ein Ende zu setzen – etwa durch eine Revolution – bleibt schlussendlich eben nur noch die faschistische Alternative à la Pinochet o. Ä.
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Leserbrief von Onlineabonnent/in Heinrich H. aus Stadum (16. Oktober 2024 um 15:20 Uhr)Ob Donald oder Kamala: Die Lunten brennen schon lange. Das »nach innen ökonomisch zerbrochene Land durch einen patriotischen Krieg nach außen zusammenzuhalten« ist naheliegend, historische Beispiele gibt es genügend. Und nützliche Idioten, die Stellvertreterkriege durchführen, gibt es hinreichend viele. Seit dem Vietnamkrieg ist es Uncle Sam auch gelungen, Stellvertreterkriege bleibenzulassen und lokale Konflikte zu schüren. Die Strategie des low impact macht die eigene Beteiligung an der weltweiten Destabilisierung nahezu unsichtbar. Übrigens: War es nicht ein Friedensnobelpreisträger, der 2011 die Orientierung US-amerikanischer Außenpolitik in Richtung Ostasien – »Pivot to Asia« in den Vordergrund rückte? Das »China, China, China«-Mantra hat also ein paar Tage auf dem Buckel und alle möglichen nichtchinesische Kriegsschiffe passieren heute schon die Taiwanstraße.
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