Milliardengeschenk statt Enteignung
Von Arnold SchölzelDer größte deutsche Wohnimmobilienkonzern Vonovia (mehr als 545.000 Wohnungen, davon etwa 40.000 in Berlin) will der Stadt Berlin laut Medienberichten Grunderwerbsteuer in Höhe von bis zu einer Milliarde Euro vorenthalten. Den Streich möglich macht eine sorgfältig zum Nutzen der Immobilienkonzerne verfasste gesetzliche Bestimmung.
Konkret: Vonovia hatte 2021 ganze 87 Prozent des Konkurrenten Deutsche Wohnen (95.000 Wohnungen in Berlin) übernommen und kündigte im September an, nun das Tochterunternehmen komplett schlucken zu wollen. Ein Bundesgesetz sieht aber vor, dass beim Erwerb von mehr als 90 Prozent der Anteile an einem Immobilienkonzern Grunderwerbsteuer anfällt – in Berlin sechs Prozent des Kaufpreises. Der Erwerb von weniger als 90 Prozent der Anteile wird dagegen nicht als Immobilienkauf gewertet, es geht kein Cent an die Staatskasse – eine schöne Subventionsidee.
Unmittelbar nach der Übernahmeankündigung zitierte das Handelsblatt am 20. September einen Vonovia-Sprecher: »Es soll eine Struktur geschaffen werden, die es ermöglicht, die Zahlungen einer Grunderwerbsteuer zu vermeiden.« Die Vonovia-Aktie legte noch am selben Tag um 25 Prozent zu. Am vergangenen Donnerstag erläuterte der Tagesspiegel, was das für die Finanzen Berlins, dessen Haushalt um Milliarden Euro gekürzt werden soll, bedeutet: Hunderte Millionen Euro – andere Medien schreiben von einer Milliarde Euro – Grunderwerbsteuer fallen aus. Vonovia habe »gegen mehr als eine Milliarde Euro Zahlung 20 Prozent seiner Anteile an der Deutschen Wohnen in ein neues Joint Venture mit dem Finanzinvestor Apollo eingebracht«. Damit sank Vonovias Anteil an der Deutsche Wohnen auf 67 Prozent. Mit der Komplettübernahme steigt der Vonovia-Anteil deswegen nicht über 90 Prozent. Aus dem Ja von fast 60 Prozent der Berliner Wähler zu einer Enteignung vom »Deutsche Wohnen und Co.« am 26. September 2021 ist so ein sattes Geschenk geworden. Regelbasierte Ordnung.
In der Berliner Landespolitik herrscht nach einiger Aufregung über das Vonovia-Schurkenstück wieder Ruhe. Zu Recht. Tagesschau.de berichtete am Montag, laut einer Medienrecherche sei bundesweit bei mehr als einem Drittel (34 Prozent) aller großen Wohnungstransaktionen (mehr als 800 Wohneinheiten pro Verkauf) zwischen 1999 und 2019 wegen »Share Deal«-Konstruktionen keine Grunderwerbsteuer gezahlt worden. Die Höhe der Verluste für die öffentliche Hand sei unbekannt, offizielle Schätzungen der Bundesregierung gebe es nicht. Dafür wird im Koalitionsvertrag der Ampelkoalition das »Schließen von steuerlichen Schlupflöchern« bei »Share Deals« angekündigt. Macht sich gut auf Papier.
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