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Aus: Ausgabe vom 16.10.2024, Seite 7 / Ausland
Kommunalwahlen

Belgiens Rechte »schreibt Geschichte«

Kommunalwahlen: Vlaams Belang feiert, Marxisten trotz soliden Ergebnisses unzufrieden
Von Gerrit Hoekman
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Sieht von oben nicht aus wie ein strahlender Sieger: Rechtsausleger D’haeseleer von der »Forza Ninove« (13.10.2024)

Glückliches Ninove! Endlich gibt es in naher Zukunft wieder Schweinefleisch in den Schulkantinen! Das verspricht jedenfalls der designierte neue Bürgermeister Guy D’haeseleer. Seine Liste »Forza Ninove« hat am Sonntag bei den Kommunalwahlen in Belgien die absolute Mehrheit in der flämischen Kleinstadt gewonnen. Damit stellt die extrem rechte Partei Vlaams Belang, zu der »Forza Ninove« gehört, zum ersten Mal in Flandern einen Bürgermeister. »Wir schreiben Geschichte!« jubelte D’haeseleer auf der anschließenden Wahlparty. Nun ist Ninove mit seinen knapp 40.000 Einwohnern nicht der Nabel der Welt, aber das Ergebnis ist doch bemerkenswert oder besser gesagt besorgniserregend. 47,4 Prozent der Wählerstimmen zeugen vom stetigen Aufstieg des Vlaams Belang. Die Anhänger in Ninove feierten den Sieg entsprechend ausgelassen. »Mehrere Male ging eine Polonaise durch den Saal«, so VRT Nws.

Und »Forza Ninove« hat noch andere »Wohltaten« in petto. »Wer den flämischen Charakter unserer Stadt nicht respektiert und überall Französisch sprechen möchte, sollte sich lieber ein paar Kilometer weiter im französischsprachigen Raum niederlassen«, heißt es im Parteiprogramm. Eine Sozialwohnung soll nur noch bekommen, wer mindestens 15 Jahre in der Stadt wohnt. Wer Sozialleistungen beantragen will, muss Niederländisch sprechen. Französisch oder Deutsch, die beiden anderen Amtssprachen in Belgien, reichen nicht aus. »Die Hautfarbe oder der Geburtsort spielen keine Rolle. Ich beurteile Menschen danach, wie sie Teil sein wollen von Ninove«, beruhigte D’haeseleer.

»Ich bin unglaublich stolz, dass wir den Cordon sanitaire endlich in den Papierkorb werfen können«, sagte Tom Van Grieken, der Vorsitzende von Vlaams Belang. Damit gemeint ist der konsequente Ausschluss der Rechten auf jeder politischen Ebene. Bereits aus der vorherigen Kommunalwahl war »Forza Ninove« mit riesigem Abstand als größte Fraktion im Stadtrat hervorgegangen, fand sich aber trotzdem in der Opposition wieder.

Die Stimmungslage bei der marxistischen Partei der Arbeit Belgiens (PVDA/PTB) war hingegen gemischt, obwohl sie auch Grund zur Freude hatte: In Antwerpen gelang ihr einer ihrer größten Erfolge überhaupt. Mit 20,2 Prozent und einem Plus von 11,5 Prozentpunkten ist sie jetzt die zweitstärkste Partei im Stadtrat. In manchen Wahlbezirken Antwerpens gewann sie fast jede zweite Stimme. Im Viertel Kiel, das für seine Multikultur und Hochhäuser bekannt ist, holte sie 48 Prozent. Trotzdem war der erst 32 Jahre alte Spitzenkandidat Jos D’Haese unzufrieden, weil die Marxisten im Vergleich zur belgischen Parlamentswahl im Juni in Antwerpen leicht an Stimmen verloren. Bei den sogenannten Vorzugsstimmen, mit denen neben einer Partei oder Liste auch bestimmte Politiker gewählt werden können, lief ihm Bürgermeister Bart De Wever vom Wahlsieger, der flämisch-nationalistischen Nieuw-Vlaamse Alliantie (N-VA), klar den Rang ab.

De Wever führte einen Wahlkampf nach dem Muster, das schon bei der Parlamentswahl im Juni einigermaßen erfolgreich war. Damals hatte er Vlaams Belang zum Feind Nummer eins ernannt, bei der Kommunalwahl malte er jetzt die PVDA/PTB als Teufel an die Wand. Sollte deren Spitzenkandidat Bürgermeister werden, so der Platzhirsch, würde Antwerpen im kommunistischen Ruin versinken. Mit dem Wahlergebnis wird das alte Bündnis aus N-VA und der sozialdemokratischen Partei Vooruit (Nach vorne) weitermachen mit De Wever an der Spitze.

Die PVDA/PTB wiederum hadert mit der Abschaffung der Wahlpflicht. Zum ersten Mal durften man auch zu Hause bleiben, ohne dafür ein Bußgeld fürchten zu müssen. Und 40 Prozent in Antwerpen taten dies. »Das hat unserer Partei geschadet«, sagte D’Haese laut Tageszeitung Het Laatste Nieuws. Junge Leute, Menschen mit geringer Bildung oder niedrigem Einkommen nutzten die neue Freiheit. »Das sind für uns wichtige Zielgruppen. Die Wahlpflicht muss zurückkehren.«

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  • Leserbrief von Volker Wirth aus Berlin (22. Oktober 2024 um 11:22 Uhr)
    Bisher hat Belgien das »nationale Problem«, das im Zusammenleben bzw. der friedlichen Koexistenz zweier Völker und einer kompakten Minderheit in einem Staat besteht, ganz gut hinbekommen. Ganz im Gegenteil zur gleichfalls binationalen Ukraine, nur dass dort die Chauvinisten im gesamten Staat gewaltsam die Macht an sich gerissen haben, 2014, und seitdem die russische Sprache und Kultur auszurotten versuchen. Vielleicht inspiriert das die Hardliner vom Vlaams Belang zu solchen diskriminierenden, populistischen Aktivitäten in …

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