Uhu
Von Jürgen RothDas Rottler Gäßchen führt vom Rathaus leicht abschüssig zu Ludwigs Grundstück. Dahinter liegt ein von Linden beschattetes kleines Wiesendreieck mit Blumenbeeten, an dessen schmalen Ende auf einem Granitblock eine Eule aus rotbraunem Stein steht, die an die Gründung des Vogelschutzvereins 1962 erinnert, an der mein Großvater, der Gerch, beteiligt war. Es könnte auch ein Uhu sein. Seit zehn Jahren nistet ein Paar in der Gemarkung.
Nun will der mit Abstand größte Arbeitgeber des Ortes, eine von Investmentgehirnen ruinierte sozial-kirchliche Einrichtung, drei Grundstücke verscherbeln, die Gebäude, darunter den Luthersaal, niederreißen und hundertfünfzig Wohnungen bauen lassen. Der Gemeinderat und der Bürgermeister (SPD) gehen selbstverständlich d’accord.
Im vom Grün überwölbten Rottler Gäßchen hat mein Vater meiner Mutter den Heiratsantrag gemacht. Durchs Rottler Gäßchen sind wir in den Sommerferien auf unseren Fahrrädern geprescht. Auf dem lehmigen Untergrund, der hie und da mit ein wenig Schotter bestreut war, haben wir vergnügt Driftspuren hingelegt.
Jahrzehntelang war das Rottler Gäßchen unverändert geblieben: rechts der geheimnisvolle Baronspark, links undurchdringliche Hecken und Obstbäume, auf jeder Seite ein wilder Rain – ein Refugium fürs Getier.
Vor ein paar Tagen erzählten sie am Stammtisch, das Rottler Gäßchen sei asphaltiert worden. Ich bekam einen Wutanfall.
Für alles haben sie Geld, zuvörderst fürs Zerstören, für Panzer, brutalistische Schachtelarchitektur, Windräder und Asphalt.
Ich werde mir das vorerst nicht ansehen. Mir fehlt der Gleichmut des Uhus.
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