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Aus: Ausgabe vom 18.10.2024, Seite 3 / Schwerpunkt
Linke-Parteitag in Halle

Modifiziertes »Weiter so«

Eine strategische Kurskorrektur steht beim Linke-Bundesparteitag in Halle trotz zugespitzter Existenzkrise nicht auf der Tagesordnung
Von Nico Popp
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Treten ab: Martin Schirdewan und Janine Wissler (Berlin, 11.9.2023)

Am Freitag beginnt der Bundesparteitag von Die Linke in Halle (Saale). Er ist im Vorfeld vielfach zu einer »letzten Chance« erklärt worden, um die Parteikrise zu beenden. Das ist freilich zumeist mit Blick auf die anstehende Bundestagswahl gesagt worden. Viele in der parlamentsfixierten Partei, die offen von einer Existenzkrise sprechen, tun das, weil die Partei in der konkreten Gefahr schwebt, 2025 aus dem Bundestag zu fliegen. Aus Sicht vieler Akteure mit Mandat oder Posten bei Partei oder Stiftung wäre das schlicht »das Ende«. Folglich zielen viele Konzepte zur »Erneuerung« der Partei gar nicht ernstlich auf eine Kritik am politischen Verfall der vergangenen zehn Jahre, sondern suchen nach Wegen, kurzfristig eine Wählerschaft zu gewinnen, die ausreicht, um in Bund und (ostdeutschen) Ländern wieder halbwegs verlässlich die fünf Prozent zu schaffen.

Ein deutliches Symptom dieser Disposition ist das vorbereitete Personaltableau für die neue Parteispitze. Es ist in altbekannter Weise als Resultat von Absprachen zwischen verschiedenen Strömungen und Lagern zu verstehen, nicht aber als Resultat einer Auseinandersetzung auf offener Bühne. Es gibt, und das ist angesichts der Lage der Partei fast eine Art Kuriosum, keine wirkliche Konkurrenz um die Spitzenposten. Während 2022 in Erfurt Janine Wissler und Martin Schirdewan von Sören Pellmann und Heidi Reichinnek herausgefordert worden waren, sind Jan van Aken und Ines Schwerdtner nun »gesetzt« – es gibt unmittelbar vor dem Parteitag keine einzige aussichtsreichere Gegenkandidatur.

Schwerdtner und van Aken treten als »Team« an. Dieses »Team« integriert ersichtlich nicht nur die bislang im Parteivorstand tonangebenden Strömungen, sondern auch den Teil des alten »Reformer«-Lagers, der bis 2023 in der Bundestagsfraktion mit dem Wagenknecht-Flügel kooperiert hatte. Da dieser Flügel, den die Parteiführung nicht integrieren, sondern aus der Partei drängen wollte, unterdessen von Bord gegangen ist, können sich die verbliebenen relevanten Strömungen hinter der Kandidatur Schwerdtner/van Aken versammeln. Dabei sorgt gewiss auch die schiere Not für einen gewissen Druck zur Ein- und Unterordnung.

Die sogenannten Bewegungslinken, die bislang zusammen mit dem gouvernementalen rechten Flügel, der sich vor allem auf die Landesverbände Berlin, Bremen und Thüringen stützt, den Mehrheitsblock im Parteivorstand gebildet haben, würden damit keinen der beiden Parteivorsitzenden stellen. Dafür werden sie aber aller Voraussicht nach mit dem Posten des Bundesgeschäftsführers entschädigt. Für das Amt kandidiert erneut Janis Ehling, der 2022 in Erfurt überraschend gegen Tobias Bank, der als Bundesgeschäftsführer der richtige Mann für eine Parteiführung Pellmann/Reichinnek gewesen wäre, unterlag. Bank war – wohl auch in dem Wissen, dass man ihn, bliebe er im Amt, für das absehbare Desaster bei der EU-Wahl im Juni verantwortlich machen würde – im Januar 2024 zurückgetreten.

In den geschäftsführenden Vorstand drängt erneut der dort traditionell gut vertretene Berliner Landesverband. Bundesschatzmeister will der langjährige Berliner Landesgeschäftsführer Sebastian Koch werden. Der Kolandesvorsitzende Maximilian Schirmer bewirbt sich für den stellvertretenden Parteivorsitz. Ebenfalls stellvertretende Parteivorsitzende werden will Luise Neuhaus-Wartenberg. Die sächsische Landtagsabgeordnete gehört zum »Netzwerk Progressive Linke«, das den äußersten rechten Rand der Linkspartei bildet und zuletzt mit Polemik gegen die Unterstützung der Berliner Friedensdemonstration am 3. Oktober durch Teile der Partei aufgefallen war.

Auch wenn das Bild bei den Kandidaturen für den Parteivorstand etwas weniger eintönig ist, bleibt festzuhalten, dass mit Stand vom Donnerstag für kein einziges der Spitzenämter im geschäftsführenden Parteivorstand eine dezidiert oppositionelle Kandidatur vorliegt. Schon deshalb grenzte es an Gesundbeterei, von diesem Parteitag einen »Kurswechsel« zu erwarten. Im Angebot ist trotz der desolaten Lage der Partei lediglich ein – modifiziertes – »Weiter so«. Die Frage ist, ob die Delegierten das so akzeptieren.

Hintergrund: Im Strom

Der umfangreiche Leitantrag des Parteivorstandes zum Halleschen Parteitag steht unter der trotzigen Überschrift »Gegen den Strom«. Zur Lage der Partei heißt es darin: »Die Linke ist zweifellos in einer gefährlichen, existenzbedrohenden Situation.« Von Halle ausgehend wolle man die Partei aber auf einen »neuen Weg führen und wieder erfolgreich machen«. Nötig sei es, die Partei strategisch neu aufzustellen: »Nicht indem alles über Bord geworfen wird, sondern indem wir die gegenwärtige Situation zum Ausgangspunkt nehmen, um unsere Positionen zu schärfen und weiterzuentwickeln.«

Angekündigt wird, dass das Bundestagswahlprogramm 2025 unter anderem Antworten liefern soll auf Fragen, »wie eine weltweite Abrüstungsinitiative aussehen kann; wie Schritte für einen Frieden in der Ukraine und im Nahen Osten gegangen werden können; wie ein System der kollektiven Sicherheit in einer multipolaren Welt aussehen kann; wie wir Sicherheit und Frieden mit friedlichen Mitteln erreichen«.

Umfangreich wird in dem Papier das Thema Migration bearbeitet. Die Partei orientiert hier auf eine »solidarische Einwanderungsgesellschaft«. Die aktuellen Debatten seien »darauf angelegt, Menschen, die zu uns kommen, zu Sündenböcken zu machen«.

Zur internationalen Lage heißt es: »Nicht nur der globale Westen, sondern auch Staaten wie Russland, Iran oder China sowie in einer Doppelrolle die Türkei kämpfen um regionalen oder globalen Einfluss.« In der Vergangenheit hätten »Linke und Friedensbewegte mit einer klaren Haltung gegen die Politik der NATO und der militärischen Konfrontation des Westens gesellschaftlich wirksam sein« können. Heute müsse man auch »glaubwürdige Antworten auf Aggressionen und imperiale Bestrebungen nichtwestlicher Akteure« finden. (np)

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  • Leserbrief von Joachim Seider aus Berlin (18. Oktober 2024 um 12:06 Uhr)
    Das Schiff der Linken ist drei Jahrzehnte lang, mal langsamer und mal schneller, auf jenen Eisberg zu manövriert worden, an dem ihr der Untergang droht. All das geschah sehenden Auges. Auf Warnungen gab man nichts. Ob es der Titanic geholfen hätte, wenn kurz vor dem Untergang ein anderes Mitglied der Mannschaft das Steuer übernommen hätte? Man weiß es nicht, aber die Wahrscheinlichkeit dafür dürfte sehr klein gewesen sein. Wie bei der Titanic ist es auf den letzten Metern wohl zu spät zum Kurswechsel: Weder das Schiff noch die Mannschaft dürften eines solchen Manövers noch fähig sein.
  • Leserbrief von B.S. aus Ammerland (18. Oktober 2024 um 11:03 Uhr)
    Die Partei Die Linke ist mittlerweile eher zu einer Resterampe verkommen, mit großer Zukunftsangst. Was nach dem Ausscheiden von Wagenknecht u. a. aus der Partei geworden ist, wurde von Wähler/Innen an den Wahlurnen abgestraft. Das selbstherrliche Gehabe eines Ramelow oder einer Wissler, salbungsvolle Statements eines Schirdewahn, das alles von einer Partei, die vorgibt, sich für die Belange des einfachen Bürgers/in einzusetzen. Die Diskrepanz zur Realität könnte nicht größer sein. Was momentan für eine Posse aufgeführt wird, hilft dem Rest der Linken nicht mehr zum Überleben. Van Aken ist zu spät in den Ring gestiegen, den Kopf hinzuhalten ist nobel, aber hilft den Falschen oder: »Wenn dein Pferd tot ist, steig ab«, sagt ein altes indianisches Sprichwort. Die letzten Jahre der Partei haben dem/der Bürger/in gezeigt, wie sie immer weiter nach rechts abgedriftet ist und sich nur noch um das eigene Wohlbefinden gekümmert haben. Leisetreterei und Ignoranz bleiben in Erinnerung. Und dieses Verhalten unterscheidet sich kaum von den anderen Parteien. Also wozu Die Linke also noch wählen?

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