Unfall mit Folgen
Von Nico PoppDas war so nicht geplant. Unmittelbar vor dem Bundesparteitag in Halle (Saale) hat die harte opportunistische Rechte in der Linkspartei eine überraschende Abstimmungsniederlage erlitten – und zwar im eigenen Hinterhof, nämlich beim Parteitag des Berliner Landesverbandes am vergangenen Freitag.
Was danach tagelang als »Antisemitismuseklat« verhandelt wurde, war etwas anderes: Diejenigen, die in diesem Landesverband seit Menschengedenken ohne größere Schwierigkeiten die Strippen ziehen – die ehemalige Landesvorsitzende Katina Schubert, aktuell kommissarische Bundesgeschäftsführerin, der ehemalige Kultursenator Klaus Lederer und die einstige Sozialsenatorin Elke Breitenbach waren vorneweg dabei –, haben mit einem Antrag zum Thema Antisemitismus und Nahostkonflikt überzogen, der in der Hauptsache die relevanten Positionen des liberalen deutschen Mainstreams übernahm.
Unter der Überschrift »Gegen jeden Antisemitismus« – eine Parole, die jahrelang eine Art Losungswort der antideutschen Szene war – wurde in diesem Antrag eine Verknüpfung von genuin faschistischem Antisemitismus mit dem Angriff der Hamas auf den Süden Israels im vergangenen Jahr vorgenommen. »Akteuren wie der Hamas und der Hisbollah« bescheinigte der Antrag, von einem »eliminatorischen Antisemitismus« angetrieben zu werden. In Berlin hätten »sich politisch links verortende Menschen« das »Massaker der Hamas« am 7. Oktober 2023 »relativiert und mitunter gar gefeiert«. An einer anderen Stelle plädierte der Antrag dafür, »jüdische Menschen konsequent und unter Einsatz rechtsstaatlicher Mittel zu schützen«. Gefordert wurde in diesem Zusammenhang eine »konsequente Strafverfolgung«.
Diese Formulierung, die zahlreichen Delegierten wie eine indirekte Billigung der staatlichen Repression gegen die palästinasolidarische Bewegung erschien, wurde so abgeändert, dass es nicht mehr möglich gewesen wäre, den Antrag in diesem Sinne auszulegen. Ebenfalls getilgt wurde die Behauptung, dass Linke explizit das »Massaker der Hamas« gefeiert haben. In Fortfall kam auch die Holocaustverknüpfung über den »eliminatorischen Antisemitismus«.
Die Mehrheiten für die Änderungsanträge waren jeweils knapp, aber es waren eben Mehrheiten. Nach einer daraufhin beantragten Unterbrechung beschwerte sich die ehemalige Bundestagsabgeordnete Halina Wawzyniak in einer persönlichen Erklärung, dass den Antragstellern »Holocaustverharmlosung« vorgeworfen worden sei. Der Parteitag habe das mit seiner Mehrheitsentscheidung gebilligt und damit »das Massaker als nicht antisemitisch bezeichnet«. Der ursprüngliche und nun abgeänderte Antrag wurde zurückgezogen. Lederer verließ mit einer Anzahl anderer Delegierter demonstrativ den Parteitag. Udo Wolf, der staatstragende ehemalige Fraktionschef im Abgeordnetenhaus, ist inzwischen aus der Partei ausgetreten.
Spätestens mit dem kleinen Unfall des rechten Flügels in Berlin ist es ziemlich wahrscheinlich geworden, dass sich eine scharfe Auseinandersetzung zu diesem Thema auch beim Bundesparteitag in Halle entwickeln könnte. Dem Parteitag liegt etwa ein Antrag zur Frage der Definition des Antisemitismus vor. Darin steht unter anderem, dass die Linkspartei die Praxis ablehne, »die ›Arbeitsdefinition Antisemitismus‹ der International Holocaust Remembrance Alliance (IHRA) in Kommunen, Behörden und Bundestagsbeschlüssen als verbindliche Definition vorzuschreiben, um Zugänge zu Räumen und Fördermitteln zu kontrollieren«. Damit verbundene »Personenüberprüfungen und Bekenntniszwänge« werden abgelehnt. Kritisiert wird explizit der zunehmende Gebrauch der IHRA-Definition »als juristisches Mittel«. Abschließend wird betont, »dass Antizionismus nicht gleich Antisemitismus ist«.
Ein anderer Antrag, der unter anderem von der ehemaligen Bundestagsabgeordneten Christine Buchholz und der Europaabgeordneten Özlem Demirel unterstützt wird, nennt die israelische Kriegführung im Gazastreifen ausdrücklich einen Genozid und fordert »alle Gliederungen der Partei« auf, »sich an Protesten dagegen zu beteiligen und dazu aufzurufen«. Diese Anträge sind für den rechten Parteiflügel nicht akzeptabel, und sollten sie so beschlossen werden, dürfte auch in Halle ein ostentativer Delegiertenausmarsch mit anschließenden Austritten bevorstehen.
Solidarität jetzt!
Das Verwaltungsgericht Berlin hat entschieden und die Klage des Verlags 8. Mai abgewiesen. Die Bundesregierung darf die Tageszeitung junge Welt in ihren jährlichen Verfassungsschutzberichten erwähnen und beobachten. Nun muss eine höhere Instanz entscheiden.
In unseren Augen ist das Urteil eine Einschränkung der Meinungs- und Pressefreiheit in der Bundesrepublik. Aber auch umgekehrt wird Bürgerinnen und Bürgern erschwert, sich aus verschiedenen Quellen frei zu informieren.
Genau das aber ist unser Ziel: Aufklärung mit gut gemachtem Journalismus. Sie können das unterstützen. Darum: junge Welt abonnieren für die Pressefreiheit!
Ähnliche:
- 07.10.2024
Für Israel und die Polizei
- 05.10.2024
Panikmache zum Jahrestag
- 18.10.2023
Hexenjagd in vollem Gange
Mehr aus: Schwerpunkt
-
Modifiziertes »Weiter so«
vom 18.10.2024