Leere Parteikasse gefüllt
Von Hansgeorg HermannMarine Le Pen, die Anführerin der extremen Rechten in Frankreich, muss sich seit Montag für mutmaßlichen Betrug und Veruntreuung öffentlicher Gelder vor einem Pariser Berufungsgericht verantworten. Sie und 27 andere Mitglieder des Rassemblement National (RN) werden beschuldigt, in den Jahren 2014 bis 2018 von der EU Gehälter für Parlamentsassistenten kassiert zu haben, die in Wirklichkeit für die Partei gearbeitet hätten. Le Pens Formation, die damals noch unter dem Namen Front National (FN) mit teilweise faschistischer Programmatik Wahlerfolge feierte, litt gleichwohl unter ständigem Finanzierungsmangel, den sie nach Ansicht der Ermittler mit mutmaßlich erschlichenen EU-Zuschüssen für die Fraktion in Höhe von fünf bis 7,5 Millionen Euro ausgeglichen habe. Le Pen riskiert eine Geldstrafe in Höhe von einer Million Euro, bis zu zehn Jahre Gefängnis und – besonders unerfreulich für die dreimalige Präsidentschaftskandidatin – den Verlust des passiven Wahlrechts für eine Dauer von mindestens fünf Jahren.
Die RN-Chefin, die sich am Montag und Dienstag zum ersten Mal persönlich einem Verhör in öffentlicher Gerichtsverhandlung stellen musste, plädiert auf »nicht schuldig«. Für sie und die Führung des RN, die sie im Frühjahr 2021 an ihren Kronprinzen Jordan Bardella abgab, handelt es sich um einen »politischen Prozess«, der lediglich darauf abziele, eine vierte, nach allgemeiner Einschätzung besonders erfolgversprechende Kandidatur Le Pens für die Präsidentschaftswahl im Juni 2027 zu verhindern. Le Pen sagte aus, die Aufgaben einer Parteivorsitzenden und der Chefin einer Fraktion im EU-Parlament, die sie von 2014 bis 2018 war, seien in der politischen Arbeit nicht mehr voneinander zu trennen. Sie sei sich nicht bewusst, »in irgendeiner Weise illegal gehandelt« zu haben. Die Ermittler stellen dem entgegen, dass beispielsweise ihr Chauffeur und insbesondere ihre Sekretärin Catherine Griset nahezu ausschließlich für die Pariser Parteizentrale gearbeitet hätten.
Einen »ersten Erfolg« meldete Le Pens Verteidigung am Donnerstag morgen. Sie habe, vom Pariser Gericht bereits bestätigt, Fehler in den Darstellungen der Anklage ermittelt. Das Gericht erklärte die »Fehler« gleichwohl noch zur selben Stunde als »unerheblich« für den Prozess, der spätestens Ende November abgeschlossen werden soll.
Interessant schien in den vergangenen Tagen, dass in der Partei offenbar bereits über eine Ersatzkandidatur für die Präsidentschaftswahl in 2027 nachgedacht wird, sollte Le Pen tatsächlich verurteilt und mit dem Verlust des passiven Wahlrechts belegt werden. Hinter ihr wartet Bardella, der schon bei den Wahlen zur Nationalversammlung im Juli als Spitzenkandidat des Rassemblement National auftrat. Anspruch auf den Posten des Ministerpräsidenten hatte er nicht erhoben, obwohl RN mit 37,25 Prozent und rund elf Millionen Stimmen den bei weitem größten Wähleranteil erreicht hatte. Der Sieg der linken Neuen Volksfront (NFP), die nur sieben Millionen Wählerstimmen, aber 193 gegenüber 143 RN-Parlamentssitzen errang, war vor allem dem französischen Direktwahlrecht geschuldet, das keine über Parteilisten gewonnenen Zweitstimmen kennt.
Jordan Bardella hätte, sollte er anstelle von Marine Le Pen Präsidentschaftskandidat werden, die geballte TV- und Pressemacht des Medienmoguls und Faschistenfreunds Vincent Bolloré hinter sich. Der bretonische Milliardär, Besitzer der TV-Stationen C-News und C 8, des Radiosenders Europe 1 sowie – unter anderem – der Pariser Tageszeitung Journal du Dimanche und der weltweit drittgrößten Verlagsgruppe Hachette, hat eine Autobiographie des erst 29 Jahre alten RN-Chefs bei der Hachette-Tochter Fayard auf den Weg gebracht, die am 9. November mit einer Startauflage von sage und schreibe 155.000 Exemplaren veröffentlicht werden soll. Geplant ist eine Interviewtour Bardellas durch die gesamte »Bollosphäre«, wie das Presse- und TV-Konglomerat des erzkatholischen Mäzens in der übrigen Medienwelt genannt wird. Ein politisches Kapital, über das kein anderer Bewerber verfügen würde.
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