Emotionale Überproduktion: Die Poppunker Hot Mulligan legen drei Songs nach
Von Ken MertenManchmal kann man sich nicht entscheiden, was man fühlen soll. Oder wie man es ausdrückt. Vor Freude schreien, erleichtert weinen, schockiert grinsen, befangen schmunzeln – die Sentimentforschung wird nie arbeitslos, und es sollte unbedingt vermieden werden, dafür maschinelles Lernen einzuspannen. Dafür sind Rechner nicht kompliziert genug. Hot Mulligan aber schon: Die fünf aus Lansing im US-Bundesstaat Michigan sind die Nachgeborenen der Emo-Ära. Als sich die Erstbesetzung vor zehn Jahren zusammentut, haben Paramore schon mehrfach Platin daheim stehen, und My Chemical Romance sind fürs erste aufgelöst. Rückstand ist selten angenehm. Und alles andere als ein neutraler Zustand.
Überhaupt: Irgendein Werther leidet immer. »End Eric Sparrow and the Life of Him« von Hot Mulligans neuer Mini-EP »Warmer Weather« ist dann eben nicht die hinterhergeschmissene Neuauflage von Bands wie The Wonder Years, sondern das Filetieren des Metagefühls, das sich breit macht, wenn sich nach einer ambivalenten Kindheit eine Wehmut einstellt, die gleichsam zurück und weit von ihr weg will: »Take the root from the tree / Let it live without sunlight / This fucking body doesn’t need me / But there's no way to have it stay / It could hang with my dad / It could murder my mom / It could stay to make sure my girlfriend’s happy / It could feed our dog, it could feed our dog, it could feed our dog.« Die Welt, in die man hineinkommt, verspricht Orientierung, ohne sie zuverlässig zu liefern.
Sänger Nathan »Tades« Sanville kippt vom Knabenalt ins Gutturale, das bei ihm immer so klingt, als eskaliere grad ein Spielplatzspaß in etwas Ungewisses. Ist das mit Zorn oder Zuversicht gesagt, die Aufforderung »Just follow like you’re blind«? Im dazugehörigen Musikvideo wird der präpubertierende Junge beim Daddeln unterbrochen; »Tony Hawk« auf der Playstation zwei, grad labert der im Songtitel zum Tode verurteilte Bösewicht der Spielereihe, Eric Sparrow, da materialisiert sich mit der Mutter das bitterernste Gegenspiel. Wieviel Grund sie hat, den Zocker völlig enthemmt anzuschreien, ist unklar. Vielleicht hat er einfach vergessen, den Hund zu füttern. Dass sie im Rausgehen die Kippe anzündet und den ersten Zug zurück ins Jugendzimmer bläst, lässt keinen Zweifel daran, dass die Verletzungen innerlich sind und Schmerzen ausstrahlen werden. Das Ende der Kindheit, missverstanden als Grund des Übels: Der Junge steckt seine Playsi in Brand. Wenigstens Eric Sparrow hält für immer die Fresse.
Hot Mulligan: Warmer Weather (Wax Bodega)
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