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Aus: Ausgabe vom 18.10.2024, Seite 12 / Thema
Kommunistische Internationale

Deckname »Ercoli«

Organisator der Weltrevolution. Zu Palmiro Togliattis Arbeit in der Kommunistischen Internationale
Von Werner Abel
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Der Sowjetunion und dem Internationalismus verbunden. Palmiro Togliatto (1893–1964) spricht bei einer Feier anlässlich des 30. Jahrestages der Oktoberrevolution (Rom, 7.11.1947)

In dem in dieser Zeitung am 24. August 2024 erschienenen Artikel über Palmiro Togliatti mit dem Titel »Verfassungstreuer Revolutionär« von Phillip Becher findet sich der Satz »Seit der Inhaftierung Gramscis 1926 stand Togliatti dieser Partei (der Kommunistischen Partei Italiens, PCI, W. A.) im größtenteils in der Sowjetunion verbrachten Exil vor.« Obwohl der Artikel vor allem auf Togliattis Rolle im nachfaschistischen Italien zielt, bedarf dieser Satz einer Ergänzung dergestalt, dass Togliatti während seiner Zeit im Exil vor allem einer der führenden Funktionäre der internationalen Organisation aller kommunistischen Parteien, der Kommunistischen Internationale (Komintern), war.

Als der PCI 1926 von den seit 1922 in Italien herrschenden Mussolini-Faschisten verboten wurde, hielt sich Togliatti, der zu dieser Zeit schon aus dem Ausland illegal gegen die Faschisten gearbeitet hatte und unter dem Namen »Ercoli« bekannt war, in der Sowjetunion auf und wurde in das eben gegründete sogenannte Romanische (oft auch »Lateinische« genannte) Ländersekretariat gewählt.

Diese Abteilung, deren verantwortlicher Sekretär zunächst der Schweizer Jules Humbert-Droz war, leitete zunächst vor allem die kommunistischen Parteien Frankreichs, Italiens, Belgiens und der Schweiz an. Das Sekretariat beschäftigte sich aber auch mit Portugal, Lateinamerika und zunehmend mit Spanien, weil dort eine revolutionäre Bewegung erwartet wurde, die kommunistische Partei aber noch verschwindend klein und durch den Streit verschiedener Fraktionen behindert war. Als Humbert-Droz, der sich in dem Fraktionskampf zwischen Josef Stalin und Nikolai Bucharin einerseits und Leo Trotzki und Grigori Sinowjew andererseits auf die Seite Stalins stellte, dann aber die Position Bucharins gegen Stalin unterstützte, als Verantwortlicher des Sekretariats abgelöst wurde, übernahm Togliatti die Leitung des Ländersekretariats.

Spanien im Fokus

In den überlieferten Akten dieses Romanischen Ländersekretariats ist die immer häufiger werdende Beschäftigung mit der KP Spaniens (PCE) auffällig. Vermutlich ist das auch ein Grund dafür, dass Togliatti später im Spanischen Krieg zum ranghöchsten Komintern-Funktionär wurde, der mit den Ereignissen in Spanien befasst war.

Symptomatisch war auch, dass sich die letzte Beratung des besagten Ländersekretariats vor dessen Auflösung mit den Ereignissen um den »Spanischen Oktober« 1934, also der durch den Aufstand der asturischen Bergarbeiter entstandenen Situation, beschäftigte. Den Bericht dazu erstattete der Italoargentinier Victorio Codo­villa, der mit den Pseudonymen »Medina« oder »Louis« von der Komintern als Berater des PCE schon 1931 nach Spanien geschickt worden war. Als Codovilla am 18. Februar 1935 referierte, betonte er den Stellenwert Spaniens für die Komintern mit den Worten: »Unsere Partei ist in der letzten Zeit das Lieblingskind der Komintern geworden.« Das Scheitern der revolutionären Erhebung erklärte er letztlich mit dem schwankenden Verhalten der Sozialistischen Partei und der Anarchisten, betonte aber auch, dass die Führung der zu dieser Zeit noch kleinen Partei Fehler gemacht habe. Togliatti initiierte einen Aufruf an die sozialistischen, kommunistischen, anarchistischen und syndikalistischen Arbeiter Spaniens und an die Werktätigen Spaniens, Kataloniens, der Biskaya, Galiciens und Marokkos mit der Aufforderung, Räte zu schaffen und sich in Arbeiterallianzen zu vereinigen. Dieser Aufruf, unterschrieben von einem Anonymus des PCE sowie André Marty für die französische und Togliatti für die italienische KP, erschien dann in der Zeitschrift Kommunistische Internationale (Nr. 13/14 1935). Kurze Zeit später, am 3. März 1935, referierte Codovilla zum gleichen Thema vor dem Politsekretariat des Exekutivkomitees der Komintern (EKKI). Dieses Sekretariat, für das Togliatti ebenfalls verantwortlich war, existierte von 1926 bis 1935. An der Diskussion nahmen als führende Funktionäre der Komintern Georgi Dimitroff, Ossip Pjatnizki und Dmitri Manuilski teil.

In der Retrospektive ist es erstaunlich, in wie vielen Gremien der Komintern Togliatti mitarbeitete. So zum Beispiel in der Ständigen Kommission des Sekretariats des EKKI, die sich vor allem mit der Arbeit des EKKI-Apparates beschäftigte und sich um die Anstellung der Mitarbeiter, Personal- und Gehaltsfragen, Ein- und Ausreise der Mitarbeiter, Urlaub und Erholung kümmerte. Überdies gehörte Togliatti auch der Leitung der Abteilung für Agitation und Propaganda des EKKI an. Offensichtlich erfüllte »Ercoli« alle Aufgaben zur Zufriedenheit der Leitung der Komintern und, was zunehmend wichtiger wurde, Stalins und anderer Vertreter der Kommunistischen Allunionspartei (Bolschewiki), der WKP(B), wie sich die KPdSU zu dieser Zeit noch nannte.

Die Machtübertragung an die Nazis in Deutschland, die faschistische Bedrohung und der Rechtsruck in vielen weiteren europäischen Ländern, ebenso wie drohende Kriegsgefahr, der sich vor allem die UdSSR ausgesetzt sah, zwangen die Komintern zu einer Neuorientierung ihrer Politik und zu einer Suche nach Verbündeten im Kampf gegen den Faschismus. Eine Zäsur war in dieser Hinsicht der VII. Weltkongress der Kommunistischen Internationale, der vom 25. Juli bis zum 20. August 1935 in Moskau stattfand. Auf diesem Kongress hielt Togliatti unter dem Motto »Die Vorbereitung des imperialistischen Krieges und die Aufgaben der Kommunistischen Internationale« neben Georgi Dimitroff und Wilhelm Pieck eins der drei Referate, die die Diskussion des Kongresses bestimmen sollten. Eine zentrale Frage war die von Dimitroff vorgetragene Definition des Faschismus, die die Tätigkeit der kommunistischen Parteien auf die Schaffung von Volksfronten orientierte. Aus den Referaten von Dimitroff und Togliatti entstanden Resolutionen, die für die kommunistischen Parteien in aller Welt verbindlich wurden.

Neuorganisation der Gremien

Der VII. Weltkongress, dem zufolge die Hauptaufgabe der Komintern nicht mehr die Organisierung der »Weltrevolution« war, sondern die Verhinderung von Faschismus und Krieg, führte aber nicht nur zu einer Neuorientierung der internationalen Politik der Komintern, sondern auch zu einer Neuorganisation der führenden Gremien der Organisation selbst. Dazu wurden auf der Sitzung des Sekretariats des EKKI am 7. September 1935 »Vorschläge des Gen. Dimitroff über den Umbau der Struktur des Apparates des EKKI« behandelt. Für den Umbau wurde eine Kommission, bestehend »aus den Gen. Ercoli (verantwortlich), Moskwin, Gottwald, Manuilski und Kuusinen« eingesetzt.¹

Ein entscheidender Schritt war, dass die Ländersekretariate aufgelöst und durch Personalsekretariate ersetzt werden sollten, die für die Anleitung und Kontrolle der kommunistischen Parteien im internationalen Maßstab verantwortlich waren. Sonderrollen sollten das Sekretariat von Michail Moskwin (d. i. Meer Trilisser, der von der OGPU, dem Nachrichten- und Sicherheitsdienst der Sowjetunion, zur Komintern gekommen war) mit der Verantwortung für die Administration, die Finanzen, den Verbindungsdienst OMS (einer Art »Geheimdienst« der Komintern) und für die »polnisch-baltischen Länder« sowie das von dem tschechischen Kommunisten Klement Gottwald geleitete Sekretariat übernehmen, das für die »Abteilung Propaganda und für die Massenarbeit« zuständig sein sollte. Alle anderen sieben Sekretariate hatten internationale Aufgaben, wobei der Russe Dmitri Manuilski nicht nur für die romanischen Länder, sondern auch für die inzwischen entschieden aufgewertete Kaderabteilung des EKKI die Verantwortung übernahm.

In der entscheidenden Sitzung des Sekretariats am 2. Oktober 1935, an der »Dimitroff, Ercoli, Gottwald, Manuilski, Kuusinen, Pieck, Marty, Moskwin, Florin, Wang Ming, Anvelt, Losowski, Eisenberger, Lebedewa und Gerisch«² teilnahmen, wurden diese Vorschläge bestätigt und somit in Kraft gesetzt. Allerdings waren nicht für alle der Teilnehmenden Personalsekretariate vorgesehen Sie repräsentierten aber wichtige Abteilungen im EKKI-Apparat: Der Este Jaan Anvelt war Sekretär der Internationalen Kon­trollkommission, Alexej Losowski (d. i. Solomon Abramowitsch Losowki, eigentlich Dridso) war zu dieser Zeit Generalsekretär der Roten Gewerkschaftsinternationale, der Deutsche Josef Eisenberger vertrat die Parteiorganisation des EKKI- Apparats, Barbara Lebedewa die Kaderabteilung und Grigori Moissejewitsch Gerisch, der eine Zeit lang in den USA gelebt hatte, das Büro des Sekretariats des EKKI.

Georgi Dimitroff wurde in seiner Funktion als Generalsekretär des EKKI bestätigt. In seinen Verantwortungsbereich fiel zugleich auch China, dieses riesige Land, in dem sich eine revolutionäre Umwälzung anbahnte. Diejenigen Genossen, die für den Vorsitz von Personalsekretariaten gewählt wurden, übernahmen die Verantwortung, Anleitung und Kontrolle für die kommunistischen Parteien verschiedene Länder und anderer Bereiche. So Wilhelm Pieck für die Türkei, Persien, Rumänien, Jugoslawien, Bulgarien, Griechenland und Albanien. Außerdem kümmerte sich Pieck um die exilierten deutschen Schriftsteller.

Der Finne Otto Kuusinen war verantwortlich für Japan, Indien, Korea und Siam, der Franzose André Marty für Großbritannien, die USA, Australien, Kanada, Südafrika, Irland, die Philippinen, Neuseeland und die Kolonien Großbritanniens und der USA. Zum Sekretariat Wilhelm Florin gehörten die Länder Schweden, Norwegen, Dänemark und Island, zu Michail Moskwin Polen, Finnland, Estland, Lettland und Litauen. Das Sekretariat Wang Ming (d. i. der Chinese Chen Shaoyu) hatte mit Kuba, Peru, Uruguay, Chile, Kolumbien, Venezuela, Costa Rica, Puerto Rico, Paraguay, Ecuador, Panama, Haiti, Guatemala, Honduras, San Domingo, San Salvador, Bolivien, Trinidad und Nicaragua einen gewaltigen Aufgabenbereich. Allerdings fiel dieses Sekretariat, vielleicht weil Wang Ming nur Kandidat des Sekretariats des EKKI war, kurze Zeit später an Dolores Ibárurri, die legendäre »Pasionaria« des Spanischen Krieges, die dem Sekretariat bis 1941 vorstand.

Neben Dimitroff wurde Palmiro Togliatti der zweitmächtigste Funktionär der Kommunistischen Internationale, denn die Oktobersitzung des Sekretariats bestätigte den im September gemachten Vorschlag, »Ercoli« als Vertreter des Generalsekretärs einzusetzen. So sollte Togliatti nicht nur Dimitroff in dessen Abwesenheit vertreten, er musste auch, wie noch zu zeigen sein wird, Aufgaben übernehmen, die der an Moskau und seine Verantwortung gebundene Generalsekretär nicht wahrnehmen konnte. Togliatti gehörte gemeinsam mit Dimitroff und Klement Gottwald zudem der politischen Redaktion des wichtigsten Organs der Komintern, der Zeitschrift Kommunistische Internationale an. Aber Togliatti hatte auch einen internationalen Sektor zu betreuen, zu dem Deutschland, die Tschechoslowakei, Öster­reich, Ungarn, die Schweiz, die Niederlande und Indonesien gehörten. Allerdings schien er nicht für alle Länder die gleichermaßen notwendige Zeit zu finden, denn verschiedene Aufgaben musste er seinem Vertreter Gottwald überlassen, der mit seinem Sekretariat eigentlich für Propaganda und Massenarbeit zuständig war, sich aber mehr und mehr mit der Lage in der Tschechoslowakei und anderen Ländern beschäftigte.

Der Fall Münzenberg

Die im Komintern-Archiv einsehbaren Akten des Sekretariats »Ercoli« zeigen, dass sich Togliatti sehr intensiv mit besonderen Angelegenheiten, nicht aber mit allen Ländern seines Verantwortungsbereichs beschäftigte. Ein Beispiel dafür war sein Engagement im Fall Willi Münzenberg. Dieser hatte im Exil seine antifaschistische Propaganda fortgesetzt. Die von ihm mitinitiierten beiden international erfolgreichen »Braunbücher« über den Reichstagsbrand und den Terror der Nazis hatten die Faschisten in die Defensive gedrängt. Münzenbergs Bemühungen, schon vor 1935 ein breites antifaschistisches Bündnis zu schaffen, war praktisch eine Vorwegnahme der Volksfrontpolitik des VII. Weltkongresses der Komintern. Honoriert wurde das nicht. Als Münzenberg die bürokratische und für seine Vorhaben mitunter destruktive Politik der KPD und der Komintern kritisierte, fiel er mehr und mehr in Ungnade. Auffällig ist, dass er in dieser Zeit oft an Togliatti schrieb. Nach dem VII. Weltkongress wurde die von Münzenberg gegründete und geleitete Internationale Arbeiterhilfe (IAH) aufgelöst, was auch die Einstellung von Münzenbergs Publikationsorganen bedeutete. Als er sich mit seiner Frau Babette Gross im Oktober 1936 in Moskau aufhielt, konnten beide die Sowjetunion nur verlassen, weil Togliatti das dafür notwendige OMS-Dokument unterzeichnete. Zwei Wochen später wurde seitens des EKKI-Sekretariats der Beschluss gefasst, dass durch Bohumír Šmeral, einen ehemaligen Mitarbeiter Münzenbergs, die Münzenberg-Verlage entweder zu übernehmen oder zu liquidieren seien. Die Konsequenz war, dass das deutsche Exil mit den »Éditions du Carrefour« einen seiner produktivsten Verlage verlor.

Als Ernst Busch, der deutsche Arbeitersänger und Schauspieler, der 1933 in die Sowjetunion emigriert war, Anfang 1937 nach Spanien reiste, um die Republik und die Internationalen Brigaden als Künstler zu unterstützen, benötigte er, da sein deutscher Pass abgelaufen war, neue Papiere und finanzielle Mittel sowie die Genehmigung zur Ausreise aus der UdSSR. Das dazu erforderliche Dokument für die OMS, jenen geheimnisvollen »Verbindungsdienst« der Komintern, wurde nur gültig, weil es »Ercoli« als Sekretär des EKKI unterschrieb.

Ein Teil der Akten des Sekretariats »Ercoli« behandelt den Kampf des republikanischen Spanien gegen die franquistischen Putschisten. Schon weit vor dem Sieg des Linksbündnisses bei den Wahlen im Februar 1936 hatte die Kom­intern Victorio Codovilla als Berater für den PCE nach Spanien geschickt. Nach der Gründung der Vereinigten Sozialistischen Partei Kataloniens (PSUC) im Juli 1936, die sich ebenfalls als Sektion der Komintern verstand, wurde dort als Berater der Ungar Ernő Gerő eingesetzt. Obwohl es laut dem 1920 angenommenen Statut der Kommunistischen Internationale in einem Land nur eine kommunistische Partei geben durfte, wurde, weil die Komintern die Autonomiebestrebungen Kataloniens berücksichtigte, für Spanien eine Ausnahme gemacht, denn mit dem PSUC existierten zwei kommunistische Parteien auf dem Gebiet des spanischen Staates. Nachdem die Komintern bei dem damaligen spanischen Ministerpräsidenten Largo Caballero um die Erlaubnis gebeten hatte, internationale Brigaden bilden zu dürfen, wurde mit André Marty ein weiterer hoher Funktionär und Sekretär des EKKI nach Spanien delegiert, der dann den Vorsitz der Militärpolitischen Kommission der Internationalen Brigaden übernahm.

Der PCE hatte vor allem nach dem Sieg der Volksfront 1936 einen rasanten Zuwachs erfahren. 1931 hatte die Partei ca. 800 Mitglieder, 1932 waren es 12.000, der Kommunistische Jugendverband umfasste etwa 8.000 Mitglieder. Im Mai 1934 wuchs die Partei auf mehr als 20.000 und nach den Februarwahlen auf ca. 33.000 Mitglieder. Der Krieg und die revolutionären Umwälzungen trieben bald noch mehr Menschen in die Reihen der Kommunisten. Im November 1938 sandte der PCE an Togliatti eine Statistik, in der 283.605 Mitglieder erwähnt werden.³

Mit der Mitgliederzahl und der gestiegenen politischen Bedeutung wuchs aber auch das Selbstbewusstsein der spanischen Kommunisten und damit die Vorbehalte von dessen Führung gegenüber ausländischen Emissären, die dem PCE immer wieder nicht nur Hinweise, sondern auch direkte Anweisungen gaben. Das bezog sich vor allem auf Codovilla. Das EKKI wurde aufgefordert, ihn aus Spanien abzuziehen, weil er sich benähme, als sei er der Generalsekretär der Partei.

Auch die Kritik an André Marty, dem wohl wichtigsten Funktionär der Internationalen Brigaden, nahm zu. Ihm wurde vorgeworfen, sich unberechtigt in militärische Angelegenheiten gemischt und nicht dafür gesorgt zu haben, dass bei den Internationalen konsequent die Politik des PCE durchgesetzt werde. Der Deutsche Wilhelm Zaisser, als »General José Gómez« letzter Kommandeur der Base der Internationalen Brigaden in Albacete, hatte später die Base als »kleine Komintern« bezeichnet, in der jede kommunistische Partei ihre eigenen Interessen verfolgt habe. Marty hatte das Vertrauen Stalins, was vermutlich verhinderte, dass Forderungen, Marty solle nach seinen Aufenthalten in Moskau nicht nach Spanien zurückkehren, stattgegeben wurde. Für das Vertrauen Stalins in Marty, aber auch in Togliatti, spricht die Tatsache, dass Stalin am 14. März 1937 Dimitroff, Togliatti und Marty empfing, um mit ihnen über die Situation in Spanien zu sprechen. Stalin plädierte dafür, dass der der Komintern nicht wohlgesinnte Ministerpräsident Largo Caballero im Amt bliebe. Der PCE war dagegen und zog im Juni seine Minister aus der Regierung Caballero ab. Damit war dessen Schicksal entschieden.

»Das Bataillon der 21 Nationen«

Im Juli 1937 kam Togliatti als ranghöchster Komintern-Funktionär nach Spanien, wo er mit Unterbrechungen bis zur Niederlage der Republik blieb. Nur wenige wussten, dass »Alfredo«, »Pierre« oder »Aurore« der Komintern-Sekretär »Ercoli« war. Zu seinen Vertrauten gehörte Luigi Longo, mit dem Pseudonym »Gallo« Generalinspekteur bzw. Generalkommissar der Internationalen Brigaden. Natürlich konnte zu dieser Zeit niemand wissen, dass Longo nach Togliattis Tod dessen Nachfolger als Generalsekretär der italienischen KP werden würde.

Eine Episode über die Rolle Togliattis in Spanien erzählte der Schriftsteller Alfred Kantorowicz. Dieser hatte von der Führung der XI. Brigade den Auftrag erhalten, ein Buch über die XIII. Brigade zusammenzustellen. Die XIII. Brigade, die an der Córdoba-Front eingesetzt war und die »vergessene Brigade« genannt wurde, weil sie nicht im medialen Fokus stand wie die an der Zentrumsfront kämpfende XI. Brigade, hatte mit dem Tschapajew-Bataillon eine Einheit, der Freiwillige aus 21 Nationen angehörten. Die KPD-Vertretung und auch Marty waren dagegen, dass Kontorowicz dieses Buch verfasste, er aber ließ es auf eigenes Risiko drucken. Als er daraufhin zu »Gallo« bestellt wurde, nahm er an, dass er verhaftet werden würde. In »Gallos« Büro befand sich aber ein Mann, von dem Kantorowicz später erfuhr, dass es »Ercoli« war. Dieser hielt das Buch in der Hand und sagte: »Das ist es!« Damit war eines der wichtigsten Bücher des deutschen literarischen Exils, »Tschapaiew. Das Bataillon der 21 Nationen«, gerettet, von dem wenig später in der Sowjetunion auch eine russische Ausgabe erschien.

Bis Ende 1938 erhielt Togliatti Informationen über den Zustand und die Einsätze der republikanischen Armee in ihrem Kampf gegen die Franquisten. Nach den Akten seines Sekretariats zu urteilen, korrespondierte er mit Vicente Rojo Lluch, dem Chef des Generalstabs der Spanischen Volksarmee. Sein Interesse galt auch der Stimmung im spanischen Volk nach der Niederlage der Republik, vor allem aber dem Zustand der spanischen Wirtschaft bei Beendigung des Krieges. Die letzte Akte, in der diese Informationen gesammelt sind, trägt das Datum 31. August 1939.

Zu dieser Zeit aber war Togliatti schon wieder in Moskau und arbeitete in den verschiedenen Gremien der Komintern. So leitete er im März 1941 die Sekretariatssitzung zur Deutsch-Italienischen Kommission, auf der Eugen Varga, der Chefökonom der Komintern, über die wirtschaftliche, politische und soziale Situation in Italien und Deutschland referierte und auf der die Aufgaben der kommunistischen Parteien beider Länder diskutiert wurden. Togliatti warnte davor, den Faschismus nur mit Gewalt gleichzusetzen, in Italien hätten die Faschisten die Teile der Arbeiterklasse auch mit sozialen Zugeständnissen, so mit der Schaffung einer Sozialversicherung, korrumpieren können. »Die qualifizierten Arbeiter haben nicht so schlechte Löhne (…). Die Politik des Faschismus liegt in der Linie, die Arbeiter zu trennen, um sie besser beeinflussen zu können. Und darum entwickelt der Faschismus eine besondere Sozialpolitik, er versucht durch neue Formen die Massen zu beeinflussen. Er versucht zu beweisen, dass das faschistische Regime nicht dasselbe ist wie das alte kapitalistische demokratische System. Das ist in Italien die grundlegende materielle Basis der faschistischen Propaganda und Ideologie und des Eindringens der faschistischen Propaganda und Ideologie in die Reihen der Arbeiterklasse.« Togliatti meinte, die Politik der italienischen KP müsse sich jetzt auf die Unzufriedenen konzentrieren, zumal der Eintritt Italiens in den Krieg zu sozialem Abbau und zunehmender Ablehnung des Faschismus geführt habe.

Es ist seltsam, dass Togliatti 1943 nicht an den Beratungen des Sekretariats über die Auflösung der Komintern teilgenommen hat. Am 17. Mai war über die Abfassung des Auflösungsbeschlusses diskutiert worden, der einen Tag später angenommen wurde. Bei beiden Beratungen war Togliatti nicht anwesend, aber er unterschrieb das Protokoll. Die Auflösung der Komintern am 8. Juni unterschrieb für die italienischen Kommunisten Vincenzo Bianco, einer von Togliattis Bekannten aus dem Spanischen Krieg, in dem Bianco mit dem Pseudonym »Krieger« zuerst Kommissar, dann Stabschef der XIV. Internationalen Brigade gewesen war. Vom 8. Juni 1943 an waren die 76 kommunistischen Parteien, die 20 Millionen Mitglieder umfassten, selbständig und nicht mehr an die Weisungen einer zentralen Leitung gebunden.

Polyzentrismus

Die Erfahrungen, die Togliatti mit der kommunistischen Weltbewegung gemacht hatte, bestimmten offensichtlich auch seine nach dem XX. Parteitag der KPdSU öffentlich gemachte Haltung. Abgesehen davon, dass er die von der KPdSU geäußerte Kritik am »Personenkult« um Stalin als zu kurz gegriffen ansah, weil er fragte, ob nicht die Fehler nicht nur in der Person Stalins, sondern bei allen Erfolgen auch in der Sowjetgesellschaft gelegen hätten, meinte er hinsichtlich der internationalen kommunistischen Bewegung: »Die Gesamtheit des Systems wird polyzentristisch, und selbst in der kommunistischen Bewegung kann man nicht von einer einheitlichen Führung sprechen; vielmehr nimmt der Fortschritt oft verschiedene Wege.«

Vor 60 Jahren und kurz vor seinem Tod schrieb Togliatti das berühmte »Jalta-Memorandum«, das zum einen von der Sorge um das durch den Konflikt zwischen der KPdSU und der KP Chinas drohende Auseinanderbrechen der internationalen kommunistischen Bewegung, zum anderen durch die Betonung der Notwendigkeit des Polyzentrismus und der Betonung der individuellen Verantwortung und Einsatzweise jeder einzelnen kommunistischen Partei geprägt war. Linke Politik kann noch heute aus diesem Dokument lernen.

Anmerkungen:

1 RGASPI (Russisches Staatsarchiv für sozio-politische Geschichte) f.495-op.18-d.1016, Bl. 14

2 RGASPI f.495-op.18-d.1020, Bl. 1

3 Vgl. RGASPI f.495-op.12-d.161, Bl. 221

Werner Abel ist Historiker. Er schrieb an dieser Stelle zuletzt am 22. Februar 2022 über das Wüten der Franco-Faschisten auf den Balearen.

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  • Leserbrief von Doris Prato (21. Oktober 2024 um 13:42 Uhr)
    Der Beitrag informiert über dem Leser kaum oder nicht bekannte Aspekte der Leistungen Palmiro Togliattis. Dennoch bleiben weiße Flecken. Das betrifft als erstes, dass nicht darauf eingegangen wird, wie Togliatti zu der auf dem VI. KI-Kongress 1928 aufgestellten verhängnisvollen Sozialfaschismusthese stand. Togliatti erwähnte als einer der Hauptredner neben Pieck und Dimitroff auf dem VII. Weltkongress 1935 in Moskau laut Protokoll auch mit keinem Wort die Leistungen des zu dieser Zeit schwerkrank in Mussolinis Kerker sitzenden Antonio Gramsci. Dieser hatte nach der Errichtung der Mussolini-Diktatur 1922 als erster marxistisch-leninistischer Theoretiker eine Analyse der neuen Herrschaftsform des Imperialismus vorgenommen und grundlegende Schlussfolgerungen für eine breite nationale Strategie der Kommunisten im Kampf dagegen gezogen. Zweifelsohne – was menschlich verständlich ist – befürchtete Togliatti Reaktionen Stalins. Mit seiner Konzeption der „Wende von Salerno“ (des Eintritts der IKP mit den bürgerlichen Oppositionsparteien in die Badoglio-Regierung) folgte Togliatte, wie den Tagebüchern Georgi Dimitroffs 1933-1943 (Berlin 2000) zu entnehmen ist, den mit Stalin getroffenen Vereinbarungen (besser gesagt wohl Vorgaben). Das Buch fehlt, wie andere auch, in den Quelleangaben. Auch mit seinem Kurs, nach dem Sieg über den Faschismus im April 1945 antifaschistisch-demokratischen Veränderungen mit der Fortsetzung des in der Resistenza entstandenen breiten antifaschistischen Bündnises mit den großbürgerlichen Kräften auch auf Regierungsebene weiterzuführen und dazu ausschließlich auf den parlamentarischen Weg zu setzen, folgte Togliatti der Linie Stalins. Dieser wollte zur Sicherung des erreichten Einflussbereiches das in der Antihitlerkoalition entstandene Bündnis mit den westlichen Alliierten fortsetzen, was Togliatti in Italien innenpolitisch flankieren sollte. Dazu machte er schwerwiegende problematische Zugeständnisse (Auflösung des »Hohen Kommissariats zur Verfolgung der Regimeverbrecher«, Auflösung der Befreiungskomitees als revolutionärer Machtorgane und die Entwaffnung der Partisanen). Luigi Longo, neben Sandro Pertini von der ISP einer der beiden Befehlshaber der Partisanenarmee, forderte, gegen »alle faschistischen Überbleibsel«, gegen »die Magnaten der Industrie, der Finanz und des Großgrundbesitzes« vorzugehen und »gegen die Reaktion, die sich um die Monarchie gesammelt hat, zu marschieren«. Togliatti räumte im Oktober 1946 auf einer Funktionärskonferenz ein, dass die günstige Ausgangssituation nach dem Sieg der Resistenza »im Grunde genommen nicht genutzt« worden sei. Nachzulesen in »Probleme del Movimento operaio internazionale, Rom 1962«. Auch diese Quelle fehlt.

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