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Aus: Ausgabe vom 18.10.2024, Seite 15 / Feminismus
Flucht

Flucht, Gewalt, Trauma

Flüchtende Mädchen besonders gefährdet. In Deutschland mangelt es an Versorgung und Unterstützung
Von Yaro Allisat
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Von der Flucht gezeichnet: Ein libysches Mädchen kann in Lampedusa endlich an Land gehen (30.7.2021)

Seit zwei Jahren lebt Jamila (Name geändert) in Deutschland, vor kurzem hatte sie ihren 18. Geburtstag. Doch das ist für Jamila kein Grund zum Feiern, denn es bedeutet, dass sie ab jetzt abgeschoben werden kann. Marokko – wo sie herkommt – gilt, trotz grassierender Armut, als sogenanntes sicheres Herkunftsland. Da Jamila ohne ihre Eltern nach Deutschland gekommen ist, hat der Staat einen Vormund für sie bestellt. Er hatte sich entschieden, keinen Asylantrag für Jamila zu stellen, weil die Erfolgschancen für marokkanische Geflüchtete so schlecht aussehen. Dadurch ist die Chance auf Familiennachzug verstrichen. Um andere Möglichkeiten der Aufenthaltssicherung hat sich der Vormund nicht gekümmert.

Gesehen hat Jamila ihren Vormund in den zwei Jahren nur selten, auch auf Anrufe reagierte er nicht, erzählte sie diese Woche der jungen Welt. Viele Vormünder haben zu viele Fälle und sind schlecht im Asylrecht weitergebildet. Andere Jugendhilfestrukturen sind unzureichend besetzt, um eine gute Betreuung von potentiell traumatisierten geflüchteten Kindern und Jugendlichen zu gewährleisten. Und »für unbegleitete geflüchtete Mädchen gibt es oft keine speziellen Angebote«, so eine Sprecherin des Bundesfachverbands für unbegleitete Flüchtlinge (BumF) gegenüber jW. Sie würden dann in Mädchenwohngruppen untergebracht, wo Mitarbeitende aber kaum entsprechend geschult seien. »Für die geflüchteten Mädchen bedeutet dies unter anderem im Alltag eine Isolation, da sie durch die fehlenden Angebote spezifisch für geflüchtete Mädchen und FLINTA*-Personen kaum oder keinen Kontakt mit Peers haben können.«

Der BumF leistet Aufklärungs- und Beratungsarbeit für unbegleitete Minderjährige. Zum Internationalen Mädchentag am vergangenen Freitag forderte der Verband zum wiederholten Mal, die Entrechtung Geflüchteter und insbesondere Minderjähriger zu stoppen. Das heißt: Eingliederung in das reguläre Sozialsystem (anstatt geminderte Leistungen nach Asylbewerberleistungsgesetz), flächendeckende psychosoziale Angebote und keine Unterbringung in Lagern und Sammelunterkünften, insbesondere für Mädchen und sexuelle und geschlechtliche Minderheiten (LGBTIQ). »Die Forderungen messen sich an dem, was aus unserer Sicht unverhandelbar ist: nämlich die Kinder- und Menschenrechte, zu deren Einhaltung sich Deutschland vielfach verpflichtet hat«, so der BumF. Unterstützt wurde die Stellungnahme von zahlreichen Organisationen, darunter Women in Exile, Pro Asyl und der Bundesweite Koordinierungskreis gegen Menschenhandel.

Und die Lage verschlechtert sich zusehends. In seiner alljährlichen Umfrage unter mehr als 600 Fachkräften in der Jugendhilfe stellte der BumF für 2023 eine steigende Zahl der Gewalterfahrungen im Vergleich zu den vergangenen Jahren fest. Fast alle befragten Fachkräfte berichteten davon, dass geflüchtete Mädchen und junge Frauen in ihrem Heimatland oder auf der Flucht Gewalt erlebt haben. Deutlich öfter als der Durchschnitt junger Geflüchteter berichteten sie von sexualisierter Gewalt, Menschenhandel und Ausbeutung. Die Hälfte der Befragten gab an, Mädchen und junge Frauen betreut zu haben, die auch in Deutschland sexualisierte Gewalt erlebt haben. LGBTIQ-Geflüchtete erlebten demnach hierzulande noch häufiger Gewalt als andere junge Menschen auf der Flucht.

Dabei leiden unbegleitete Mädchen und LGBTIQ ebenso wie andere junge Geflüchtete bereits unter der Trennung von der Familie, aufenthaltsrechtlicher Unsicherheit sowie den psychischen Folgen der Flucht und der Lage im Herkunftsland. Hinzu kommen Rassismuserfahrungen, die laut dem Bericht »erneut eklatant gestiegen« sind. Auch die migrantische Selbstorganisation Women in Exile bestätigte gegenüber jW, dass viele geflüchtete Frauen unter Depressionen und Traumata litten, »die durch verschiedene gesundheitliche oder asylrechtliche Probleme ausgelöst werden«. Betont wurden die extremen Mängel in der Gesundheitsversorgung: »Als geflüchtete Frauen erleben wir körperliche und sexuelle Gewalt in den Lagern und institutionellen sowie Straßenrassismus. Im Alltag haben wir mit mangelnder Privatsphäre und mit unerträglichen hygienischen Verhältnissen in den Gemeinschaftsbädern zu kämpfen.« Das zeigt auch der BumF-Bericht. So wurde die Qualität von Betreuung und Unterbringung mehrheitlich noch schlechter bewertet als in den Vorjahren.

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