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Aus: Ausgabe vom 18.10.2024, Seite 11 / Feuilleton
Literatur

Mit Gebrumm in die Schlacht

Das deutsche Elend ist groß: Das Arno-Schmidt-Lesebuch »Es ist also Krieg irgendwo«
Von Peter Köhler
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»Was Neues vom Krieg – ?« – Arno Schmidt, »Gadir oder Erkenne dich selbst«

Im 17. Jahrhundert machte sich der französische Komödienschreiber Molière in seinem Lustspiel »Der Menschenfeind« über einen Idealisten lustig, dem Ehrlichkeit über alles geht und der deshalb jede Anpassung an gesellschaftliche Konventionen, jede Heuchelei verweigert. Das Deutsche kennt dem Duden zufolge den »Mi­santhropen« als Synonym, und negativ wie dieser scheint heute der »Menschenfeind« verstanden zu werden, dessen widerwärtigste Eigenschaft der Fremdenhass wäre. Doch so ist es falsch: Der Menschenfeind hasst nicht einzelne Menschen oder Menschengruppen, auch nicht andere Rassen als die eigene, sondern den Homo sapiens als Ganzes, wegen seiner Dummheit, wegen seiner Niedertracht und wegen der verbrecherischsten seiner Neigungen und Betätigungen: dem Krieg. Arno Schmidt war Menschenfeind.

»Es ist also Krieg irgendwo« lautet der etwas unglückliche, weil immer richtige und deshalb das Böse unbeabsichtigt banalisierende Titel des Sammelbandes, den Susanne Fischer und Michaela Nowotnick mit Auszügen aus Schmidts Erzählwerk arrangiert und um weniger bekannte Texte – hier ein Widmungsgedicht, dort ein aufgegebener Romananfang – ergänzt haben. Der falsche Eindruck, den der Buchtitel erweckt, wird gleich auf der ersten Seite korrigiert: Der Satz ist sarkastisch gemeint und kritisiert die gleichgültige Haltung der Leute zum großen Morden, die Abstumpfung durch den fortwährenden Schrecken. In der 1949 erschienenen Erzählung »Gadir oder Erkenne dich selbst« fragt einer wenig interessiert: »Was Neues vom Krieg – ?« und erhält, irgendwo ist der ja immer, als Antwort »gleichgültiges Gebrumm«.

Bei Arno Schmidt bewirkte das Grauen, das muss als eine Ironie der Weltgeschichte vermerkt werden, Gutes: Ihn, der zuvor epigonal vor sich hingeschrieben hatte, machte das Erlebnis des Zweiten Weltkriegs, an dem der 1914 Geborene als Soldat hatte teilnehmen müssen, zum erstrangigen Schriftsteller, es verwandelte einen versponnenen Dichterling schockartig in ein Genie.

Bis Anfang der 1960er Jahre war Krieg ein prägendes Thema in Schmidts Schaffen: der eben beendete, ein befürchteter neuer, ein womöglich atomarer; überhaupt vermochte die Not der Nachkriegszeit keiner seiner damals berühmteren Kollegen so anschaulich, wortgewaltig nacherlebbar zu schildern wie er, zumal er auch von Flucht und Vertreibung (Schmidt und seine Frau Alice hatten in Schlesien gewohnt) ohne Ressentiment erzählte, was für die meisten Zeitgenossen eine Provokation war, nein: gewesen wäre – denn wenige lasen ihn, zu ihrem Schaden. (In diesem Zusammenhang ein Hinweis auf das einst im Haffmans-Verlag erschienene Bändchen »Deutsches Elend«, dessen darin versammelte »13 Erklärungen zur Lage der Nationen« unmissverständlich von Schmidts Hass auf die Restauration unter Adenauer Zeugnis ablegen.)

Das deutsche Elend ist groß und doch nur Teil eines größeren. Gleich in seinem Erstling von 1949, grimmig betitelt »Leviathan oder Die beste der Welten«, sagt Schmidt es. Nachdem zwei Hitlerjungen voller Vertrauen von deutschen Geheimwaffen phantasiert haben – der Erzähler notiert: »Und ihre Augen leuchteten wie die Scheiben brennender Irrenhäuser« –, wird ein nüchternes Fazit gezogen: »Ich würde begrüßen, wenn die Menschheit zu Ende käme; ich habe die begründete Hoffnung, daß sie sich in – na – 500 bis 800 Jahren restlos vernichtet haben werden; und es wird gut sein.«

Oder, so Schmidt 1957 in einem Funkessay über »Goethe und Einer seiner Bewunderer«, Europa werde, »eigentlich nur das zerklüftete Nordwestkap Asiens!, nach dem nächsten Krieg für die Welt das sein, was für Europa ›Hellas‹ ist: archäologisch-gerührt embrassierte Geisteswiege.« Doch bevor solche wütenden Hoffnungen oder Befürchtungen so oder so in Erfüllung gehen, spendet Schmidt Trost: Es ist die Natur, es ist der typische Schmidt-Sound, hier im Roman »Die Umsiedler« von 1953: »Der frühreife Mond schob, rachitisch krumm, übern Bahndamm; einmal wieder Fleisch satt. Büsche noch mit etwas frischem Regen verziert; und wieder anfang könn zu rauchen. Eine fette Wolkennutte räkelte graue Schultern hinter den Abendwäldern; Makkaroni und die harte Ecke Schweizer reingerieben.«

Arno Schmidt: Es ist also Krieg irgendwo. Ein Lesebuch, herausgegeben von Susanne Fischer und Michaela Nowotnick. Suhrkamp-Verlag, Berlin 2024, 264 Seiten, 18 Euro

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