UNRWA droht Verbot in Israel
Von Helga Baumgarten, JerusalemIm Januar 2024 beschuldigte Israel das UN-Palästina-Hilfswerk UNRWA, dass einige Mitarbeiter (19 von insgesamt 13.000) am Ausbruch der Hamas aus dem Freiluftgefängnis Gaza und an der Gewalt vom 7. Oktober 2023 beteiligt gewesen seien. Die UNRWA-Führung unter dem Schweizer Philippe Lazzarini entschied sich für eine sofortige Entlassung der 19 Beschuldigten.
Die internationalen Reaktionen auf die israelischen Vorwürfe waren katastrophal, sowohl für die UNRWA als auch für die palästinensische Gesellschaft: Wichtige Geberstaaten stoppten ihre finanzielle Unterstützung. Nachdem aber Israel auch nach Monaten keinerlei Beweise für seine Anschuldigungen vorgelegt hatte, haben alle fördernden Staaten, mit Ausnahme der USA, ihre Zahlungen an die UNRWA wiederaufgenommen.
Im August veröffentlichte die UNO ihre Untersuchung zu dem Fall. Demnach konnten die Vorwürfe bei einer Person widerlegt werden, sie arbeitet wieder für das Hilfswerk. Bei neun ehemaligen Mitarbeitern konnten keine Beweise gefunden werden, bei weiteren neun konnte eine Beteiligung nicht ausgeschlossen werden. Sie würden daher nicht wiedereingestellt, hieß es.
Schon seit Oktober 2023 attackiert die israelische Armee fast täglich mit der UNRWA verbundene Ziele im Gazastreifen. Im Zuge des Völkermords in Gaza wurden bis heute mindestens 228 UNRWA-Mitarbeiter getötet, das ist einmalig in der Geschichte der UNO. Aber damit nicht genug. Roland Friedrich, UNRWA-Direktor im besetzten Westjordanland, äußerte am Mittwoch in einem jW-Hintergrundgespräch seine große Sorge vor dem kommenden Montag. Dann nämlich soll die Knesset über Gesetzesvorlagen des Likud abstimmen. Diese enthalten unter anderem das Verbot jeder Aktivität der UNRWA in Israel, sprich in Ostjerusalem, die Beendigung des Schutzes für UNRWA-Mitarbeiter, die Beschlagnahmung des UNRWA-Hauptquartiers in Scheich Dscharrah im besetzten Ostjerusalem sowie eine Deklarierung der UNRWA zur terroristischen Organisation.
Bereits seit diesem Frühjahr sei das Hauptquartier der UNRWA in Ostjerusalem laut Friedrich ständigen Angriffen ausgesetzt. Auf Demonstrationen warfen aufgehetzte Kinder und Jugendliche demnach Steine auf die Gebäude, im Mai gab es einen Fall von Brandstiftung. Führend bei diesen Angriffen ist laut Haaretz der ultranationalistische stellvertretende Bürgermeister Jerusalems, Arieh King. Wegen seiner Hetze in sozialen Netzwerken wurde King bereits von der Polizei befragt. King hatte auf X unter einem Bild des brennenden Hauptquartiers geschrieben: »Zuerst das UN-Hauptquartier in Ma’alot Dafna. In einem zweiten Schritt sind die feindlichen Hauptquartiere auf dem French Hill dran. Und in einem dritten Schritt geht es gegen die Hauptquartiere der Naziorganisation (gemeint ist die UNRWA, jW) in Kalandia.« Außerdem beglückwünschte er die extrem rechte israelische Organisation »Tsav 9«, weil sie Lastwagen, die humanitäre Hilfe nach Gaza bringen sollen, attackiert und beschädigt hat.
Seit Juni, so Friedrich, herrscht weitgehend Ruhe. Er kann inzwischen wieder in Scheich Dscharrah seinen Aufgaben nachgehen. Philippe Lazzarini, der seit März nicht mehr nach Israel bzw. nach Ostjerusalem einreisen darf, muss hingegen vom UN-Sitz in Amman aus arbeiten. Die Aufgaben der UNRWA sind für Millionen von Menschen überlebensnotwendig. Das gilt zuerst und vor allem für Gaza. Aber es gilt auch für die Westbank, für Jordanien, Syrien und den Libanon. Überall betreibt die UNRWA Schulen, Gesundheitszentren und Berufsbildungseinrichtungen. Selbst für die Müllabfuhr zeichnet sie zum Beispiel in der Westbank verantwortlich.
Dies ist der 17. »Brief aus Jerusalem« von Helga Baumgarten, emeritierte Professorin für Politik der Universität Birzeit. Brief 16 über den schwierigen Weg in das besetzte Palästina erschien in der Ausgabe vom 19. Oktober
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