Für Bienen und Loser
Von Eileen HeerdegenWenn man den Hunger, die Kriege, das Töten, all das Leid mal wieder nicht mehr aushalten kann und einen der blaue Himmel und die grelle Herbstsonne da draußen so richtig ankotzen, die Reichen und Schönen mit ihren Achterln im Café gegenüber, der junge Rich-kid-Trottel mit der Sebastian-Kurz-Gedächtnisfrisur, der eine nach der anderen raucht, der bei zehn Grad im kurzärmligen T-Shirt sitzt, weil’s cool ausschaut, wenn man gern hingehen und ihm einfach eine auflegen würde – dann passt »Raiffeisenbank international« der österreichischen Band Marta hervorragend als Soundtrack zur plötzlichen Gefühlsaufwallung. Hände hoch! »Five billion / put your hands where I can see them!«
Nach »Warships«, 2013, und »Spaceships«, 2015, präsentierte die Band am 18. Oktober im Wiener Undergroundklub Rhiz in den ebenerdigen Bahnbögen unter der verrufensten, hier oberirdisch fahrenden U-Bahn der Stadt, der U6, Longplayer Nr. 3, »Shipwrecks«. Für Sänger und Gitarrist Paul Plut, der mit seinen aufregenden Alben »Lieder vom Tanzen und Sterben«, »Ramsau am Dachstein nach der Apokalypse« und zuletzt »Herbarium« als Solokünstler erfolgreich ist, sind die Schiffsmotive aber nicht nur ein Gag, um die englischsprachigen Songs mit der liebevollen Selbsteinschätzung, »We write lovesongs for losers and sing shanties for seasick sailors«, zu erklären. Der Hafen, das zu ahnende Meer, aber auch die lebendige links-alternative Szene – tatsächlich war Hamburg ein Sehnsuchtsort für Plut und Lebensgefährtin Julia Hager, die mit ihren Texten die Basis für Martas Musik liefert. »Long neck / With blood jewels / White hands / On black fuel« – die hanseatischen Mieten können sich bald nur noch die Raiffeisen-Manager leisten, eine Künstlerfamilie jedenfalls nicht.
Er habe einfach Lust auf diese Menschen und die andere Energie, erklärt Paul Plut seine Arbeit mit Marta und einem weiteren Projekt, der Gruppe Viech. Die Energie von Marta ist oft wild, laut und heftig. Nachdem die Smartwatch im Rhiz vor Hörschäden durch mehr als 90 Dezibel warnt, entscheidet sich die Boomer-Generation, die bereitgestellten Ohrstöpsel tatsächlich zu benutzen. Aber ob es nun die 80er-Jahre-Klamotte des Support Acts »Zwanzga« ist, der seinen allerersten Auftritt überhaupt mit Bravour erledigte, oder die Casio mit Metallarmband und Digitalanzeige am Gitarristenarm – Musik, Location und Publikum der Release Party wirken auf glücklich machende Weise sehr vertraut und doch neu. Nur die Jungs leiden heute früher an Haarausfall, scheint mir, können aber sogar mit geschorenem Schädel perfekt headbangen, also was soll’s.
Langweilig wird es an diesem Abend nicht, auf der kleinen Bühne wird intensivst gearbeitet, bis die dicke Worker-style-Baumwolle so nass ist, als wäre man tatsächlich gerade aus dem Schiffswrack geklettert. Die Dramaturgie der Songabfolge des Albums ist gut gewählt. Nach dem Opener »Empty House«, einer Betrachtung über die Leere im Magen und im Leben, wird der Hunger nach dem Sinn dieses Daseins mit dem eingangs bereits erwähnten »Raiffeisenbank international« verzweifelt aggressiver, um im fast poppigen »Requiem for a Bee« in diese unendliche Traurigkeit zu stürzen, die Paul Plut mit seiner in diesen Momenten melancholisch-brüchigen Stimme unvergleichlich vermitteln kann.
»Pesticides and monoculture / Requiem for a bee / White cabbage as far as the eye can see / Climate feedback loop / Going round and round / One by one / In the ground« – ein Abschiedslied für die nichtmenschliche Welt, für Bienen, Polarbären, Meeresschildkröten, Rhinos und Korallen, die wir längst vernichtet haben. No Future, weil die Menschheit weniger als ein Spatzenhirn hat, denn der kleine Kerl weiß es längst: »Panda bear, mountain gorilla / Orangutan, i fare you well / Hi and bye you little sparrow / Your eyes seem to tell.«
Das frühere Quartett musiziert inzwischen ohne den Bassisten Stephan Paulitsch (der allerdings beim Album noch unterstützt), geblieben ist sein Bruder Günther Paulitsch, der ein wunderbar wildes Schlagzeug spielt. Dazu Paul Plut mit Stimme von klar und hell bis mindestens Tom Waits und Gitarre(n) und Julia Hager, die als Texterin ganz selbstverständliches Bandmitglied ist und zum Schlussapplaus mit auf die Bühne springt. Verdient und wertschätzend, so soll es sein.
Und mit Schiffswracks ist das so eine Sache. Vor Hamburg Blankenese liegt das Wrack der »Uwe« seit 1975 in der Elbe. Gestrandet und doch unverwüstlich taucht es bei Niedrigwasser immer wieder auf. Gibt es doch Hoffnung?
Marta: »Shipwrecks« (martamusic.net)
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