Hollywood und Bollywood
Von Gisela SonnenburgBallett und Stummfilm waren nie weit voneinander entfernt. Die große Geste, das stumme Pathos, die Liebe zum Detail, die körperliche Anmut und die dramatische Musik vereinen beide Genres. Jetzt rückt der Meisterchoreograph Xin Peng Wang vom Theater Dortmund die zwei Künste nah zusammen. Für seine Version des Ballettklassikers »La Bayadère« (»Die Tempeltänzerin«) wählt Wang eine Rahmenhandlung: Sie spielt in Hollywood in einem Filmstudio in den 20er Jahren. Damals begann die Filmindustrie zu gedeihen, und die Produzenten waren ständig auf der Suche nach neuen Stories.
Wangs Dramaturgin Helena Sturm – auch genannt »die schöne Helena« – erklärt in der online verfügbaren »Matinee« vom vergangenen Sonntag, dass die Vermischung von Fiktion und Realität in der Dortmunder Fassung des Stücks entscheidend sei. Das Darstellerduo, das die Hauptrollen in der indisch-orientalischen Märchenwelt von »La Bayadère« spielt, verliebt sich am Filmset ineinander. Der Studioleiter, getanzt von Filip Kvačák, bringt sie gezielt zusammen – und ergötzt sich an seiner Kuppelei.
Doch das Schicksal nimmt seinen Lauf. Im Ballett ist es die Tempeltänzerin Nikija, die den erfolgreichen Krieger Solor liebt, zugleich aber von ihrem Chef, dem Brahmanen, begehrt wird. Solor wiederum ist der Tochter des Herrschers versprochen, Gamsatti heißt das temperamentvolle Wesen. Als Gamsatti erfährt, dass zwischen ihrem Solor und der lyrischen Nikija was läuft, schickt sie einen Blumenkorb mit Giftschlange. Ausgerechnet beim Verlobungsfest von Solor und Gamsatti stirbt Nikija am Schlangenbiss. Das Gegengift hat die enttäuschte Tanzpriesterin aus Liebeskummer abgelehnt.
Solor ist untröstlich. Er berauscht sich mit Opium und verliert sich im Traum: Darin tanzt er im »Reich der Schatten« mit lauter schönen, weiß gekleideten Damen. Seine Nikija ist auch da, und sie tanzen, als hätte es nie ein Problem mit der Liebe gegeben. Aber als nach dem Erwachen die Hochzeit mit Gamsatti ansteht, zürnen die Götter ob des Verrats der wahren Gefühle: Ein Erdbeben zerstört sowohl die prächtigen Bauten als auch alle Hoffnung der Bösen. Der Geist von Nikija erweckt in den Trümmern den toten Solor fürs Nirwana; selig entschweben die beiden von diesem Planeten.
Die exotische Geschichte kommt aus Russland, der französische Choreograph Marius Petipa hat sie 1877 in Sankt Petersburg erstmals vertanzen lassen. Später gab es auch im Westen verschiedene Versionen des Balletts. Mal lässt man den Schluss weg, mal tanzt Solor am Ende mit beiden Frauen. Ins Stummfilmmilieu wird die Menage à trois jetzt das erste Mal verpflanzt: Hollywood goes Bollywood.
Die Dortmunder Kostprobe, die man online zu sehen bekommt, macht Lust auf mehr. Javier Cacheiro Alemán ist ein Solor wie aus dem Bilderbuch für flexible Liebhaber. Ekaterine Surmava ist seine elegant-graziöse Tempeltänzerin. Bei der Premiere am 1. November wird die Titelrolle allerdings von einem Gast getanzt: Anna Tsygankova fliegt dafür aus Amsterdam herüber.
Der Clou ist die opulente Ausstattung von Jérôme Kaplan. Er upcycelt sein Werk, denn erschaffen hat er die goldbunten Kostüme und Kulissen fürs Staatsballett Berlin. Dort kam 2018 eine choreographisch unbefriedigende »Bayadère« von Alexei Ratmansky zustande. Auf Anregung von Kaplan kaufte das Theater Dortmund den glamourösen Plunder den Berlinern ab.
Die Mehrfachverwendung von Ausstattungen war früher, wenn Geld knapp war, am Theater üblich. Jetzt könnte diese Methode ein Revival erleben. Wie »La Bayadère« eines in Dortmund erlebt.
Bis zum 27. Oktober gibt es die »Matinee: La Bayadère« online: www.theaterdo.de
Premiere von »La Bayadère« am Theater Dortmund: 1. November, 17.15 Uhr
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