Gemacht, nicht passiert
Von Jörg KronauerSie brachen urplötzlich los, heftiger und brutaler als je zuvor, und stürzten dann fast schlagartig wieder in sich zusammen. Die rassistischen Ausschreitungen vom 30. Juli bis zum 5. August haben das Vereinigte Königreich erschüttert. Auslöser war der Überfall eines mit einem Messer bewaffneten 17jährigen auf einen Ferienworkshop für Sechs- bis Elfjährige im Küstenort Southport nördlich Liverpools, bei dem am 29. Juli 2024 drei Mädchen erstochen und acht weitere Kinder sowie zwei Erwachsene zum Teil schwer verletzt wurden. Der Dreifachmord rief landesweit Entsetzen hervor. Zahlreiche Beileidsbekundungen trafen ein, darunter eine von König Charles III. Am 30. Juli legten Premierminister Keir Starmer und Innenministerin Yvette Cooper am Tatort Blumen nieder, am Nachmittag desselben Tages fand im Zentrum von Southport eine Trauerkundgebung statt – Ausdruck eines breiten Mitgefühls für die Opfer und ihre Angehörigen. Eine Frage bewegte dabei alle: Was hatte den Täter zu der Tat getrieben?
Eine offizielle Antwort auf die Frage unterblieb. Genauere Angaben zum Täter wurden zunächst mit Blick auf dessen Alter nicht gemacht, denn detaillierte personenbezogene Informationen lässt britisches Recht für Minderjährige nicht zu. Schnell machten in den sozialen Medien wilde Spekulationen die Runde. Rassisten setzten das Gerücht in die Welt, der Täter sei ein Muslim, illegal mit dem Boot über den Ärmelkanal ins Land gelangt und beobachtet vom Auslandsgeheimdienst MI6. Es half nichts, dass die Behörden mitteilten, ein terroristisches Motiv sei auszuschließen, und dass sie bald ergänzten, der Täter komme nicht aus Syrien, sondern aus Banks, einem Vorort von Southport, sei ein gewöhnlicher Brite, »geboren in Cardiff und erzogen in britischen Schulen«, wie es etwa die konservative Tageszeitung The Times formulierte. Mit Blick auf Spekulationen über seine Hautfarbe wurde noch knapp ergänzt, dass seine Eltern aus Ruanda stammen. Trotz aller Bemühungen war die Hetze gegen den angeblichen muslimischen Flüchtling, der hemmungslos morde, nicht mehr zu stoppen.
Menschenjagd und Brandstiftung
Am Abend des 30. Juli manifestierte sie sich in einem Auflauf Hunderter Personen, die zu randalieren begannen, Flaschen und Ziegelsteine auf Polizisten warfen, ein Polizeiauto in Brand steckten und eine Moschee attackierten. In den folgenden Tagen breiteten die Riots sich aus. Bis zum 5. August zählten die Behörden gut 30 Gewaltorgien im gesamten Vereinigten Königreich. Mobs zogen durch migrantisch geprägte Viertel, griffen weitere Moscheen und schließlich auch Flüchtlingsunterkünfte an. Von Plymouth über Manchester bis Belfast marodierten Rassisten, attackierten Menschen mit nichtweißer Haut, organisierten improvisierte Checkpoints, an denen sie nur Fahrzeuge mit weißen Insassen passieren ließen, und versuchten mehrfach gar, Flüchtlingsheime in Brand zu stecken. Dass es nicht zu Todesopfern kam, war in manchen Fällen nur dem Zufall zu verdanken. Die antifaschistische Organisation »Hope Not Hate« stufte die Riots als die wohl schlimmsten offen rassistischen Ausschreitungen der britischen Nachkriegsgeschichte ein.
So schnell die Riots losgebrochen waren, so schnell stürzten sie wieder in sich zusammen. Für den 7. August waren weitere rassistische Aufmärsche an Dutzenden Orten in Großbritannien angekündigt worden, sie fanden nicht statt. Das lag zum einen an der schnellen und harten Repression. Bereits am 7. August wurden erste Urteile wegen Beteiligung an den Ausschreitungen gefällt. Sie lauteten auf Haftstrafen zwischen 20 Monaten und drei Jahren. Für Gewaltdrohungen in den sozialen Medien wurden bis zu drei Jahre Haft verhängt. Die Regierung kündigte zudem eine Amnestie für gewöhnliche Straftäter an, um in den völlig überfüllten britischen Gefängnissen Zellen für die Rioter und ihre Claqueure aus den sozialen Medien freizubekommen. Vor allem aber stellten sich den Rassisten nicht nur linke Aktivisten, sondern ganze Nachbarschaften entgegen. In Brighton musste die Polizei am 7. August acht einsame Rassisten vor rund 2.000 Gegendemonstranten schützen. In Walthamstow im Osten Londons versperrten rund 10.000 Menschen aus dem Viertel den Gewalttätern den Weg: Die Rechten kamen nicht durch.
Eines war von Anfang an klar: Die Riots mochten urplötzlich losgebrochen sein, dennoch hatten sie einen politischen Hintergrund. »Stop the boats«, »die Boote stoppen«, und zwar diejenigen, mit denen Flüchtlinge über den Ärmelkanal nach Großbritannien kamen: Das war ein erklärtes Ziel der jüngeren konservativen Regierungen unter den Premierministern Boris Johnson, Elizabeth Truss und Rishi Sunak gewesen. London hatte im großen Stil Arbeitskräfte angeworben – Krankenschwestern aus Ghana und den Philippinen, Erntehelfer aus Südasien und noch viel mehr –, an unbestellt eingereisten Flüchtlingen aber kein Interesse. Die politische Kaste tat einiges, deren zügige Abschiebung zu ermöglichen sowie sie zur Zielscheibe rassistischer Agitation zu machen. Das wohl berüchtigtste Beispiel war der Plan, Flüchtlinge nach Ruanda abzuschieben, den Premierminister Sunak allerdings noch gegen Ende seiner Amtszeit auf Eis legte, weil er an der Justiz zu scheitern drohte. Die neue Labour-Regierung hat den Ruanda-Plan gecancelt, setzt aber andere Abschiebepläne fort, unter dem mit Blick auf ihre Wählerschaft etwas angepassten Motto »Smash the gangs«, »die Schleuserbanden zerschlagen«. Für Rassisten war all das Wasser auf die Mühlen.
Einpeitscher Farage
Klar, dass politische Kräfte, die noch rechts von den Tories stehen, sich in dieser Situation zu profilieren suchen, indem sie eine Schippe drauflegen. Für Aufsehen und Empörung sorgten, als die Ausschreitungen gerade begonnen hatten und im Anschwellen begriffen waren, vor allem Nigel Farage und der neue Fernsehsender GB News. Farage, ehemaliger Chef der radikal rechten und EU-skeptischen UK Independence Party (UKIP), heute – so sein formeller Titel – Leader der Rechtsaußenpartei Reform UK, schrieb auf X, als die Behörden, um den Riots den Boden zu entziehen, mit ganzer Kraft gegen die Lüge ankämpften, der Mörder von Southport sei ein illegal eingewanderter Muslim: »Ich glaube nicht, dass uns die ganze Wahrheit über diese Person erzählt wird. Ich will es wissen.« »Wissen« wollte er nicht zuletzt, ob es zutreffe, dass der 17jährige vom Geheimdienst beobachtet wurde. Dass er mit alledem kräftig Öl ins Feuer goss, war klar – und das gewiss auch ihm selbst. Dabei blieb er hartnäckig. Noch Mitte September insistierte er in einem Radiointerview: »Sie haben uns immer noch nicht die Wahrheit gesagt.«
GB News, ein im Jahr 2021 gegründeter Rechtsaußensender, ging ähnlich vor. Er ließ etwa den weit nach rechts abgedrifteten Publizisten Matthew Goodwin zu Wort kommen, der sich mit Blick auf die Ausschreitungen dafür aussprach, »die Gewalt auf allen Seiten zu verurteilen«; schließlich würden auf britischen Straßen auch Personen angegriffen, »weil sie Weiße« seien. Die gegenwärtigen Riots seien für viele nur offener »Protest gegen illegale Einwanderung«, gegen »den Kollaps unserer Grenze« und dagegen, dass die Öffentlichkeit von Politik und Medien angelogen werde. Man müsse konstatieren, behauptete Goodwin, dass »unser Modell des Multikulturalismus nicht funktioniert«. Dass GB News damit die Riots anspornte, lag ebenso auf der Hand wie im Fall einer Äußerung seiner Moderatorin Michelle Dewberry. Dewberry erklärte zu den Gewaltorgien, »genau in dem Moment, in dem weiße Briten aus der Arbeiterklasse den Mut« hätten, »wegen einer Sache auf die Straße zu gehen, die ihnen am Herzen liegt«, höre man von der Regierung nur eins: »Wir gehen hart gegen euch vor.«
Was geschieht da – handelt es sich schlicht um die übliche ultrarechte Propaganda? Ja und nein. Nein, denn es spricht vieles dafür, dass hinter der Agitation von Farage und GB News kalt strategisches Kalkül steckt, das den simplen Stammtischparolen gewöhnlich abgeht. Es lohnt hier, einen genauen Blick auf beide zu werfen. Farage kennt man hauptsächlich als früheren Chef der UKIP, mit der er die Kampagne für den Austritt Großbritanniens aus der EU befeuerte. Er mühte sich damals, die Debatte rassistisch aufzuladen. Heute ist Farage, wie erwähnt, Leader der Partei Reform UK, die er 2019 zu gründen half und die darauf zielt, das politische Spektrum rechts der Tories zu organisieren. Ihren größten Erfolg erzielte Reform UK bei der EU-Wahl 2019, als sie inmitten der Machtkämpfe um den »Brexit« die Tatsache nutzen konnte, dass sie damals die einzige klar auf den Austritt orientierende Partei war: Sie kam auf 30,5 Prozent und 29 Sitze, so viele wie CDU und CSU im EU-Parlament zusammen. Bei der Parlamentswahl am 4. Juli 2024 wurde sie mit 14,3 Prozent zur nach Stimmenanteil immerhin drittstärksten Kraft. Wegen des britischen Mehrheitswahlrechts reichte es allerdings nur für fünf Abgeordnete im Unterhaus.
Farage ist freilich mehr als nur Leader von Reform UK. Während er sich gern als Anwalt der kleinen Leute inszeniert, kommt er selbst aus einer begüterten Familie, ist Millionär. Seine Schulzeit hat er am Dulwich College verbracht, einer exklusiven Eliteschule im Süden Londons. Anschließend hat er in der Londoner City – als Börsenmakler an der London Metal Exchange – viel Geld verdient. Zumindest bis kurz vor seiner Wahl ins britische Unterhaus am 4. Juli 2024 war er noch in der Finanzbranche aktiv, verfasste für die Beratungsfirma Southbank Investment Research mehr oder weniger regelmäßig Analysen. Bis heute kassiert er immense Summen für journalistische Aktivitäten. Das gilt weniger für seine Beiträge im Daily Telegraph, für die er laut den Unterlagen, die Parlamentarier in Großbritannien offenlegen müssen, 4.000 Pfund Sterling im Monat kassiert, sondern viel mehr für seine Tätigkeit als Moderator bei GB News: Diese bringt ihm monatlich sage und schreibe 97.900 Pfund Sterling ein. Mit einem Jahreseinkommen von 1,2 Millionen Pfund Sterling ist Farage der bestverdienende Abgeordnete im britischen Unterhaus.
Mit US-Rechten vernetzt
Politisch wichtig sind Farages Kontakte zur US-amerikanischen Rechten, insbesondere zu Donald Trump, dem Milliardär, der ebenfalls als vermeintlicher Anwalt kleiner Leute posiert. Farage hat einmal beschrieben, wie er um 2010 auf Steve Bannon aufmerksam wurde, der damals unter anderem für das extrem rechte Onlineportal Breitbart tätig war. 2014 kam er bei einem Besuch in Washington erstmals mit Bannon wie auch mit einigen Republikanern vom rechten Rand der Partei zusammen – und er war verblüfft, welch ernsthaftes Interesse es dort an der UKIP gab, die kurz zuvor in der EU-Wahl erstmals stärkste Kraft in Großbritannien geworden war: Man tauschte sich aus, verstand sich bestens. Es entstanden tragfähige Kontakte. Kaum zufällig hat sich Farage in den Jahren 2023 und 2024 bei der Pflege seiner politischen Beziehungen in den USA regelmäßig von Alexandra Preate beraten lassen, einer Managerin aus dem engen Umfeld von Bannon.
Erstmals direkt mit Trump in Kontakt ist er im August 2016 gekommen. Als er sich in den Vereinigten Staaten aufhielt und Bannon Trumps Wahlkampf organisierte – so arrangiert man, dass Farage, zumindest in Teilen der US-Rechten auch wegen des kurz zuvor abgehaltenen »Brexit«-Referendums populär, auf einer Wahlkampfkundgebung in Mississippi von Trump auf die Bühne gebeten wurde, um eine knappe Wahlwerbeansprache zu halten. Nach dem Wahltag in den USA hatte Farage erneut Glück: Er war genau rechtzeitig zur Stelle, um von Trump nach dessen Wahlsieg als erster in dessen Penthouse im Trump Tower empfangen zu werden. Ein Foto, das Trump und Farage am 12. November 2016 Seite an Seite vor der goldfarbenen Tür des Penthouse zeigt, ging um die Welt. Mehrmals konnte Farage Trump exklusiv für GB News interviewen. Als der sich Anfang Mai 2023 in Schottland aufhielt, war Farage der einzige, der ein längeres Gespräch mit ihm aufzeichnen und senden durfte. Trump und Farage, urteilte ein ehemaliger enger Farage-Mitarbeiter im Juni gegenüber dem Portal Politico, hätten eine Menge voneinander gelernt.
Jedenfalls gilt das für Farage, dem nicht entgangen ist, wie Trump gewalttätigen Rassisten Beifall zollte. Auf die rassistische Miliz »Proud Boys« angesprochen, die zuvor gewalttätig bei Demonstrationen aufgetreten waren, erklärte Trump Ende September 2020: »Zu den Proud Boys sage ich: Haltet euch zurück und haltet euch bereit. Jemand muss doch etwas gegen die Antifa und die Linke tun.« Wie der Noch-US-Präsident am 6. Januar 2021 die ultrarechten Gewalttäter befeuerte, die in Washington das Kapitol stürmten, ist bekannt. Trumps Strategie ging damals nicht auf, als Strategie erkennbar war sie dennoch. Ob sie im Großbritannien des Jahres 2024 wirkt? Nun, eben das testete Farage Anfang August aus.
TV-Sender mit Programm
Von der US-Rechten und speziell von trumpnahen Milieus beeinflusst ist auch GB News. Der Fernsehsender, der seine Programme seit 2021 ausstrahlt, wurde gegründet, um den etablierten Nachrichtensendern, vor allem der BBC, von rechts etwas entgegenzusetzen. Die Idee ist nicht neu. Fox News, 1996 von Rupert Murdoch gegründet, hat sie in den Vereinigten Staaten umgesetzt und stark dazu beigetragen, dass erst die »Tea Party«, dann Trump aufstiegen. In Australien ist der Sender Sky News Australia, ebenfalls 1996 von Murdoch gegründet, seinerseits bemüht, das politische Klima stetig nach rechts zu verschieben. Dem Murdoch-Imperium schreiben viele eine Verantwortung für den Sturz des gemäßigt konservativen Premierministers Malcolm Turnbull und für die Installierung seines ultrarechten Nachfolgers Scott Morrison am 24. August 2018 zu. Ähnliches gibt es in Europa. In Frankreich treibt der Sender C-News, der dem Milliardär Vincent Bolloré gehört, die politische Debatte nach rechts. Bolloré hat vor allem den Publizisten Éric Zemmour protegiert, der mit seiner extrem rechten Partei Reconquête besonders in Pariser Nobelvierteln wie dem 16. Arrondissement und in den Reichenghettos der Côte d’Azur Wahlerfolge erzielte. Dass er sich letztlich in der Konkurrenz mit Marine Le Pen und deren Rassemblement National nicht durchsetzen konnte, steht auf einem anderen Blatt.
In Großbritannien soll’s GB News richten. Aufgebaut wurde der Sender von zwei Experten aus dem Umfeld des US-Milliardärs und Medienmoguls John C. Malone, der Trump größere Summen gespendet hat. Das praktische Sendegeschäft leitet Angelos Frangopoulos, der zuvor bei Sky News Australia tätig war. Größte Anteilseigner sind heute die Investmentgesellschaft Legatum und Paul Marshall. Legatum – mit Sitz in Dubai – wird von dem neuseeländischen Milliardär Christopher Chandler geführt. Die Firma hat 2007 das Legatum Institute mit Sitz in London gegründet, eine Denkfabrik, die als trumpnah gilt. Paul Marshall wiederum ist ein britischer Hedgefondsmanager, dessen Besitz die Times erst kürzlich auf gut 875 Millionen Pfund Sterling schätzte – mehr als eine Milliarde Euro. Der evangelikale Christ likt Beiträge auf X, in denen es heißt, »die einheimische europäische Bevölkerung« verliere »die Geduld mit den Invasoren, die sich fälschlich als Flüchtlinge ausgeben«; sollte »die europäische Zivilisation überleben«, müsse man »nicht nur die Grenzen schließen, sondern auch unmittelbar Massenabschiebungen starten«.
Marshall ist auf dem besten Weg, sich zum Herrscher über ein rechtes Medienimperium zu entwickeln. Er betreibt seit 2017 das Internetportal Unherd, ist an GB News beteiligt, hat im September für satte 100 Millionen Pfund Sterling die traditionsreiche rechte Wochenzeitschrift The Spectator übernommen und eine Zeitlang Interesse an einer Übernahme des Daily Telegraph bekundet. Zuletzt zog er sich – vorläufig? – wegen eines wohl stark überhöhten Kaufpreises aus dem Bieterwettbewerb um die rechte Zeitung zurück. GB News hat zwar die Hoffnungen, die auf den Sender gesetzt wurden, noch nicht voll erfüllt. So erreicht er aktuell rund 3,7 Millionen Menschen pro Monat, sein Anteil am gesamten landesweiten Fernsehkonsum wird auf lediglich 0,7 Prozent beziffert. Allerdings wird GB News ein relativ starker Einfluss auf den rechten Flügel der Tories zugeschrieben, und für Reform UK und deren Umfeld dürfte sich das ähnlich verhalten.
Und der Umgang von GB News mit Rassisten? »Hope Not Hate« beobachtete den Sender bereits im vergangenen Jahr penibel, als es gehäuft zu lokalen Protesten gegen Flüchtlinge sowie Flüchtlingsunterkünfte in Großbritannien kam. Nebenbei: Die diesjährigen Ausschreitungen knüpften der Sache nach durchaus an diese Protestkundgebungen von 2023 an. GB News berichtete mit großem Interesse über die Proteste – und wie’s der Zufall will: Immer wieder, stellte »Hope Not Hate« verärgert fest, entpuppten sich wütend protestierende Bürger, die von GB News interviewt wurden, als erfahrene Aktivisten ultrarechter, teilweise faschistischer Organisationen. Bereits Anfang 2023 hatte ein beim Sender ausgestrahltes Interview mit Kelvin MacKenzie, dem ehemaligen Chefredakteur des Boulevardblattes Sun, wenig Fragen offengelassen. Angesprochen auf die Flüchtlinge, die den Ärmelkanal überquerten, äußerte MacKenzie, die einzige Methode, »die Boote zu stoppen«, sei wohl, die Spezialeinheit SAS (Special Air Service) auf die Schleuser anzusetzen: »Bring einfach 20 oder 30 von ihnen um.« Der Interviewer lachte und wiegelte ab, das sei natürlich alles bloß als harmloser Scherz gemeint. Doch keine Frage – der angebliche Scherz, er saß, ganz so wie Trumps Aufforderung am 6. Januar 2021, im Kapitol nach Kräften aktiv zu werden.
Wen wundert’s, dass sich neben Farage und GB News auch Elon Musk mit anfeuernden Tweets in die Riots einschaltete. Musk hatte in Großbritannien schon zuvor für erhebliche Aufmerksamkeit gesorgt, als er einen gewissen Stephen Yaxley-Lennon, besser bekannt als »Tommy Robinson«, auf seiner Plattform X wieder zugelassen hatte; Twitter hatte ihn zuvor wegen allerlei extrem rechter Auswüchse gesperrt. Yaxley-Lennon ist weithin als ehemalige Führungsfigur der »English Defence League« (EDL) bekannt, einer inzwischen faktisch aufgelösten, vor Jahren aber ziemlich einflussreichen Organisation der extremen Rechten; er selbst gilt bis heute als eine der bedeutendsten Führungsfiguren der Szene. Yaxley-Lennon bedankte sich für seine Wiederzulassung, indem er sich auf X zu den Ausschreitungen zu Wort meldete. Premierminister Keir Starmer hatte geäußert, wer sich gewalttätig an Riots beteilige, etwa Polizisten mit Ziegelsteinen bewerfe, sei ein »Gangster«. Yaxley-Lennon pöbelte nun, Starmer beschimpfe damit jetzt alle, die über den Mord an den drei Mädchen in Southport aufgebracht seien. Unter die eigenwillige Behauptung setzte Musk vielsagend zwei Ausrufezeichen.
Und er ging weiter ans Werk. »Bürgerkrieg ist unvermeidlich«, kommentierte er die Ausschreitungen, und als ein Sprecher des Premierministers verärgert äußerte, es gebe für diese Behauptung »keine Rechtfertigung«, legte Musk erneut nach, diesmal auf Starmers Feststellung Bezug nehmend, Angriffe auf die islamische Community seien aufs schärfste zu verurteilen: »Sollten Sie nicht über Angriffe auf *alle* Communitys besorgt sein?« Schließlich ließ er sich noch dazu hinreißen, über vorgebliche Gewalttaten antirassistischer sowie muslimischer Gegendemonstranten zu spekulieren und die Polizei eines »einseitigen« Vorgehens zu beschuldigen – einseitig gegen rassistische Rioter.
Musk ist für ultrarechte, für antisemitische Äußerungen auf Twitter, für seine Unterstützung für Politiker der extremen Rechten von Italiens Ministerpräsidentin Giorgia Meloni bis zu Argentiniens Präsident Javier Milei und dafür, dass er nicht nur Yaxley-Lennon, sondern auch andere faschistische Aktivisten, den »Identitären«-Chef Martin Sellner etwa, auf X wieder zugelassen hat, hinlänglich bekannt. Auch, dass er im US-Präsidentschaftswahlkampf Donald Trump unterstützt, für den er nach einem etwaigen Wahlsieg »Bürokratieabbau« betreiben, Staatsangestellte entlassen will, ist nicht neu. 75 Millionen US-Dollar soll er mittlerweile in den Wahlkampf gesteckt haben, und vor einigen Tagen kündigte er an, bis zum Wahltag jeden Tag eine Million US-Dollar zu verschenken – an potentielle Wähler, die sich für Trump einsetzen. Da liegt es nahe, dass er auch dessen Strategie folgt, Rassisten zu befeuern. Die äußerste Rechte aufpeitschen, sie stark machen, und das ohne jegliche Rücksicht auf Verluste: Das ist die Strategie, der all die transatlantischen Millionäre und Milliardäre von Farage über Trump bis zu Musk folgen und der sich auch Medien wie GB News angeschlossen haben. Wie sie vorgehen, konnte man bei den Ausschreitungen in Großbritannien im Sommer 2024 beobachten. Es wird kaum das letzte Beispiel dafür gewesen sein.
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